|
Hans, von dir wird mal die Traufhöhe übrigbleiben", ließ der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit seinen "Chefarchitekten" Hans Stimmann einst wissen. Damit hat er die Arbeit des scheidenden Senatsbaudirektors spöttisch auf einen ziemlich schnöden Begriff aus dem Baurecht reduziert. Zu Unrecht.
Sozialdemokrat Stimmann hat wie kein anderer das heutige städtebauliche Bild der wiedererstandenen deutschen Hauptstadt geprägt. Nach der Vereinigung hatte Stimmann tiefe Wunden zu schließen, zwei unterschiedliche, auch widersprüchliche Stadthälften baulich zu vereinigen.
Die neue Mitte Berlins ist wie ein städtebaulicher Fokus, an dem sich konzentriert alles findet, was architektonisch denkbar ist: hier der Potsdamer Platz mit seinen Wolkenkratzern im Mini-Format, etwas nördlich davon das futuristische Kanzleramt, von dort quer durch die alte Mitte die historische Kulisse Unter den Linden und an deren östlichem Ende schließlich die weltberühmte Museumsinsel.
Beispiel Museumsinsel: Wenn Angela Merkel morgens aus ihrer Wohnung am Kupfergraben schaut, dann sieht sie das Pergamonmuseum, dahinter die gesamte Insel. Dort stehen Baukräne, weil das Unesco-Kulturerbe mit Milliarden-Aufwand rekonstruiert wird. Das Bodemuseum ist deswegen zur Zeit geschlossen, das Neue Museum bereits wiederaufgebaut. Die Alte Nationalgalerie dagegen ist längst fertig und beherbergt Ausstellungen - so zum Beispiel im vergangenen Jahr die "Goya"-Sammlung.
Wenn die Kanzlerin dann mit der Staatskarosse in ihr Kanzleramt fährt, dann bekommt sie ein optisches Kontrastprogramm vorgeführt, das größer kaum sein könnte. Ein großer Bau von außen, aber wenig Nutzfläche im Innern. Viele Flure verlieren sich im Gebäude, die Arbeitszimmer sind fast schon winzig.
Ähnlich sind die großen Gebäude für die Abgeordneten (darunter die Glasburgen, die nach Marie Elisabeth Lüders und Paul Löbe benannt sind): Viele Licht, große Innenhöfe, viel Freifläche im Innern. Aber verhältnismäßig wenig Arbeitsplatz.
Und es geht weiter: Die ganze Berliner Republik präsentiert sich, als hätte sie sich das Berliner Motto "Große Klappe, nichts dahinter" auf die Fahnen geschrieben. Die Repräsentanzen der Länder an den früheren Ministergärten (zum Beispiel Brandenburg und Hessen, auch Baden-Württemberg in der Tiergartenstraße) sind die architektonische Umsetzung des Satzes "der Berg kreißte und gebar eine Maus".
Der Sinn (oder Unsinn?) dieser Häuser spiegelt sich in ihrer Gestalt wider: Große Gebäude, aber im Innern kaum zu gebrauchen. Wozu auch? Potsdam, Brandenburgs Landeshauptstadt, erreicht man mit der S-Bahn - sie fährt vom Potsdamer Platz im Herzen Berlins bis zum Potsdamer Hauptbahnhof inmitten der alten Residenzstadt vor den Toren der Metropole. Daß das arme Land Brandenburg dennoch eine eigene Landesvertretung in der Hauptstadt haben mußte, versteht kaum jemand. Positive Ausnahme: Bayern hat sich in einer kleinen Nebenstraße der Friedrichsstraße eine recht bescheidene Repräsentanz herrichten lassen.
Vieles, was das heutige Berlin prägt, ist gegen den Willen des scheidenden Oberbaudirektors entstanden. Stimmann wurde zu seinem Abschied vom "Spiegel" gefragt, warum die modernistischen Glasbauten so auffallend positiv beschrieben werden, als "transparent" und "demokratisch". Der Stadtbaudirektor antwortete mit unverhohlener Kritik, die er am Bau der Akademie der Künste festmachte: "Gibt es ein besseres Symbol für gebaute Ideologie? In jedem Detail strahlt der Bau das aus, was man nach der NS-Zeit nicht mehr machen sollte. Dort ist nichts gerade, alles schräg, hier soll möglichst viel irritieren. Das Ergebnis ist erlebbar - der Bau ist kaum benutzbar. Er ist ein einziges Mißverständnis."
Der Maurer Stimmann wurde in Lübeck geboren. In dieser alten Ostseehafenstadt konnte er von Klein auf die Folgen des Zweiten Weltkrieges für den mittelalterlichen Stadtkern ebenso beobachten wie den unter städtebaulichen Aspekten unzulänglichen Wiederaufbau der Stadt.
Stimmann hat vielleicht auch deswegen Wert darauf gelegt, das alte Stadtbild Berlins zu erneuern. Nicht 1:1 zu rekonstruieren, aber kriegs- und sozialismusbedingte Baulücken so zu schließen, daß ein einheitliches Stadtbild gewahrt bleibt. In diesem Zusammenhang wird bereits von einem "Berliner Stil" gesprochen, der beispielsweise am Hackeschen Markt zu betrachten ist. Stimmann nannte ihn die "kritische Rekonstruktion" - modern ja, aber in Material und Proportion an den alten Vorbildern orientiert.
"Nach 1945 glaubte man auf beiden Seiten, zu den jeweilig gesellschaftlichen Strukturen (...) bräuchte es neue städtebauliche Muster, die sich von den Mustern der traditionellen Stadt unterscheiden", sagt Stimmann. Und fügt hinzu, früher habe er auch so gedacht.
Doch die Vorstellungen aus der Nachkriegszeit dominieren noch heute das Denken führender Architekten. Die haben versucht, "den Tisch abzuwischen", klagt Stimmann.
Er habe dagegen auf Blockrandbebauung gesetzt statt auf die Errichtung freistehender Gebäude, die nicht bis an den Straßenrand reichen. Die Architekten konnten sich deswegen weniger "austoben". "Das hat keinen Jubel ausgelöst", lautet Stimmanns Resümee.
Wenn Stimmann geht, dann knallen in so manchen Architekturbüros die Sektkorken, heißt es deswegen. Eine entscheidende Frage - so sehen es die Befürworter der festen Regeln - wird sein, ob das Stadtschloß wiedererrichtet wird oder nicht.
Über die Reflexe der Schloß-Gegner urteilt Stimmann, die seien Aversionen gegen Formen und Materialien des historischen Bauens geschuldet: "Beim römischen Travertin denken viele nicht an das wunderbare Material, sondern an Hitler, bei der Säule nicht an Griechenland, sondern an Speer." Aus diesen ideologischen Reflexen wollte Stimmann die deutsche Hauptstadt befreien. Ganz ist es ihm nicht gelungen.
Doch seine strenge Handschrift hat Berlin davor bewahrt, nach Kriegszerstörung, Teilung und den entsetzlichen Bausünden der Nachkriegszeit in Ost wie West nach seiner Wiedervereinigung endgültig zum Fraß für ideologisch motivierte Stadtverstümmelung zu verkommen.
Absage an das "zeitgeistige Bauen":
Hans Stimmann wollte, wie hier am Pariser Platz, der Hauptstadt ihre "Form zurückgeben".
Fotos: (1) photothek, (1) Stadt Berlin |
|