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Der Autopilot ist auf Angriff gestellt

 
     
 
Als „strategische Energie-Ellipse“ bezeichneten der US-Politikwissenschaftler Robert Harkavy und Geoffrey Kemp, Nahostexperte des Wa-shingtoner Nixon Centers, in ihrem Buch „Strategic Geography and the Changing Middle East“ (1997) den Raum zwischen dem Persischen Golf und dem Kaspischen Meer. 70 Prozent der nachgewiesenen Erdölvorräte und 40 Prozent der Erdgasressourcen der Erde seien hier konzentriert. Beide Autoren sehen in diesem Zusammenhang zwei eiserne Konstanten: Es gebe einmal keine realistische Alternative zum Persischen Golf, um die steigende international
e Nachfrage nach Erdöl zu befriedigen, und zum anderen sei mit ständig steigenden Ölkontingenten zu rechnen, die in asiatische Staaten (wie Indien oder China) gingen. Die „asiatische Energielücke“, die beide Autoren bereits vor zehn Jahren konstatierten, hätte grundlegende Konsequenzen für die globalisierte Ökonomie und die Geopolitik im Nahen Osten. Die zunehmenden Beziehungen zwischen dem Persischen Golf, China und dem indischen Subkontinent könnten die politische und ökonomische Geographie dieser Region verändern. „China werde ähnlich rigoros wie die Vereinigten Staaten seinen Zugriff auf Erdölvorräte verteidigen“, prognostizierte auch der britische Energieexperte und Weltbank-Berater Mamdouh G. Salameh bereits vor Jahren. Es betrachte den Nahen Osten als Hauptanbieter zur Deckung seiner Energie-Nachfrage. Daß auch Indien nachhaltige Ambitionen am Persischen Golf anmeldet, machte unter anderem der indische Energieminister Manishankar Aiyer deutlich. Vielsagend erklärte er, daß der einzige Weg, um der Geopolitik anderer etwas entgegensetzen zu können, darin bestünde, eine „eigene Geopolitik zu betreiben“. Entsprechend dieser Positionierung wächst das Konfliktpotential mit den Vereinigten Staaten, die derzeit zum Beispiel versuchen, Gespräche Indiens mit dem Iran über eine Pipeline nach Indien zu konterkarieren. Zwar hat Indien im globalen Vergleich einen noch geringen Energieverbrauch, dieser wächst aber beständig. Darüber hinaus besteht eine große Abhängigkeit von Erdölimporten, die prospektiv gesehen noch wachsen dürfte. Diese Abhängigkeit und das US-amerikanische Bestreben, die weltweiten Energievorräte weitgehend unter Kontrolle zu bekommen, stellen ein wachsendes Konfliktpotential dar. Diese Feststellung gilt ungeachtet der strategischen Partnerschaft, die zwischen den USA und Indien besteht, und ungeachtet der Tatsache, daß die Vereinigten Staaten der größte Handelspartner Indiens sind. Nicht zu übersehende Differenzen überlagern überdies auch die Beziehungen Indiens zu China. Einen direkten Konflikt um Energieressourcen mit China versucht Indien zu vermeiden. Es hat aber begriffen, was die Stunde geschlagen hat. So erklärte Indiens Premier Manmohan Singh, daß sich die Diplomatie gewandelt habe. Heute gehe es „um Wirtschaft, Handel und Öl“.

Daß die Vereinigten Staaten der Prämisse, daß sie die Kontrolle der Energievorräte für lebensnotwendig halten, Taten folgen lassen, hat unter anderem der Irakkrieg gezeigt. Jetzt ist der Iran, der inmitten der „strategischen Energie-Ellipse“ liegt und in dessen Grenzen sich ein Gutteil dieser Energievorräte befindet, aufgrund seines Nuklearprogramms in den Fokus einer sorgsam angefachten internationalen Erregung geraten. Teheran hat allen Grund, die Drohkulisse, die derzeit aufgebaut wird, ernstzunehmen. Zum einen ist die Ankündigung von US-Präsident George W. Bush, den Nahen Osten „neu gestalten“ zu wollen, immer noch aktuell und zum anderen hat Meir Dagan, der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, das iranische Atomprogramm zur „größten Bedrohung für die Existenz des Staates Israel seit seiner Gründung“ erklärt. Seitdem reißen die militärischen Drohungen Israels nicht ab, verstößt der Iran doch mit seiner Politik gegen einen Kardinalgrundsatz bisheriger Likud-Politik, der lautet: Die militärische Überlegenheit Israels muß unter Einsatz aller technologischen und wissenschaftlichen Potentiale gewahrt bleiben. Israels Verteidigungsminister Schaul Mofas unterstrich konsequenterweise am vergangenen Sonnabend, Israel werde „iranische Atomwaffen nicht akzeptieren“. Aus der Sicht Israels, so berichtete letzte Woche eine deutsche Tageszeitung, stelle der Iran nicht nur eine Bedrohung für Israel, sondern für die „gesamte Welt“ dar. Derzeit sei man in Israel zwar noch mit den westlichen „diplomatischen Anstrengungen“ zufrieden. Man behalte sich aber das Recht vor, „notfalls“ auch im Alleingang militärisch zuzuschlagen, und müsse sich auf diese Option vorbereiten. Die Iraner sollten an frühere Feinde Israels denken, die „nur Zerstörung über ihr eigenes Volk gebracht“ hätten, drohte Mofas.

Daß eine derartige Lagebeurteilung auch direkte Konsequenzen für Israels Protektor USA hat, ließ US-Präsident Bush Mitte Dezember letzten Jahres im Rahmen seiner Rede vor dem „World Affairs Council“ durchblicken. In dieser Rede kündigte er im „Krieg gegen den Terrorismus” weitere „Regimewechsel“ an. Daß diese „Regimewechsel“ vor allem der Sicherung der Existenz Israels dienen sollen, daran ließ Bush keinen Zweifel aufkommen, als er erklärte: „Das langfristige Überleben von Israel hängt von der Verbreitung der Demokratie im Nahen Osten ab“.

Derartige Erklärungen lassen auf einen weiteren Kollisions-, wenn nicht Eskalationskurs gegenüber dem Iran schließen, der sich seit Jahren einer nicht zuletzt auf Betreiben der USA verschlechternden Sicherheitslage gegenübersieht, worauf jüngst wieder Georg Meggle, Philosophie-Professor mit den Schwerpunkten Terrorismus und Kommunikation in Leipzig, in einem Hintergrundbeitrag für die Internetseiten von „Telepolis“ aufmerksam machte.

Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die US-dominierten Mächte Pakistan und Afghanistan im Osten und dem Irak und Kuwait im Westen. Im Nordosten befindet sich das unberechenbare Turkmenistan und im Nordwesten der Nato-Staat Türkei. Die Erdöl- und Erdgasvorkommen Armeniens sowie Aserbaidschans werden bereits von westlichen Firmen „erschlossen“. Und im Süden liegen die US-orientierten Staaten Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman. Daß diese Konstellation direkte Konsequenzen für den Iran haben kann, machte unter anderem Ian Kemp, ein in London ansässiger Militäranalytiker, gegenüber „Radio Free Europe“ deutlich: „Falls es zu Sanktionsmaßnahmen gegenüber dem Iran kommen sollte, werden diese militärische Implikationen haben“, betonte Kemp. Bei einem Handelsembargo müsse davon ausgegangen werden, daß US-geführte und andere Marineeinheiten involviert sind. „Das setzt die Kooperation aller Staaten voraus, die an den Iran angrenzen, damit die Sanktionsmaßnahmen effektiv sind.“

Der Iran sieht sich also, wenn er seine wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit bewahren will, einem Dilemma gegenüber. Meggle unterstreicht, daß der Iran von seinen Bodenschätzen nur profitieren wird, wenn er sich „äußerem Zwang“ widersetzen könne. Dazu bedürfe es des Schutzes durch Dritte oder aber eines eigenen, hinreichend großen Abschreckungspotentials. Diesen „Schutz durch Dritte“ versuchte der Iran in den vergangenen Jahren zum Beispiel mit China zu realisieren. Zu Recht hält Meggle aber fest, daß China für einen offenen (Ressourcen-)Konflikt mit den USA noch nicht stark genug sei. Also müsse der Iran auf ein eigenes Abschreckungspotential setzen, was Israel und den USA wiederum den casus belli liefern könnte. Meggle schlußfolgert deshalb nüchtern: „Der Autopilot ist auf Angriff gestellt.“

Auch Indien schielt aufs iranische Erdöl

Umjubelt: Irans Staatschef setzt auf die Bodenschätze seines Landes. Und auf Atomwaffen?
 
     
     
 
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