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Christa Stewens

 
     
 
Ein oft zitiertes Sprichwort besagt: "In Bayern gehen die Uhren anders." Kenner des Freistaats bestätigen das, oft mit dem Zusatz: "Da gehen sie richtig!" Ob diese Einschätzung auch mit der Feststellung des vor 15 Jahren verstorbenen Franz Josef Strauß zu tun hat, die Bayern seien "Deutschlands letzte Preußen" - diese und andere Fragen stellten wir der CSU-Politikerin Christa Stewens in München.

Frau Ministerin, Sie haben kürzlich in Ihrer Rede zum 25. Jahrestag der Patenschaft des Freistaates Bayern für Ostdeutschland mehr "preußische Tugenden
" für Deutschland angemahnt. Das klingt ja im ersten Moment aus dem Munde einer bayerischen Staatsministerin etwas ungewöhnlich. Wie "preußisch" sind die Bayern denn nun wirklich?

Stewens: Wenn ich von den preußischen Tugenden spreche, dann denke ich an Toleranz und Aufrichtigkeit, an Zivilcourage, Pflichtbewußtsein und Leistungsbereitschaft. Dies alles sind Werte, an denen wir uns auch in Bayern messen und orientieren. Es sind Werte, die für uns alle unverändert Aktualität haben, unabhängig davon, in welchem Teil Deutschlands wir leben. Eine Gesellschaft, in der Egoismus und extremer Individualismus häufig jeglichen Gemeinsinn in den Hintergrund drängen, kann die Her-ausforderungen der Zukunft nur schwer meistern. Gerade dann, wenn an Leistung und Motivation immer höhere Ansprüche gestellt werden, bedarf es eines festen Wertegerüstes; hierzu gehören nach unserem bayerischen Selbstverständnis auch Heimat und Familie als wichtige Bezugs- und Orientierungspunkte.

Nehmen wir das Beispiel Familie: Das traditionelle, immer noch unter dem Schutz des Grundgesetzes stehende Leitbild der Familie ist heute weitgehend demontiert, um nicht zu sagen demoliert. Welche politischen und gesellschaftlichen Kräfte machen Sie dafür verantwortlich?

Stewens: Die Familie ist der unverzichtbare Grundbaustein unserer Gesellschaft. In der Familie finden Kinder Geborgenheit, Fürsorge, Verläßlichkeit und Liebe. Hier werden den Kindern durch die Erziehung wichtige soziale und gesellschaftliche Werte vermittelt, die für ein Zusammenleben unerläßlich sind. Der Generationenvertrag, auf dem unser gesamtes Sozialversicherungssystem aufbaut, kann nur durch Familien erfüllt werden. Die Familien leisten somit Unersetzbares - für die Gesellschaft, den Staat und den einzelnen. Und die Medien werden nicht müde, das Märchen zu verbreiten, Familie werde heute von den meisten nur noch unter "ferner liefen" gesehen. Jedoch sagen uns alle Umfragen in den vergangenen Jahren bis in die jüngste Zeit, daß Familie als Lebensziel von jungen Menschen, aber auch von Erwachsenen an vorderster Stelle ihrer Lebenswünsche steht. Gleichwohl hat die rot-grüne Bundesregierung die herausragende Stellung der Ehe in unserer Verfassung durch die gesetzliche Verankerung der Lebenspartnerschaft in unverantwortlicher Weise relativiert.

Hätten zum Beispiel die Kirchen da nicht besser aufpassen müssen?

Stewens: Ich denke schon, daß sich die Kirchen hin und wieder engagierter für die Familie einsetzen könnten. Aber zur Verteidigung der Kirchen - sie setzen sich in Wort und Tat mehr als viele andere Institutionen für "Ehe und Familie" ein.

Preußen war überwiegend protestantisch geprägt, Bayern eher katholisch. Sehen Sie hier in bezug auf das Familienbild einen Gegensatz oder eher Verbindendes, Allgemein-christliches?

Stewens: Bei meiner täglichen politischen Arbeit setze ich ganz eindeutig auf christliche Werte anstatt auf ein Auseinanderdividieren von protestantischen oder katholischen Weltanschauungen. Ich denke, daß gerade im Alltag die Ökumene von entscheidender Bedeutung ist.

Sie sind ja mit Ihrem Ministerium auch für "Frauen" zuständig. Wenn man als Eckpunkte nimmt: einerseits das urchristlich-apostolische Verständnis der Frau, die "in der Gemeinde schweigen" und ansonsten "dem Manne untertan" sein soll, andererseits die ideologisch geprägte, "männermordende" Emanze - wo würden Sie da Ihr Frauenbild ansetzen?

Stewens: Weder "Untertan" noch "männermordende Emanze", ich habe als Frau und auch als Ministerin kein bestimmtes Frauenbild. Klischeehafte Rollenbilder werden der Frau im 21. Jahrhundert in keiner Weise gerecht. Wichtig ist, die Vielfalt an individuellen Lebensmodellen zu unterstützen und Frauen und Männern ein möglichst hohes Maß an Wahlfreiheit für ihre individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen. Erstrebenswert erscheint mir vor allem echte Partnerschaft zwischen den Geschlechtern, eine gerechte Aufteilung von Familien- und Erwerbstätigkeit zwischen Frauen und Männern und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an allen Berufsgruppen sowie in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.

Das Bild, das sich viele so genannte "Nordlichter" von der "typisch bayerischen" Frau machen - ist das nicht besonders typisch für all die Vorurteile gegenüber den Bayern?

Stewens: Bereits im 19. Jahrhundert gab es die Klischees vom urwüchsig-unbedarften Alpenbewohner und vom großstädtisch-arro- ganten Sommerfrischler. Dieses Bild gehört der Vergangenheit an, genauso wie Bayern längst den Strukturwandel von einem stark landwirtschaftlich geprägten Bundesland hin zu dem Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschlands geschafft hat. Die Zuwanderungsbewegungen aus den anderen Bun- desländern zeigen, daß die Attraktivität Bayerns deutschlandweit bekannt ist.

Bayern, das bedeutet: hohe Wirtschaftsleistung, Hochtechnologie, gute Infrastruktur, niedrige Arbeitslosigkeit, herausragendes Kultur- und Bildungsniveau, vorbildliche öffentliche Sicherheit, lebenswerte Lebensbedingungen und eine Politik, auf die Verlaß ist.

Davon profitieren Frauen und Männer. Neben das bekannte "Laptop und Lederhose" setze ich deshalb "Digital und Dirndl" - die Zukunft ist weiblich. Die Rahmen- bedingungen für Frauen und Mädchen in Bayern können sich mehr als sehen lassen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt bei 52 Prozent. Mädchen stellen fast 53 Prozent der bayerischen Abiturienten - und sind dabei übrigens um 0,3 Notenstufen besser als die Jungen. Der Studentinnenanteil beträgt derzeit gut 50 Prozent und der Frauenanteil an den Beschäftigten (45 Prozent) und den Auszubildenden (47 Prozent) übertrifft den Bundesdurchschnitt (44 beziehungsweise 43 Prozent). Mit einer Frauen-Erwerbs- tätigenquote von mehr als 63 Prozent ist Bayern deutschlandweit Spitze.

Auch das kommt nicht von Ungefähr: Kein anderes Land betreibt eine so aktive Familienpolitik und kein anderes Land setzt ein ähnlich ehrgeiziges Konzept zum Ausbau und zur Qualitätssteigerung der Kinderbetreuung um wie der Freistaat Bayern. Bayern erreicht in der Kinderbetreuung schon heute einen Versorgungsgrad wie kein anderes westliches Flächenland.

Aus einem Interview mit Franz Josef Strauß habe ich einen Satz noch besonders gut in Erinnerung: "Konservativ sein kann auch heißen, an der Spitze des Fortschritts zu stehen." (Er verband das damals mit dem Hinweis, daß ausgerechnet das angeblich so rückwärtsgewandte Bayern europaweit das erste Land mit einem eigenständigen Umweltministerium war.) Kann man ein solches Verständnis von "konservativ", auch auf andere Politikfelder bezogen, als eine Art politische Richtschnur der Staatsregierung und der sie tragenden Partei, der CSU, bezeichnen?

Stewens: Eine zukunftsorientierte und dabei ganzheitliche, längerfristig ausgerichtete Politik muß zwei gleichrangige Schwerpunkte haben: die Zeichen der Zeit zu erkennen und an Bewährtem festzuhalten. Beides ist Teil der Identität der Staatsregierung. Fortschrittlich und konservativ sind keine Gegensätze. Ein prägendes Merkmal des konservativen Denkens ist gerade die Nachhaltigkeit. Die Staatsregierung nimmt Gewachsenes und Bewährtes zunächst einmal in Schutz: Veränderungen dürfen nicht Selbstzweck sein. Die Staatsregierung ist zugleich aber auch offen für Veränderungen: Denn damit Dinge so gut bleiben, wie sie sind, müssen wir zulassen, daß sich etwas verändert - Konservative stehen in diesem Sinne für eine Politik des durchdachten Fortschritts.

Durchdachter Fortschritt ist belastbar und bringt deshalb voran. Franz Josef Strauß hat dies mit seinen Worten "Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts zu stehen" auf den Punkt gebracht.

Um noch einmal das oben bereits erwähnte christliche Familienbild anzusprechen: Können die von der rot-grünen Bundesregierung in Gang gebrachten Sozialreformen, soweit ihnen ein völlig anderes Familienbild zugrunde liegt, von den unionsregierten Ländern mit getragen werden? Oder muß da - bei allem Zwang zu vernünftigen Kompromissen und zu Konsens - im Bundesrat nicht doch gegengehalten werden?

Stewens: Wir werden alles daransetzen, im Bundesrat Verbesserungen für die Familie zu erreichen. Wir brauchen eine Familienkomponente in der Rentenversicherung. Der generative Beitrag der Familien wird - auch in den Vorschlägen der Rürup-Kommission - zu wenig beachtet. Mein Vorschlag eines bayerischen Solidarmodells liegt seit mehr als zwei Jahren auf dem Tisch. Er ist die konsequente Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2001 und sieht vor, Beitragszahler mit Kindern pro Monat und Kind um 51 Euro zu entlasten. Darüber hinaus schlage ich vor, die Abschläge bei vorzeitigem Rentenbezug familiengerecht zu struk- turieren. Das heißt, bei einer Altersrente vor dem 65. Lebensjahr sollen Eltern geringere Abschläge hinnehmen müssen als Kinderlose. Auch bei der privaten Altersvorsorge muß Personen mit Kindern eine wesentlich verbesserte staatliche Förderung zuteil werden.

Wenn Sie die rot-grünen Reformprojekte, soweit sie inzwischen im Detail bekannt sind, bewerten: Ist da überhaupt eine familienpolitische Leitlinie erkennbar?

Stewens: Eine familienpolitische Leitlinie kann ich bei den rot-grünen Reformprojekten nicht erkennen. Allenfalls sehe ich die Absicht, einseitig die berufstätige Frau und Mutter zu begünstigen, ohne den Familien eine echte Wahl zu lassen.

In diesem Zusammenhang spielt die demographische Entwicklung eine wichtige Rolle. Haben die Politiker, insbesondere die Parteien, die wahre Dimension dieser Problematik eigentlich richtig erfaßt?

Stewens: Die Unionsparteien haben als erste die wahre Dimension und die Herausforderung der demographischen Entwicklung für unsere sozialen Sicherungssysteme erkannt. Im Gegensatz dazu hat die SPD-geführte Bundesregierung den von der Union schon vor Jahren eingeführten Demographiefaktor in der Rentenformel als unsozial verteufelt und abgeschafft. Heute muß sie eingestehen, daß er zur Sicherung der Generationengerechtigkeit unverzichtbar ist. An die Stelle einer willkürlichen Rentenformel wollen wir einen verläßlichen Demographiefaktor setzen, der die Entwicklung der Lebenserwartung berücksichtigt und die Lasten gerecht auf die Schultern von Beitragszahlern und Rentnern verteilt.

Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten hat kürzlich einen Resolutionsentwurf eingebracht, in dem die Einführung eines Familienwahlrechts gefordert wird. Was halten Sie von dieser Initiative? Glauben Sie, daß auf diese Weise die Stellung der Familie mit Kindern gesellschaftlich und politisch gestärkt werden kann? Und könnte das dazu beitragen, langfristig den verhängnisvollen demographischen Trend umzukehren?

Stewens: Die Bayerische Staatsregierung begrüßt alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Belange unserer Familien und Kinder besser zu berücksichtigen. Schon die Diskus-sion über das Familienwahlrecht stärkt den Blick für die zukunfts- und wohlstandssichernden Leistungen, die in den Familien erbracht werden. Den Vorschlag zur Einführung eines Familienwahlrechts hält die Bayerische Staatsregierung deshalb auch für diskussionswürdig. Der Weg zu einem Familienwahlrecht ist allerdings ein weiter, denn er erfordert eine Verfassungsänderung. Und über viele Einzelprobleme muß man noch reden. Bei der Diskussion um das Familienwahlrecht sollte man aber die Kernaufgaben der Familienpolitik nicht aus dem Blick verlieren: Verläßliche finanzielle Rahmenbedingungen und bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote sollten weiterhin und unabhängig von der Einführung eines Familienwahlrechts Schwerpunkte unserer Familienpolitik sein.

Die Familie ist der Grundbaustein unserer Gesellschaft. Der Demographiefaktor - unverzichtbar zur Zukunftssicherung

"Werte, die für uns alle unverändert Aktualität haben": Die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Christa Stewens, plädierte im Gespräch mit Nina Schulte nachhaltig für eine Stärkung der preußischen Tugenden.

 
     
     
 
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