|
Die anhaltende Unterdrückung durch die serbischen Machthaber, grassierende Armut und die schwindende Hoffnung, eine politische Lösung herbeiführen zu können, haben in der südserbischen Unruheprovinz Kosovo zu einer Radikalisierung geführt, die mit einem endgültigen Abgleiten ins Chaos enden könnte. Erstmals kam es vergangene Woche zu regelrechten Gefechten zwischen serbischer Polizei und bewaffneten Angehörigen der albanische n Bevölkerungsmehrheit mit mindestens 20 Toten und zahlreichen Verletzten. Anschließend setzte die serbische Polizei Schlagstöcke und Wasserwerfer ein, um eine friedliche Demonstration der Albaner zu "zerstreuen".
Die Eskalation hatte sich in den vergangenen Monaten angekündigt. Meldungen von Überfällen auf serbische Polizeistationen, regelrechten Belagerungen albanischer Dörfer und "befreiten Gebieten", in die sich die serbische Polizei gar nicht mehr traue, ließen auf eine Verschärfung schließen. Dennoch ließ die Regierung in Belgrad keine Anstalten erkennen, sich an die Lösung der Kosovo-Frage zu machen. Hinter den Unabhängigkeitsbestrebungen der Kosovo-Albaner stehe nur ein "Grüppchen von Separatisten", "jede Einmischung von außen" werde strikt abgelehnt, meinten serbische Regierungsvertreter.
Der Aufstieg des heutigen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic hatte 1987 mit einem Besuch im Kosovo begonnen. Mit seinem an die dort lebenden Serben gerichteten Versprechen "Niemand darf euch schlagen!" beschleunigte er auf der nationalistischen Welle seine Karriere. Zwei Jahre später schaffte Belgrad die in der jugoslawischen Verfassung verankerte Autonomie des Kosovo ab. Die Albaner protestierten daraufhin mit Massendemonstrationen. Die Niederschlagung der Proteste forderte Tote und Verletzte. Die Kosovo-Albaner, die 90 Prozent der zwei Millionen Einwohner der Provinz stellen, antworteten mit der Ausrufung einer eigenen Republik.
Seitdem stehen Repressionen an der Tagesordnung. Belgrad regiert im Kosovo mit einem Massenaufgebot an Polizei und Militär. Seit 1991 sind die Universitäten und Schulen für Albaner geschlossen. Rund 350 000 albanische Volks- und Hauptschüler sowie etwa 20 000 Studenten sind auf ein illegales Bildungswesen angewiesen, das in Kellern und Privatwohnungen aufgebaut wurde. Die Zeugnisse sind in den anderen Teilen Serbiens nichts wert. Nicht selten wurden Demonstrationen albanischer Studenten brutal auseinandergetrieben. An der "illegalen" albanischen Universität werden mehr als 20 000 Studenten unterrichtet, wobei die Studiengebühr zwischen 70 und 140 DM pro Semester beträgt; eine beachtliche Summe, wenn man bedenkt, daß mehr als 75 Prozent der Albaner arbeitslos sind. Trotzdem ist in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, alles zu haben gegen DM, versteht sich, die für die hauptsächlich geschmuggelten Waren zu entrichten sind. Die unsichere Lage lieferte in der Provinz den Nährboden für die Entstehung der Mafia, die sich auch mit Drogenhandel beschäftigt, der angeblich über den Nahen Osten ins Land kommt. Die sogenannte "Albaner-Mafia" soll sogar der russischen Konkurrenz machen. Von der Albaner-Mafia werden angeblich auch Spielkasinos, Prostitution und Drogenhandel in Wien, Prag, München und Frankfurt kontrolliert. 1992 organisierten die Kosovo-Albaner von Belgrad nicht anerkannte Parlaments- und Präsidentenwahlen. Der Albaner-Führer Ibrahim Rugova und seine Partei LDK erhielten die meisten Stimmen. Der damals (serbische) Präsident Milosevic schloß im September 1996 mit Rugova ein Abkommen über die Normalisierung des Schulwesens. Das Abkommen ist ungeachtet internationaler Vermittlungsbemühungen bis dato nicht umgesetzt worden, was Rugovas Position schwächte.
Sein Weg des gewaltfreien Widerstands scheint einigen Kosovo-Albanern nicht mehr ausreichend zu sein. Das Auftauchen der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK), einer Untergrundorganisation, deren Angriffe sich bisher meist gegen serbische Polizeistationen sowie regimetreue Kosovo-Albaner gerichtet haben, ist das deutlichste Anzeichen dafür. Nach Angaben von Experten wurden 1997 große Waffenmengen aus Albanien in den Kosovo geschleust. Keine einzige der politischen Parteien der Kosovo-Albaner hält eine Lösung unter serbischer Rechtsprechung noch für möglich. Sie treten für die uneingeschränkte Selbständigkeit im Rahmen einer eigenen Republik ein.
Die im Kosovo (etwa 11 000 Quadratkilometer groß) lebenden Serben stellen gerade neun Prozent der Bevölkerung. Vor allem junge Serben kehren dem Unruheherd den Rücken. Statistiker haben errechnet, daß im Kosovo, der als "Wiege des Serbentums" gilt, Mitte des nächsten Jahrhunderts Serben nur noch zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen werden. Viele der noch im Kosovo lebenden Serben sollen sich in anderen Teilen Serbiens bereits ein neues Zuhause geschaffen haben. Sie sitzen somit auf gepackten Koffern.
|
|