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Wenn nur das Event zählt

 
     
 
Auch am letzten Tag der Ausstellung des New Yorker Museums of Modern Art (MoMA) in der Berliner Neuen Nationalgalerie gab es lange Schlangen vor dem Gebäude. Sechs Stunden Wartezeit waren angesagt. Zum Schluß gab es ein Feuerwerk. Die privat organisierte Ausstellung war ein voller Erfolg und hat Christoph Stölzl, Historiker, Ex-Kultursenator
und kurzzeitig auch Vorsitzender der Berliner CDU, zu der Forderung veranlaßt, der Staat solle sich am besten ganz aus der Kulturfinanzierung zurückziehen, um sie der "Bürgergesellschaft" und Firmenspenden zu überlassen.

CDU-Bundesfraktionsvize Friedrich Merz schlug in die gleiche Kerbe, als er Kulturstaatsministerin Christina Weiß im Reichstag heftig angriff, weil sie für die abgebrannte Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar als Soforthilfe vier Millionen Euro zur Verfügung gestellt hatte. Solche Maßnahmen würden die Eigenverantwortung der Bürger nur lähmen. Doch eignet die MoMA-Ausstellung sich tatsächlich als Modell für eine Bürgergesellschaft, und wo nimmt Berlin genügend wohlhabende Bürger her?

Veranstaltungen wie diese sind nicht beliebig oft wiederholbar. Außerdem gehorchte die Ausstellung stark den Gesetzen der Reklame. Sie wurde als ein "Event", als ein außergewöhnliches Ereignis inszeniert, bei dem das Dabeisein das wichtigste war. Eine Verflachung des Kunst- und Bildungsbegriffs wurde durchexerziert. Die amerikanische Kunst wurde als der Höhepunkt der Moderne herausgestellt und Europa auf die Funktion des Zulieferers und Resonanzraums reduziert. Berlin zelebrierte sich als europäische Filiale von New York. Das entspricht der Lage und dem Minderwertigkeitskomplex der deutschen Hauptstadt im Wettbewerb der Weltmetropolen, aber will man das auf Dauer festschreiben?

Die "Event"-Kultur läßt die kulturelle Substanz, jene Denkmäler, Bibliotheken, Museen und Theater in den Hintergrund treten, die keinen vergleichbaren Mehrwert an Werbeeffekten abwerfen. Gerade sie aber bestimmen den Alltag, den Geist und den Ruf einer Stadt entscheidend mit. Sie wären dem Untergang geweiht, müßten sie sich allein privat finanzieren. Für Firmenwerbung uninteressant müßten reiche, engagierte Bürger einspringen, so hatte sich Merz das wohl auch gedacht. Doch das verfügbare Nettoeinkommen der Berliner Bevölkerung ist seit 1998 um rund 15 Prozent gesunken. Kann eine derart verarmte "Bürgergesellschaft" den Staat bei der Finanzierung der Hauptstadtkultur wirklich ersetzen? Schon jetzt gibt es in Berlin zwar mehr Malerateliers und Galerien als anderswo in Deutschland. Künstler aus aller Welt kommen hierher, genießen die Internationalität und Liberalität der Stadt und den preiswerten Wohnraum. Andererseits können sie in Berlin nicht genügend Bilder verkaufen, um ihre Existenz zu sichern, weil nicht genügend solvente Kunstliebhaber vorhanden sind. Was im Kleinen schon nicht funktioniert, das wird bei der Finanzierung der großen Kultur erst recht kaum klappen. Die Annahme, man könne die staatlichen Gelder vollständig durch private Finanziers ersetzen, ist daher einfach falsch.

Es fehlen sogar die großen Firmen und Banken, die als Mäzene einspringen könnten. Ein Bonmot besagt, München verfügt über Siemens (eine alte Berliner Firma übrigens), Berlin bloß über das Kulturkaufhaus Dussmann. Das bedeutet nicht, daß hier kein Geld umgesetzt wird und es in der Stadt ohne Glamour abgeht, im Gegenteil. Das Kaufhaus des Westens (KdW) baut seine Luxusabteilungen aus. Das Haus denkt dabei aber an die Berlin-Touristen aus dem In- und Ausland und die Gattung der neureichen Russen, die sich in Berlin niederlassen.

Auch für "kulturell" aufgehübschte Betriebsfeste bildet Berlin einen interessanten Hintergrund. Heraus kommen dabei indes nicht selten abschreckende Beispiele wie das Firmenjubiläum von McKinsey im "Palast der Republik". Die Straße Unter den Linden war bestückt mit kitschigen Skulpturen - als "Geschenk" an die Berliner -, McKinsey feierte sich selbst als "Corporate Citizen" (etwa: die Firma als Bürger), und das Areal um den Palast war weiträumig abgesperrt. Drinnen wurden Ute Lemper, das Moskauer Bolschoj-Ballett und die Berliner Philharmoniker aufgeboten: ein Musikantenstadl für Besserverdienende. Doch städtische Kultur benötigt etwas anderes: Die Verbindung von Geld, und Traditionsbewußtsein, von Kultur- und Bürgersinn sowie Stetigkeit - und eine Schicht, die diese Eigenschaften in sich vereint und Standards setzt. 14 Jahre nach der Vereinigung hat Berlin davon noch recht wenig zu bieten, weshalb das Gerede von der "Bürgergesellschaft" vorerst schöne Theorie bleibt.

Nur was gute Werbeeffekte erzielt, hat Chancen auf Geldgeber aus der Wirtschaft:

Junge Besucherin studiert den "MoMA"-Katalog vor Berlins Neuer Nationalgalerie
 
     
     
 
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