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Der Mann gehört zuerst Preußen an, sodann aber auch der Welt, - sein Ruf und Ruhm sind gründlich, und so darf man denn wohl etwas unternehmen, um sich mit ihm und den seinigen zu erfreuen." Diese bei Goethe nicht gerade alltägliche besondere Hochschätzung eines anderen gilt dem am 14. Mai 1752 im lüneburgischen Celle geborenen Albrecht Daniel Thaer.
Er wurde wie sein Vater Arzt. Vier Jahre studierte er Medizin in Göttingen, widmete sich in seinem Studium aber auch der Philosophie und Literatur. 1774 promovierte er in lateinischer Sprache über das "Verhalten des Nervensystems bei Fieberanfällen". Während seines Studiums begegnete ihm nicht nur der spätere preußische Staatskanzler Hardenberg, der damals sein Kommilitone war. Vielmehr brachte ihn sein Freund Johann Anton von Leisewitz, der Dichter des Epos "Julius von Tarent", auch mit dem Göttinger Hainbund und dessen religionsphilosophischen Debatten in Verbindung.
Die bis ins mittlere 19. Jahrhundert Lessing zugeschriebene Abhandlung "Über die Erziehung des Menschengeschlechtes" ist nach Andeutungen von Thaer selber und nach Untersuchungen seines ersten Biographen Körte tatsächlich eine Arbeit von Thaer, die über den Hainbund zu Lessing gelangte und von ihm nach einer Überarbeitung als Abhandlung "eines unbekannten Verfassers" herausgegeben wurde. Dieses Werk paßt überzeugend zum Gedankengebäude, das Thaers Leben ausmacht. Die Pioniere der Agrarwissenschaften waren bewußt oder unbewußt fast die leidenschaftlichsten Pestalozzi-Jünger ihrer Zeit. Sie wollten eine wissenschaftliche Landbautheorie und eine darauf aufgebaute Praxis, die mit Unterricht, Lehre und Erziehung verbunden sein sollte. Seine in gleicher Rolle tätigen Zeitgenossen, in Ungarn der Graf Festetits, in Österreich der Kärntner Arzt Johann Burger, in Süddeutschland die Pädagogen und Juristen Johann Nepomuk Schwerz und Max Schönleutner sowie in der Schweiz der Arzt und Pädagoge Philipp Emanuel von Fellenberg, haben sämtlich aus gleichen pädagogischen Ansätzen gehandelt, oft von Thaer angeregt.
So wie das Gedanken- und Lehrgebäude des Ostdeutschland Johann Gottfried Herder, der zum erstenmal die Volkskultur in den Mittelpunkt der Kulturbetrachtung stellte und der die heutige Sozial- und Mentalitätsgeschichte geschaffen hat, sind die modernen Agrarwissenschaften ein Produkt der Aufklärung und finden gerade durch die philosophisch-literarische Orientierung des Arztes Thaer einen ihrer Ursprünge in den kantianischen "Träumen der Vernunft".
Als Arzt hatte sich Thaer vom magischen Denken verabschiedet und versucht, auf der Grundlage nachprüfbarer Erkenntnis zu handeln. Dieses Denken machte ihn zum Begründer der landwirtschaftlichen Experimentalwissenschaft und zugleich einer wissenschaftlichen Wirtschafts- und Organisationslehre des Landbaus.
Thaer hat schon in Celle mit der Einrichtung einer landwirtschaftlichen Lehranstalt begonnen. Zum Glück für ihn selbst, für Preußen und schließlich für die europäische Landwirtschaft ist er aber 1804 dem Drängen des preußischen Staatskanzlers Harden-berg gefolgt und nach Preußen gegangen. Obwohl eigentlich die für Thaer eingerichtete Professur an der Berliner Universität von Humboldt dafür gedacht war, das Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit zu werden, wurde es statt dessen das 350 Hektar große Gut Möglin am Rande des Oderbruchs. Für die Freunde der Eichendorff-Dichtung sei angemerkt, daß das Gut ab 1380 für rund 100 Jahre den Eichendorffs gehört hatte. Das Rittergut Barnim, auf dem der erste schlesische Eichendorff, Jakob, um 1595 geboren wurde, ist nicht weit entfernt.
Was Thaer in 24 Jahren in Möglin geschaffen hat, ist fast noch zu seinen Lebzeiten ein Evangelium für Landwirte, Pflanzenbauer, Tierzüchter, Betriebswirte und Agrarpädagogen geworden. Ihm ist es gelungen, die Visionen von Ärzten wie Paracelsus, Agrippa, des Tschechen Hagecius oder des Italieners Artano, denen allen die Medizin als eine Universalwissenschaft galt, in der Philosophie, Magie, Naturkunde und ärztliches Handeln zusammengeführt werden, für die Landwirtschaft zu verwirklichen. Er fand das Gleichgewicht zwischen Erfahrungs- und Experimentalwissenschaft. Ein beispielhafter Beleg dafür ist der Aufstieg Thaers zum erfolgreichsten Schafzüchter Deutschlands. Schafzucht ist eines der schwierigsten Gebiete der praktischen Tierzucht überhaupt. So exzellente Erfolge wie Thaer konnte damals vielleicht überhaupt nur ein Arzt als Tierzüchter erzielen.
Thaer hat in Berlin auch mit der Schaffung der Grundlagen einer wissenschaftlichen Tierheilkunde mit einer entsprechenden Ausbildung begonnen, den Hufbeschlag eingeschlossen. Im preußischen Landgestüt Trakehnen wurde seine Hufbeschlagslehre zum Standard, wobei er ähnlich wie der Ungar Festetits an englische Vorbilder hat anschließen können. Das von ihm gelehrte "ökologische" Agrarsystem wurde vor allem im Anbau von luftstickstoffsammelnden Klee- und Luzernepflanzen, im Feldgrasanbau sowie in der Ausbreitung von Industriepflanzen wie Ölraps und Faserpflanzen verwirklicht. Bis 1846 hatten diese Maßnahmen ausgereicht, um das rasende Bevölkerungswachstum aufzufangen, doch dann kamen nacheinander zwei Mißernten und eine Explosion von Pflanzenkrankheiten, die der Intensivanbau und die Ausbreitung von Monokulturen sehr begünstigten. Am Ende stand die Revolution von 1848 - die Erfolge der Agrarreformen hatten ihren ökologischen Preis gefordert.
Zu seinen großen Leistungen für die Tierhaltung und die Ernährungsphysiologie der Wiederkäuer gehört die Einführung eines für seine Zeit wissenschaftlich exakten Wertmaßstabes für die - damals ausschließlich aus dem eigenen Boden erzeugten -- Futterstoffe, der sogenannte Heuwert.
In seiner lehrenden und forschenden Tätigkeit war Thaer an der Ausarbeitung der preußischen Agrarreformgesetze beteiligt. Dieses galt insbesondere für die Zeit ab 1809, als er zum Staatsrat im Ministerium des Inneren ernannt wurde. Nach dem Geschäftsverteilungsplan hatte er sich mit den gesetzlichen Grundlagen bei der Aufteilung der Allmenden und der Aufhebung des Flurzwanges zu beschäftigen. Was wir heute "Flurbereinigung" nennen, geht auf diese Reformen zurück, die sich ihrerseits an niederländischen Vorbildern aus dem 17. und 18. Jahrhundert orientierten.
In seinem letzten Lebensjahrzehnt hatte Thaers Tätigkeit in der preußischen Staatsverwaltung kaum noch Bedeutung. Dadurch konnte er selbst die von ihm am meisten geschätzte Lehrtätigkeit in den Mittelpunkt seiner letzten Jahre stellen. 1826 schrieb er an seinen Schwager Jacobi in Celle: "Wir haben nun bald unsere Laufbahn auf dieser Welt beendet. Wir können vor vielen anderen sagen, daß unser Leben köstlich gewesen." Thaer starb am 26. Oktober 1828.
Theodor Fontane schließt in seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" seine Schilderung Möglins vor Thaers Grab so: "Wir aber nehmen Abschied jetzt von dieser Stätte und von Möglin. Unser Heimweg führt uns an dem Grabhügel vorüber, der in Blumen steht, rot und weiß, als gäb es keinen Herbst und kein Scheiden. Die alte Steinkirche daneben, die schon so vieles überdauert, wird vielleicht auch diesen Hügel überdauern, aber nicht das Andenken an ihn, der unter diesem Hügel schläft |
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