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Da der Eroberer Napoleon Bonaparte Franzose und nicht Deutscher war, vermag es kaum zu überraschen, daß die vierteilige Filmbiographie, die unlängst im öffentlich-rechtlichen Zweiten Deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit über ihn zu sehen war, geradezu das Bild eines Sympathieträgers zeichnete, der geläutert durch die Erfahrungen in Rußland Europa den Frieden erklärt. Expressis verbis heißt es seitens des ZDF über Christian Clavier, den Darsteller des Franzosenkaisers in dem Mehrteiler, daß ihn "nicht nur seine "Asterix"-Rolle als Darsteller national
er Heldengestalten qualifiziert". Weiter heißt es in der ZDF-Darstellung des französischen Schauspielers, daß er "die Ticks und Macken seiner Personen als kleine menschliche Schwächen" darstelle. Der vom ZDF dem Zuschauer präsentierte Napoleon ist damit im Grunde auf den Punkt gebracht: ein nationaler Held mit Schwächen. Da eine Darstel- lung der napoleonischen Zeit denkbar ungeeignet ist, das Klischee vom militaristischen, expansionistischen Preußen zu bedienen, kann es ebensowenig verwundern, daß dieser Staat in dem Vierteiler fast keine Rolle spielt. Die Darstellung der Preußen ist mehr oder weniger reduziert auf einen preußischen Kriegsgefangenen, der sich von französischen Soldaten hat erwischen lassen, und eine preußische Königin, die im Angesicht der drohenden Niederlage fluchtartig ihre Truppen verläßt. Symptomatisch für die aktuelle Geschichtspolitik ist auch die Behandlung beziehungsweise Nichtbehandlung der deutsch-russischen Allianz bei der Befreiung des europäischen Kontinents von der Fremdherrschaft der kontinentalen Flügelmacht im Westen. Diese Konstellation während der Befreiungskriege ist halt denkbar ungeeignet als Vorbild und historische Legitimation für die deutsche Westbindung der Gegenwart. Die Westintegration galt in Deutschland jedoch nicht zu allen Zeiten als Bestandteil der Staatsräson und so betrachtete sich beispielsweise das deutsche Kaiserreich weniger als integraler Bestandteil des Westens denn als eigenständige mitteleuropäische dritte Kraft, als Brücke zwischen Ost und West. Entsprechend gering waren seine Hemmungen, sich in die Tradition des Befreiungskampfes mit den Russen gegen die Franzosen zu stellen. Ausgiebig wurden die Freiheitskriege gewürdigt. Dieses galt auch für die Medien. Ein Beispiel hierfür ist das Gedenkblatt der "Königsberger Allgemeinen Zeitung" zum 100. Jahrestag des Beginns der ostdeutschen Landesversammlung, auf der die Beteiligung der Provinz am Kampf gegen Napoleonfrankreich beschlossen wurde. Auf dem Gedenkblatt steht zwar ausdrücklich "Nachdruck verboten", doch erlaubt sich das , das sich als als ideeller Nachfolger der "Königsberger Allgemeinen Zeitung" betrachtet, an dieser Stelle einen größeren Auszug wiederzugeben.

 

Niemals schien unsere Nation dem Untergange so nahe wie 1812, als die große Armee in Rußland kämpfte. Die Deutschen durften nicht einmal dem verhaßten Zwingherren eine Niederlage wünschen; denn jede Schlacht, die er verlor, kostete auch das Blut von Tausenden ihrer Brüder. Gneisenau schrieb verzagt: "Armes Deutschland, von deinen Fürsten zur Sklaverei gezähmt, können deine edelsten Söhne künftig nur für ein fremdes Land fechten." War eine Auferstehung Deutschlands überhaupt noch möglich? Der General nannte es schon ein Glück, wenn es den Briten gelänge, die deutschen Küsten zu erobern und mit ihrem eigenen Reiche zu vereinigen. Dann hätten die Bewohner dieser Gebiete wenigstens als Ersatz für die verlorene Nation eine freie Verfassung.

Zur selben Zeit, wo auch die besten Patrioten schier verzweifelten, war das Licht des neuen Morgens schon aufgegangen. Das alte Wort war wieder Wahrheit geworden: "Da alles verloren war, siehe, da wachte der Herr unser Gott auf." Was Napoleon bis dahin verborgen hatte, ward nach seiner Rückkehr aus Moskau allen offenbar: sein großes Heer war völlig zerstört.

Es irrt durch Schnee und Wald daher

Das große, mächt ge Franzosenheer.

Der Kaiser auf der Flucht,

Soldaten ohne Zucht.

Mit Mann und Roß und Wagen,

So hat sie Gott geschlagen.

Jedoch, war es mehr als ein verlorener Feldzug? War es wirklich ein Gottesgericht? Sofort nach seiner Flucht hatte Napoleon alle Anstalten getroffen, um für das kommende Jahr eine frische Armee aufzustellen, nicht minder zahlreich als die verlorene.

Der Übergang von der dumpfesten Resignation zur Hoffnung war zu plötzlich. Mit dem freudigen Gefühle paarte sich in den deutschen Herzen die Trauer über die eigenen schweren Verluste. Es gehörte ein starker Patriotismus dazu, die wilden Moskowiter, deren Waffen auch von deutschem Blute gerötet waren, als Bundesgenossen zu begrüßen. Fürsten und Volk im alten Reiche glichen den Träumenden, wenn sie der Erlösung gedachten.

Die Konvention von Tauroggen hat unser Volk aus dem bangen Streite der verheißenden und sorgenden Gedanken aufgerüttelt. Der kühne, freie Entschluß Yorks verscheuchte den napoleonischen Alp, jenen lähmenden Fatalismus, dem auch Goethe erlegen war. Ihrem Wortlaute nach war die Konvention nur ein Waffenstillstand. In der Tat verkündete sie aber schon den Krieg gegen den Tyrannen, wenn sie den Russen auch in dem für neutral erklärten Gebiete die Straßen zum Vormarsch frei gab. "Der Mann" ist nicht zu groß! Wir können die Ketten, mit denen er uns gebunden hat, abwerfen, wenn wir nur recht wollen! Das war der Inhalt der frohen Botschaft, die um die Jahreswende aus dem Osten erklang. "Jetzt oder nie ist der Moment", schrieb York seinem König, "Freiheit, Unabhängigkeit und Größe wieder zu erlangen. In dem Ausspruche Euer Majestät liegt das Schicksal der Welt." (...)

Die Zeit drängte; das unklare Verhältnis zwischen Krieg und Waffenbrüderschaft konnte nicht lange aufrecht erhalten werden. Die Russen mußten wissen, woran sie waren, um danach ihre militärischen Maßnahmen einzurichten. (...)

Treitschke hat die Deutschen in dem alten Ordenslande mit Recht "ein Geschlecht, königstreu bis in das Mark der Knochen" genannt. Sie glaubten gewiß zu sein, daß ihr Herrscher sich mit Rußland verbünden würde; denn ein anderer Weg zur Selbständigkeit stand nicht offen. War es da Ungehorsam, wenn sie dem Könige zuvor kamen und alles zum heiligen Kriege für die Freiheit rüsteten?

Es kam nur darauf an, wer in der Provinz die Führerschaft übernehmen würde. (...) In der Provinz fehlte ein Oberbeamter, dem alle Behörden zum Gehörsam verpflichtet waren, oder der wenigstens durch seine Autorität den königlichen Willen ersetzen konnte. (...) Wie die Dinge lagen, mußte das heilige Feuer, das sofort den Brand in der ganzen Provinz hell auflodern ließ, von außen herbeigetragen werden. Und die Preußen mußten durch ihren Landtag die hohe Verantwortung auf ihre eigenen Schultern legen. Die Mission Steins, der mit einer Vollmacht des russischen Kaisers kam, war notwendig. Der Freiherr brachte mit sich den überlegenen Willen, der "durch einen rettenden Entschluß ausführte und gestaltete, was Tausende ersehnten und hofften". Sofort nach seiner Ankunft in Königsberg (22. Januar) beauftragte er den Präsidenten Auerswald, der als Landhofmeister dafür zuständig war, den Landtag zu berufen, um "über die Einrichtung eines Landsturms und einer Landwehr zu beratschlagen und einen Entschluß zu fassen". Die Einheit des Willens und Sollens war nun geschaffen, der bis dahin wegelosen patriotischen Flut die feste Richtung gewiesen. Damit hat aber auch der Einfluß auf die preußische Erhebung, der auf russische Autorität zurückgeht, ein Ende.

Die Preußen sind freiwillig, von niemandem geheißen, für die Errettung des Vaterlandes aufgestanden. Das ist ihr Ruhm, der für alle Zeit mit dem 5. Februar vereint bleibt. Nicht ein einzelner Mann hat sie durch seine oberherrliche Gewalt oder durch die Wucht der Persönlichkeit mit sich fortgerissen. Das ganze Volk hat durch seine Vertreter im Königsberger Landtage den heldenmütigen Entschluß gefaßt und die Verantwortung vor seinem König und vor jedem Untertan in der Provinz auf sich genommen. (...)

Alles war von Stein veranlaßt, mit ihm verabredet worden. Nachdem das "Proponendum", das er auf Grund seiner russischen Vollmacht dem Landtage überschickt hatte, verlesen worden war, erklärte die Versammlung einstimmig, "sie gehe von dem Gesichtspunkte aus, daß ihre Beratungen dann nur auf einen richtigen und bestimmten Zweck geleitet werden könnten, wenn solche von derjenigen Militärbehörde geleitet werden, der sowohl die Gesinnung des Königs, als die eigentlichen Erfordernisse der Armee bekannt seien." Eine Deputation begab sich zu dem ihrer harrenden York und ersuchte ihn, seine Vorschläge oder Forderungen den Ständen bekannt zu machen.

Eine bedeutungsvolle Stunde. Zum ersten Male erschien ein Feldherr von einem Landtage gerufen, um dessen Beschlüssen die Richtung zu geben. Der Unterschied zwischen dem Wehrstande und dem Nährstande, den die Vorfahren ängstlich verteidigt hatten, war völlig verwischt. Der erhabene Gedanke, daß jedermann verpflichtet ist, mit Leib und Leben für das Vaterland einzustehen, das Wort vom Volke in Waffen ward zur Wirklichkeit. Mit dem Beschlusse, den General York zu hören, war der Ausgang der Beratungen schon gegeben.

In seiner Rede betonte York, daß er kraft seiner ihm vom Könige verliehenen Würde als Generalgouverneur zu dem Landtage spräche. Als der treuste Untertan seiner Majestät fordere er die Provinz auf, von deren Treue und Anhänglichkeit er völlig überzeugt wäre, seine Vorschläge zur Bewaffnung des Landes und zur Verstärkung der Armee aufs kräftigste zu unterstützen. Dem strengen, kritischen Mann lag nicht das Pathos. Aber der hohe Ernst der Entscheidung gab seinen Worten Feuerschwung. Er sprach, "von dem, was es jetzt gelte, von der Erniedrigung, die Preußen getragen, von der Hoffnung des Vaterlands. Ich hoffe", schloß er, "die Franzosen zu schlagen, wo ich sie finde. Ich rechne hierbei auf die kräftige Teilnahme aller. Ist die Übermacht zu groß, nun so werden wir ruhmvoll zu sterben wissen!"

Als ihn beim Fortgange aus dem Saale die begeisterten Rufe "Es lebe York!" umbrausten, wandte er sich um und gebot mit ernster Stimme Stille. "Auf dem Schlachtfelde bitte ich mir das aus!"

Dann ging er. "Es war, als wenn nun erst die Herzen gelöst, die ganze Macht des patriotischen Empfindens erwacht sei. Alles, rief man, selbst Weib und Kind müsse sich bewaffnen; das wolle das Vaterland, das wolle der König in seiner Not."

"Vor hundert Jahren": Gedenkblatt der "Königsberger Allgemeinen Zeitung" vom 5. Februar 1913
 
     
     
 
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