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Wirtschaftskrieg gegen Deutschland

 
     
 
Schon in seiner Jugend war der eher schmächtig wirkende Emsländer Aloys Wobben vom Erfindergeist gepackt. Es verging kaum eine Minute, in der de umtriebige Mann nicht über Zeichnungen und Skizzen brütete, Pläne entwarf ode abenteuerlich anmutende Konstrukte zusammenbastelte. Nach dem Studium der Elektrotechni konnte er aufgrund seiner Leistungen am renommierten "Institut für elektrisch Maschinen, Bahnen und Antriebe" der TU Braunschweig, in dem u. a. auch de Transrapid entwickelt wurde, arbeiten. Zu Beginn der achtziger Jahre genossen die Braunschweiger Elektroingenieure im Bereich der Erschließung alternativer Energiequelle Weltruf. 1984 schließlich fällte Wobben den Entschluß, sich auf diesem Gebie selbständig zu machen. Innerhalb weniger Jahre schaffte der ehrgeizige Emsländer mi seiner Firma Enercon von seiner kleinen Mechanikerbude in Aurich aus mit elektronische Fertigbauteilen den Sprung an die Weltspitze. Bald hatte er soviel verdient, daß er sic seiner eigentlichen Vision widmen konnte: dem Bau von Windenergieanlagen. Vor alle Landwirte waren seine dankbaren Abnehmer – sie bekamen in den achtziger Jahren pr eingespeiste Kilowattstunde von den Versorgungsunternehmen einen Zuschuß von 5 Pfennigen.

Was Aloys Wobben damals weder wußte noch ahnte: Schon längst war der amerikanisch Geheimdienst National
Security Agency (NSA) auf den erfolgreichen Erfinder und Unternehme in Ostfriesland aufmerksam geworden. Über die Telefonleitungen hörten die Agenten de NSA heimlich die Konferenzen von Enercon ab; Unterlagen wurden kopiert und amerikanische Unternehmen zur Verfügung gestellt. Als Wobben 1993 mit der Serienfertigung de Windenergieanlage E–40 begann, war er damit der unangefochtene Marktführer in diese florierenden Branche weltweit. Nach acht Jahren und zehn Millionen Entwicklungskoste konnten seine Produkte dreimal mehr Strom erzeugen als die der Konkurrenz.

Doch dem Höhepunkt seiner bisherigen Arbeit folgte die Ernüchterung. In all de Jahren hatte es Wobben nicht für notwendig gehalten, seine Erfindungen patentieren zu lassen. Wie viele andere deutsche Forscher auch scheute er den bürokratischen Aufwand un die Mühe, verständnislosen Beamten das Wesen seiner Entdeckungen umständlich zu vermitteln. Auch glaubte er sich auf dem Weltmarkt bereits ausreichend etabliert. Doch zu seinem 43. Geburtstag am 30. Januar 1995 flatterte ihm eine Patentverletzungsklage vo seinem amerikanischen Konkurrenten Kenetech Windpower Inc. ins Haus. Von der NS regelmäßig mit den Neuigkeiten aus Aurich versorgt, hatte Kenetech schließlich au Wobbens Erfindungen ihr Patent angemeldet. Vor Gericht in den USA konnte sich Wobben nich durchsetzen. Enercon mußte zwei Millionen Dollar Prozeßkosten zahlen und darf bis zum 1 Februar 2010 keine Windenergieanlagen in die USA liefern. Nach diesem Rückschlag ist da Auricher Unternehmen heute wieder im Aufsteigen begriffen. Dennoch ist zu befürchten daß die Amerikaner eines Tages aufgrund des inzwischen auch in Europa erteilten Patent Wobben die Produktion verbieten und ihn damit in den Ruin treiben werden.

Das Beispiel Enercon ist wahrlich kein Einzelfall in Deutschland. Es zeigt nur in einzigartiger Weise die Dreistigkeit und Unverfrorenheit amerikanischer Spionage au deutschem Boden. Experten schätzen, daß durch ausländische Agententätigkeit in Deutschland jährlich ein Schaden von mindestens 20 Milliarden Mark entsteht. Dami verbunden ist häufig auch der Verlust von Arbeitsplätzen. Seit dem Ende des Kalte Krieges hat die Wirtschaftsspionage einen regelrechten Boom erlebt. Gerade Deutschland is zu einem beliebten Tummelplatz zwielichtiger Geheimagenten geworden. Neben dem KG spionieren vor allem die Amerikaner, Briten und Franzosen – also die einstige Siegermächte – bevorzugt deutsche Unternehmen aus. Die Bedingungen sind dafü äußerst günstig: in keinem anderen Land der Welt wird die eigene Industrie vom Staat s wenig geschützt. Fliegt ein westlicher Schnüffler auf, wird der Fall von de Bundesregierung weitmöglichst totgeschwiegen – man ist offensichtlich nicht dara interessiert, die einstigen Schutzmächte bloßzustellen. Betroffene Unternehmen erhalte so gut wie keine Unterstützung von den staatlichen Stellen. Als weiterer Standortnachtei erweist sich die Schwäche und oft entwaffnende Inkompetenz des nationalen Geheimdienste BND. Diesem gern verschwiegenen Thema hat sich nun der FAZ-Journalist Udo Ulfkott eingehend gewidmet ("Marktplatz der Diebe". Bertelsmann Verlag, München 1999).

Die Umtriebe und Phantasien der ausländischen Geheimdienste sind vielfältig. S gelang es den Briten, über Jahre einen Spion mitten in die Frankfurter Zentrale de Deutschen Bundesbank zu plazieren. Im Fadenkreuz der Spione in Deutschland stehen vo allem Erfinder vom Schlage eines Aloys Wobben. Aber auch Kundendateien, Lageanalysen un Projektentwicklungen aller Couleur sind für sie von Interesse. Es gibt derzeit kein erfolgreiche Branche in Deutschland, die nicht von ausländischer – vor alle amerikanischer – Spionagetätigkeit erfaßt wird. Oft tritt dabei auch zehn Jahr nach Erlöschen der alliierten Vorrechte in Deutschland eine regelrecht Besatzermentalität zum Vorschein. Im bayrischen Bad Aibling besitzen die Amerikaner noc heute eine Abhöranlage aus den Zeiten des Kalten Krieges, deren größte Teile nach wi vor für die Deutschen tabu sind. Sie wird – wie selbst der BND unumwunden zugib – seit 1990 von der NSA vor allem zum Ausspionieren deutscher Unternehmen wie de Biotech-Industrie genutzt. Die Bundesregierung schaut dem geistigen Diebstahl ihre "Partner" bislang tatenlos zu.

Die Wurzeln der modernen amerikanischen Industriespionage liegen in de "Sputnik-Krise" von 1957. US-Präsident Eisenhower ließ seinerzeit im Pentago eine Arbeitsgruppe ins Leben rufen, die sicherzustellen hatte, daß künftig die Amerikaner technologisch nie wieder von der Sowjetunion überflügelt werden können Heute stehen nunmehr vorrangig die Unternehmen in Europa und Japan im Blickpunkt de Interesses. Im Rahmen der Globalisierung gibt es auf dem Weltmarkt kaum eine Informatio oder ein Patent, daß nicht für Geld zu haben ist. Die Geheimdienste operieren dabei in Interesse ihrer nationalen Wirtschaft und somit ihres Staates; vereinzelt sind aber auc Konzerne selbst die Auftraggeber für die Schnüffler. Die Grenze zwischen Wirtschafts und Konkurrenzspionage ist dabei nicht immer einfach zu ziehen.

Das Operationsgebiet für die Spione ist weit gesteckt. Fachtagungen beispielsweis gelten häufig als unverhohlene Einladung für die ungebetenen Gäste. Die technische Möglichkeiten sind für Wirtschaftsagenten heutzutage ideal: Faxe und E-Mails könne relativ problemlos abgefangen, Codes entschlüsselt und Fotokopierer mit Mikrokamera ausgerüstet werden. Beliebt ist es auch, Managern eines Konkurrenzunternehmens ei fingiertes Stellenangebot zu unterbreiten. Angelockt mit einem üppigen Gehalt, wird e dann beim vermeintlichen Vorstellungsgespräch ermuntert, die nächsten Arbeitsschritt nach seinem Amtsantritt näher zu erläutern.

Von den großen Industrienationen hat einzig Deutschland bislang die Spielregeln in globalen Überlebenskampf noch nicht verstanden. Ganz im Gegenteil: hierzulande wird de nackten Tatsachen mit Blauäugigkeit und geradezu rührseliger Naivität begegnet. Es sol nicht sein, was ideologisch doch eigentlich nicht sein darf. Noch immer hat die Mehrzah der deutschen Politiker nicht begriffen, daß sich mit dem Wegfall de Ost-West-Konfrontation das Verhalten der "befreundeten" Alliierten gegenübe dem wiedervereinigten Deutschland geändert hat und CIA und NSA nun nicht mehr automatisc auch die Interessen der Bundesrepublik schützen. Nach wie vor herrscht eine Hemmung vor die Machenschaften der US-Geheimdienste offen darzulegen. Doch dieses willfährig Verhalten richtet immense Schäden in der eigenen Wirtschaft an. Wolfgang Hoffmann, be der Leverkusener Bayer AG für die Spionageabwehr zuständig, fordert daher: "Wi sollten uns in Deutschland endlich daran gewöhnen, über Spionage auch dann zu sprechen wenn sie von Freunden ausgeht und nicht nur von östlichen Geheimdiensten. Wir müsse endlich einsehen, daß die Wirtschaft ein Teil der nationalen Sicherheit ist." Ander haben das schon längst eingesehen. Allen voran schreiten die USA. Ohnehin sind CIA un NSA die zur Zeit besten und effektivsten Geheimdienste in der Welt. Mit dem Amtsantrit Bill Clintons begann ihre endgültige Umorientierung hin zur Wirtschaftsspionage mit de Ziel, amerikanische Konkurrenten auf dem Weltmarkt auf Dauer auszuschalten. In diese Licht ist im nachhinein auch die "Aktion Rosenholz" zu sehen, mit der die CI während der Wendewirren in der DDR die Personaldatei der Auslandsspione de Staatssicherheit in ihre Hände brachte. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, konnte die Amerikaner viele der einstigen Stasi-Agenten in westdeutschen Unternehmen auf ihr Seite ziehen, von denen sie nun zuverlässig mit Wirtschaftsdaten versorgt werden.

Der größte Coup aber gelang der CIA in den neunziger Jahren, als sie sich in die Computersysteme des Europäischen Parlamentes und der EU-Kommission einhackte, um a wirtschaftliche und politische Daten ihrer Partner zu gelangen. Herzstück de US-amerikanischen Spionage ist das ECHELON-System, in dem die derzeit besten Soft- un Hardwareprogramme vereinigt sind. Eine spezielle Spracherkennung ist in der Lage, weltwei alle mündlichen Äußerungen, egal in welcher Sprache oder in welchem Dialekt abzufangen, so bald ein entsprechendes Stichwort gefallen ist. Das Netz umspannt die ganz Welt. In jeder Minute werden mit ECHELON mehrere Millionen Kommunikationseinheite abgefangen und gespeichert. Die amerikanischen Geheimdienste nutzen dieses bislan einmalige Spionagesystem aber auch, um ihre eigenen Abgeordneten im Senat zu kontrollieren. Nutznießer von ECHELON sind des weiteren Kanada und Großbritannien Anders als in Deutschland hat es in Frankreich immer wieder für empörte Schlagzeile gesorgt. In Paris spricht man dagegen offen von einem Wirtschaftskrieg, den die USA gege ihre Verbündeten in Europa führen.

Wirkliche Schutzmaßnahmen gegen Wirtschaftsspionage gibt es nicht, denn sie ist in Grunde so alt wie die menschliche Wirtschaft selbst. Die Jagd nach Patenten und de Versuch, die Ideen des erfolgreicheren Konkurrenten abzuschöpfen und für sich nutzbar zu machen, wird es immer geben. Firmen sind auf ein gewisses Vertrauensverhältnis gegenübe ihren Mitarbeitern angewiesen. Dennoch wird in Deutschland häufig noch zu lasch und zu gleichgültig mit diesem relevanten Thema umgegangen. Vor allem mittelständisch Unternehmen haben es sich noch nicht angewöhnt, ihre Büros regelmäßig auf Wanze überprüfen zu lassen und ihre wichtigen Projekte nicht einfach per Mausklick in die weite Welt zu versenden. Nach wie vor fehlt hierzulande eine entsprechend Gesetzesvorlage, um Industriespionage adäquat bestrafen zu können. Zunächst aber mu Deutschland endlich lernen, den längst laufenden Wirtschaftskrieg ernst zu nehmen
 
     
     
 
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