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Da sträuben sich dem Leser die Haare

 
     
 
Schon wieder Hitler und Stalin" - oder auch "Immer noch Hitler und Stalin" - oder auch "Wie lange noch Hitler und Stalin" - so oder so ähnlich mag mancher murmeln, wenn er das neueste Werk von Werner Maser in Buchhandlungen sieht. Ist denn mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende dieser beiden Despoten nicht schon alles gesagt und geschrieben, was es dazu auszuführen gibt? Gerade wer so fragt oder denkt, sollte sich das neueste Buch von Maser beschaffen. Auch wenn zu dem, was allein dieser Autor in mehr als zehn umfangreichen und in mehrere Sprachen übersetzten, international
vertriebenen und weltweit anerkannten Büchern publiziert hat, nun noch einmal 478 kompakte Druckseiten hinzugekommen sind, macht gerade diese jüngste Arbeit Masers deutlich, daß zu dem Thema Hitler, Stalin, ihr verbrecherisches Wirken und ihre furchtbare Hinterlassenschaft, noch längst nicht alles gesagt und vor allem geschrieben ist.

Wie der Titel schon ausdrückt, hat Maser zu den (auch von ihm verfaßten) bekanntesten Biographien, biographischen Beschreibungen und historischen Betrachtungen nicht einfach nur eine weitere, neue oder auch nur eine erneuerte Betrachtung hinzugefügt. Er hat es sich vielmehr zur Aufgabe gemacht, an Hand der erweiterten Möglichkeiten, die seit der "historischen Wende" von 1989/90, der fortgeschrittenen Zeit, die das Öffnen bisher verschlossener Archive mit sich brachte sowie der Befragung von Zeitzeugen, die unter den despotischen Verhältnissen des roten Sozialismus sich entweder nicht frei äußern konnten oder lügen mußten, bisherigen Quellen noch einmal nachzugehen und sie auf Stichhaltigkeit abzuklopfen. Elf Seiten umfaßt das bibliographische Register, nicht gezählt die zahlreichen Fußnoten und im Text in Klammern eingefügten Erläuterungen und Zusatzhinweise auf Quellen oder solche, die sich dafür ausgaben, sowie Fotos und Dokumentenkopien, welche der Autor als bisher unveröffentlichte Tatsachenbelege erstmals der Öffentlichkeit vorstellt.

Aber nicht nur das macht den Reiz und vor allem das Gewicht des Buches aus. Seine Forschungen decken vielmehr auf, was viele Autoren, wären sie früher nur exakter, redlicher, wissenschaftlich ernsthafter, ohne ideologische Scheuklappen, weniger dem jeweiligen Zeitgeist und vor allem der Political Correctness folgend - eben einfach nur wissenschaftlich ehrlich - vorgegangen, schon viel früher hätten ermitteln können. Daher trifft der Titel "Fälschung, Dichtung und Wahrheit ..." durchaus den Kern seines Werkes. Und nicht ohne Grund spricht er deshalb im Vorwort aus, daß "dieses Buch keinen einhelligen Beifall finden wird", weil der Autor niemanden schont und auch gegenüber sich selber ehrlich genug ist, an wenigen Stellen zuzugeben, daß frühere Aussagen von ihm aus heutiger Sicht ebenfalls gewisser Klarstellungen oder Ergänzungen bedürfen. Aber das sind Marginalien. Dominant sind jene Fakten, die vorgestanzte "Belege" vielfach hochgelobter Autoren in das Reich der Fabel verweisen.

Maser geht, wie wir das von ihm seit jeher gewohnt sind, akribisch vor. In 41 Kapiteln "grast" er Hitler von seiner Geburt bis zu dessen unrühmlichen Selbstmord ab. Dabei räumt er gleich zu Anfang mit allen Legenden vom angeblich geborenen Schicklgruber, dem vermeintlich armen Schlucker und minderbemittelten Hilfsarbeiter in Wien, bis hin zu der von Hitler selbst in die Welt gesetzten Lüge vom "Parteimitglied Nummer 7" durch konkrete Belege und Dokumentenkopien auf. So geht es in den Kapiteln weiter über Schulzeit, familiäres Umfeld, erdichtete und tatsächliche Freundschaften und Bekanntschaften, den Ersten Weltkrieg und seine Soldatenzeit, den Beginn seiner politischen Karriere bis hin zum "Führer und Reichskanzler". Dies wohlgemerkt nicht als chronologisch gefaßte neue Biographie, sondern dargestellt an Schlüsselereignissen und bisher als "erwiesen" vorgestanzten Beschreibungen. Es war reizvoll für den Rezensenten, so manches seiner Hitlerbücher aus den Regalen zu nehmen und noch einmal nachzulesen, was auch er bisher für bare Münze genommen hatte. Daher ist das Buch eher als Lexikon denn als biographischen Bericht zu erkennen. Man wird in Zukunft immer wieder auf diesen neuen Maser zurückgreifen, wenn man sich mit Hitler, Stalin und ihrer Zeit beschäftigt.

Das betrifft insbesondere die Kapitel über den Zweiten Weltkrieg und die Nennung von Hitler und Stalin im Titel. Auch hier erweist sich Maser wieder als der unbestechliche Historiker wie wir ihn schon aus seinen bisherigen Arbeiten kennen. Für ihn zählen zuerst Fakten, und die müssen belegbar sein und belegt werden. Da nimmt er nicht im mindesten Rücksicht darauf, daß einige besonders "politisch Korrekte" wahrscheinlich mit der Schimäre kommen werden, hier stelle er die beiden Despoten "auf eine Stufe", was dem "Herunterspielen der Singularität des Holocaust" gleichkomme. Maser pflückt bisher genannte Opferzahlen - und zwar sowohl die des braunen wie des roten Totalitarismus - auseinander, deckt viele "Quellen" als bloße Erfindungen, Spekulationen und bewußt in die Welt gesetzte Lügen auf und stellt dagegen, was inzwischen bewiesen werden kann und wahrscheinlich nie mehr exakt zu beweisen sein wird. Hier reizte es den Rezensenten, Zitate aneinander zu reihen, was jedoch Sinn und Umfang einer Besprechung sprengen würde.

Besonders hervorzuheben ist jedoch Masers wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sogenannten Augen- oder Ohrenzeugenberichten und den durch Dokumente belegten Tatsachen. Hier geht es ihm nicht darum, Zeitzeugen generell als unseriös oder gar als Aufschneider, Wichtigtuer oder bewußte Lügner herabzusetzen, obwohl er auch solche mit Belegen überführt. Aber er mahnt alle an, die sich publizistisch mit dem Thema befassen, Aussagen dahingehend zu überprüfen, ob sie durch Dokumente, Tatsachenaufzeichnungen oder welche Belege auch immer Nachprüfungen standhalten. Da sträuben sich dem Leser förmlich die Haare hinsichtlich der Legendenbildungen, Fälschungen, Lügen, teils Übertreibungen, teils Vertuschungen und bewußten politischen Instrumentalisierungen für kurzlebige Zeitgeisteffekte, die sich insbesondere das Fernsehen und die sogenannten "bunten Blätter" leisten. Das aber ebenfalls nicht als Schimpfkanonaden eines überpeniblen und inzwischen in die Jahre gekommenen Professors, sondern, wie alles in diesem Buch, mit der Aufzählung von Daten und Fakten, die alle für sich sprechen.

Ein bisher unterbelichtetes Kapitel des Themas Hitler wird ebenfalls aufgehellt: Die fast totale Fehlbeurteilung dieser Person wie seiner politischen Ziele vor 1933 durch die publizistische wie literarische Linke. Von Tucholsky über Ossietzky bis zu den Gebrüdern Mann reichen Masers Zitate derer, die Hitler entweder total unterschätzten oder gar in ihm einen "Erneuerer" des von der "Intelligenzija" (oftmals wortgleich mit Hitler) verächtlich gemachten "Weimarer Systems" sahen. Hier sind durchaus Parallelen zur Gegenwart zu erkennen, insbesondere bei Historikern aus dem früheren Sowjetbereich, die sich noch immer nur schwer von der stalinistisch-marxistischen "Geschichtsbetrachtung" trennen können. Fazit: Dieses Buch ist ein herausragendes Dokument der Zeitgeschichte, dem größtmögliche Verbreitung zu wünschen ist. Fritz Schenk

Werner Maser: "Fälschung, Dichtung und Wahrheit über Hitler und Stalin", Olzog, München2004, geb., 480 Seiten, 34 Euro

 
     
     
 
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