|
Mit viel Beifall wurden die pragmatischen Ausführungen des serbischen Ministerpräsidenten Dr. Zoran Djindjic bedacht, die dieser am Mittwoch letzter Woche in München vor knapp 250 ausgewählten Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Medien und wissenschaftlichen Einrichtungen machte. Ausrichter der Veranstaltung war die vor einem halben Jahrhundert gegründete Südosteuropa-Gesellschaft.
Bereits in seinen Einleitungsworten wies der 49jährige Djindjic darauf hin, daß es in den letzten zweihundert Jahren kaum eine Krise gegeben habe, die nicht auf dem Balkan begonnen bzw. beendet worden sei. Als Hauptursache nennt er die „ewige Spannung zwischen Staat und Nation“, die immer wieder für Unruhe gesorgt habe.
Wörtlich sagte der Ministerpräsident in geschliffenem Deutsch: „1914 erklärt der deutsche Kaiser dem russischen Zaren den Krieg, und wir auf dem Balkan schlagen uns die Köpfe ein, weil noch Rechnungen aus der Vergangenheit offengeblieben sind. Es wurde nur auf eine Weltkrise gewartet, um die Rechnungen zu begleichen.“
Um heutige Probleme wie die mögliche Abspaltung Montenegros, das Kosovo, die Dezentralisierung der mitteleuropäisch geprägten Wojwodina oder den Umgang mit den Albanern in Südserbien meistern zu können, schlug Djindjic drei Lösungsansätze vor: „De-Emotionalisierung“, „Prioritätenwechsel“ und „EU-Integration“.
Unter „De-Emotionalisierung“ versteht er mehr Gelassenheit: „Man sollte bei einem Reizwort nicht gleich aufspringen, sondern erst einmal nüchtern die Vor- und Nachteile sehen. So soll Montenegro im April oder Mai 2002 selbst über seinen künftigen Status entscheiden, wir in Serbien akzeptieren das. Wir meinen zwar, es wäre besser, zusammen nach Europa zu gehen, aber wir akzeptieren auch ein Nein. Es ist schon genug Zeit verschwendet worden.“
Bermerkenswert findet es der innenpolitisch schwer bedrängte Djindjic in diesem Zusammenhang, daß sich immerhin 58 Prozent der Serben an den Wahlen im Kosovo beteiligt hätten. Als weiteren Beleg für eine neue Gelassenheit nannte Djindjic das Verhalten der Polizei in Südserbien: „Die Albaner erschießen dort zwölf Polizisten, aber die Polizei schießt nicht zurück. Das hat eine politische Lösung ermöglicht.“
Mit „Prioritätenwechsel“ meint Djindjic, daß man sich von Nation und Staat weg orientieren sollte. Der Blick müsse vielmehr auf die Wirtschaft sowie die täglichen Bedürfnisse der Einzelpersonen sowie der Familien gerichtet werden. „Die Leute sollen im Lande bleiben und nicht auswandern - das ist echter Patriotismus“, so der serbische Ministerpräsident.
Djindjic will mit der deutschen Regierung darüber sprechen, jugoslawische Staatsbürger nach Serbien zurückzuholen. „Wir wären froh, wenn sie zurückkämen. Mir schwebt ein Fonds vor, durch den jugoslawische Bürger zwei Jahre die gleichen Gehälter beziehen, wenn sie in Betrieben in Serbien arbeiten. Gerade im Bereich der Eisenbahn und der Wasserwerke haben wir einen Managerbedarf. Wir möchten unsere Landsleute anwerben und sie nach ihren Bedingungen fragen, um beim Aufbau zu helfen.“
Daß es unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Serben einen hohen Anteil an Milosevic-Sympathisanten gab, wertet Djindjic als nicht so dramatisch. „Die Menschen, die in der Diaspora leben, solidarisieren sich halt mit ihrem Staat, ohne zu hinterfragen, welche Partei dort regiert.“
Als dritte Zielsetzung sprach er die europäische Integration an. Im Juni 2000 seien die Serben dem Westen, der NATO, Deutschland und den USA gegenüber noch eindeutig negativ eingestellt gewesen, in bezug auf eine EU-Integration habe sich die Bevölkerung weitgehend neutral geäußert. Doch schon vier, fünf Monate später sei das Bild ein anderes gewesen und 60 Prozent der Menschen betrachteten die Europäische Union positiv.
Die strengen Aufnahmekriterien werde Jugoslawien allerdings „nicht früher als in 10 bis 15 Jahren“ erfüllen, so Djindjic. „Man müßte sich deshalb eine neue Strategie der EU-Erweiterung ausdenken; eine Zwiebelstrategie, in der ein Status zwischen EU- und Nicht-EU-Mitglied existiert. Mit dem harten Kern könnte es einen einheitlichen Wirtschaftsraum geben, daneben die Fast-EU-Mitglieder, die die Kriterien nicht erfüllen.“
Dort - am äußeren Rand der Zwiebel sozusagen - könnte „in die innere Sicherheit investiert werden. Das wäre billiger als Soldaten in Krisenregionen zu stationieren oder hohe Kosten für die Flüchtlinge zu übernehmen. Deutschland hat allein für die Flüchtlinge in den letzten zehn Jahren 40 Milliarden Mark ausgegeben.“
Bis man so einen „Fast-EU-Mitglieds-Status“ erreicht habe, müsse Serbien zunächst durch regionale Kooperation zeigen, daß es EU-reif sei. In fünf bis sieben Jahren wolle man, so die Zuversicht signalisierende Ankündigung des Ministerpräsidenten, an Ungarn, Tschechien und Polen „nahe dran“ sein.
In der anschließenden Fragerunde ging es vor allem um die Zukunft des Kosovo. Djindjic warnte: „Wenn das Kosovo ein eigener Staat wird, wäre das ein gefährlicher Präzedenzfall, der das Konzept der Gewalt stärkt. Das Kosovo würde auf Mazedonien ausstrahlen, Montenegro hingegen nicht. Sollte Montenegro weg wollen, dann wird es den Namen ‚Bundesrepublik Jugoslawien‘ nicht mehr geben. Aber selbst wenn Montenegro bleibt, wird es wohl in Zukunft ‚Serbien und Montenegro‘ heißen.
Was das Kosovo betrifft, so können wir den Albanern nichts Politisches anbieten. Es ist auf beiden Seiten kein Vertrauen da. Das einzige Thema könnten Wirtschaftsinteressen sein. Der Zugang zu EU-Europa wäre nämlich für einen albanischen Staat zunächst gesperrt.“
Am Ende der Münchner Veranstaltung waren sich wohl die meisten Zuhörer darin einig, daß - von allen Meinungsverschiedenheiten zum Kosovo oder zur Rolle der Nationalstaaten im künftigen Europa abgesehen - die Salamitaktik des brillanten Rhetorikers Zoran Djindjic erneut Erfolg hatte.
Wieder war es ihm gelungen, ein Scheibchen der hierzulande besonders tiefsitzenden Ablehnung Serbiens zu entfernen. Da der erkennbar deutschfreundliche Djindjic umgekehrt auch viel dafür tut, in seiner Heimat das Bild Deutschlands aufzubessern, kann man ihm bei seinem Versöhnungswerk nur weiterhin viel Erfolg wünschen.
|
|