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Der Rosa Luxemburg haben wir s geschworen

 
     
 
Wenn man in Berlin eine beliebige Veranstaltung besucht, zu der "alle" hingehen - Brechtlesung, Vortrag, Buchvorstellung, Filmfestspiele, Theaterpremiere, Ausstellungseröffnung - kann man sie sehen, die Oldtimer der SED und des Westberliner Ablegers SEW (West-Berlin). Denn es gibt ja nicht nur Alt-68er und Altlinke, sondern auch alte SED- und SEW-Kader, ihre Mitläufer und Vorbeter. Vor der Wende bevölkerten sie jede Veranstalt
ung in Ost-Berlin, eine Schrecksekunde lang waren sie verschwunden und gleich nach der Wiedervereinigung waren sie wieder da.

Leicht zu erkennen. Schwarze Hose, schwarzer Pulli, schwarze Jacke, unterschiedlich schick, die Haare grau bis weiß. Prägnante, durchfurchte Gesichter, weniger von der Sorge um die Menschheit und angestrengtem Nachdenken als vom nächtlichen Herumsitzen in Kneipen und verschärftem Saufen zerfurcht, zeigen sie sich ernst, aber zynisch. Immer leicht grinsend. Unerreichtes Vorbild für alle ist Heiner Müller. Oder Markus Wolf, je nachdem. Der Sozialismus ist hin, so oder so kaputt. Honecker war nur doof, aber Gorbatschow hat uns verraten. Stasi - na und? Opposition gegen Honecker, klar. Am Prenzlauer Berg, in den privaten Künstlerkneipen, Lesungen und Vernissagen hingen sie alle mal herum, man konnte nie so genau unterscheiden, ob Dissident oder IM. Die Grenzen waren fließend, der Film "Das Leben der Anderen" zeigt es ganz gut. Sie bleiben die Alten, die Genossen von einst, und blieben auch irgendwie oben. Manche haben sich nach der Wende mit Geld, das irgendwoher plötzlich da war, "übrig" war, selbständig gemacht und verdienen jetzt richtig viel Geld, andere sind beim Senat angestellt, manche haben eine Kneipe, mit Kabarett, machen irgendein "Projekt", Literatur, Kunst, Film, einen Verlag, Zeitschriften. Alle haben Verbindungen zum Ausland, zu solchen, wie sie es sind. Manche sind inzwischen gestorben, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt, wo Brecht liegt und alle. Bei der Beerdigung sind auch wieder "alle" da, man hat einfach das Bedürfnis, die alten Genossen wiederzusehen, sich auch zu zeigen. Freundschaft siegt. In Berlin ist, von außen wenig beachtet, längst eine Parallelwelt entstanden. Man wählt, in einigen Bezirken, schon mehrheitlich SED-Kandidaten, man ist stark genug, um sich den Sozialdemokraten als verläßlicher Koalitionspartner anbieten zu können, man liest eigene Zeitungen und Zeitschriften und Mitteilungsblätter. Außer der "Jungen Welt" gibt es die Tageszeitung "Neues Deutschland", es gibt die "Weltbühne", ein unbedeutendes Plagiat einer einst berühmten Wochenzeitschrift, es gibt sogar ein eigenes Satire-Blatt, den "Eulenspiegel", Kabaretts und Theater, die man bevorzugt, und Kneipen und Lokale unterschiedlicher Größe und Ausstattung. Dahin geht man und man zeigt sich gern in der Öffentlichkeit. Ganz besonders am 15. Januar, zur Rosa-Luxemburg-Demonstration. Die frühere Zeitung der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) "Junge Welt", damals in einer Millionenauflage verbreitet, heute ein kleines Wochenblättchen für Hartgesottene, ist immer dabei und bildet so etwas wie einen kollektiven Organisator. Zur Rosa-Luxemburg-Demonstration kommen "alle".

Ursprünglich war die Demonstration am Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch deutsche Freicorps-Soldaten in den Wirren des Bürgerkriegs von 1919 eher eine Art Pflichtübung in der DDR gewesen. Rosa Luxemburg war den stalinistischen Bürokraten nicht ganz geheuer. Hieß es doch, sie habe in den 20er Jahren Kritik an der Sowjetunion geübt und sogar "Freiheit für die Andersdenkenden" (Sozialisten) verlangt. Nicht zuletzt deswegen war sie für die westdeutschen Linken aller Schattierungen eine Art Ikone geworden und der Dichter Erich Fried wußte nichts Ehrenvolleres über die Terroristin Ulrike Meinhof zu sagen, als daß er rühmte, sie sei eine Rosa Luxemburg unserer Tage.

Der Jahrestag wurde in der alten DDR jedenfalls mit einem Massenaufmarsch, aber ohne großes Echo begangen. Das änderte sich, als kurz vor der Wende die "antifaschistische Demonstration" unerwarteten Zulauf durch die Dissidenten gegen das marode Honecker-Regime erhielt.

Die Oppositionellen erschienen massenhaft zu der Demonstration und führten selbstgemalte Transparente mit sich, auf denen sie "Freiheit für die Andersdenkenden" verlangten und eigene Forderungen und Slogans dazu stellten. Die Stasi war zunächst machtlos, die Rosa-Luxemburg-Demonstration kam groß ins Westfernsehen, aber die DDR löste sich ohnehin kurze Zeit später auf. Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung ließen die enttäuschten Anhänger des alten Regimes die Demonstration für die Märtyrerin als "antifaschistische Kampfdemonstration" und nostalgisches Familientreffen aller Gegner der Wiedervereinigung wiederaufleben und hatten unerwarteten Erfolg bei den Linken und Gewerkschaften im Westen der Stadt. Während die Nachfolgeorganisation der SED, die PDS, dahinkümmerte und nur in den einstigen Ballungsgebieten der Partei beachtliche Wahlerfolge erzielte, im Westen Berlins aber völlig bedeutungslos blieb, brachten die Organisatoren der Rosa-Luxemburg Demonstration in einigen Jahren schon mal über 100000 Menschen zusammen, gegen Faschismus und Krieg. Sprich: Gegen die Amerikaner im Irak. Die alten Genossen stimmen dazu immer das in der DDR nicht mehr erwünschte Kampflied der KPD an, was schön zackig und abgehackt gesungen werden muß "Dem Karel Liebknecht haben wir s geschworen / der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand!" Älteren Zeitgenossen der Hitler-Diktatur ist das Lied noch gut unter dem Text, "Dem Adolf Hitler habens wir s geschworen" in Erinnerung, die Lieder der totalitären Parteien wechselten häufig ihre Texte, die schöne Melodie blieb. Viele Berliner, vor allen aus der Gewerkschaftsjugend, machen ahnungslos bei solchen Propaganda-Festen mit. Das ist der Erfolg einer zähen, zielbewußten Kleinarbeit der Organisatoren um die Zeitung "Junge Welt" unter potentiellen Bündnispartnern, die nicht nur den "Deutschen Freidenker Verband", Attac und viele andere linkssektiererische Grüppchen erreichen, sondern wichtige Gewerkschaften wie die DGB-Jugend, die IG Metall und Ver.di.

Am Vorabend der Demonstration, die diesmal eher bescheiden ausfiel, findet seit langem, ebenfalls auf Einladung der "Jungen Welt", eine sogenannte Rosa-Luxemburg-Konferenz statt, auf der Altlinke aus aller Welt zum Beispiel über "Geschichte und Gegenwart antiimperialistischer Bewegungen und Perspektiven gesellschaftlicher Veränderungen" diskutieren. In diesem Jahr waren die Organisatoren der Konferenz ein bißchen zu weit vorgeprescht. So lud das Rosa-Luxemburg-Komitee den praktizierenden baskischen Terroristenführer Arnoldo Otegi als Ehrengast ein. Eine besonders aufschlußreiche Pointe: Otegi ist ein führendes Mitglied der baskischen Terror-Organisation ETA, deren jüngster Anschlag auf ein Parkhaus in Madrid gerade zwei Todesopfer forderte. Otegi, von den Veranstaltern als "Diplom-Philosoph" vorgestellt, lebt seit vielen Jahren im Untergrund, saß wegen Beteiligung an einer Entführung sechs Jahre im Gefängnis. 2006 wurde er wegen Anstiftung zu mehr als 100 Gewalttaten erneut zu 15 Monaten Haft verurteilt, aber gegen eine hohe Kaution entlassen.

Er gab der "Jungen Welt" ein ausführliches Interview über seinen schönen, revolutionären Alltag und sollte nun per Video-Schaltung vor dem Publikum der Rosa-Luxemburg-Konferenz erscheinen. Terror für Andersdenkende?

In jeder richtigen Großstadt der Welt gibt es ein paar zehntausend Verrückte, Geistheiler, Veganer, Lederschwule, Hare-Krishna-Anhänger und andere Sekten. Sie tun kaum jemanden etwas zuleide, außer sich selber und ihren Kindern, die oft für ihr Leben seelisch verkrüppelt und lernunfähig gemacht werden. Es gibt viele Verrückte und Verwirrte in der Welt. In Berlin sitzen die Verwirrten im Senat und regieren mit. Sie sind Antifaschisten, sind gegen Hitler - gegen Stalin hört man von ihnen kein Wort. Im Gegenteil, entschiedene, leidenschaftliche Stalinanhänger wie die Gruppe um Sara Wagenknecht sind eine geachtete Fraktion in der Partei. Wahrscheinlich war Sara Wagenknecht auch auf der Rosa-Luxemburg-Demo und hat es Rosa-Luxemburg geschworen. Wenn wir nur wüßten, was. Wir hätten gern mehr Informationen. Genauere Informationen, die die Berliner Gewerkschafts-Funktionäre über die Organisatoren solcher und ähnlicher Veranstaltungen nicht einholen mochten. So viel wissen wir nun über die Veranstalter: Ihre selektive Wahrnehmung, was für Terror, Mord und Folter in der Welt gehalten werden darf und was nicht, läßt die ganze westliche Welt als Verursacher von Krieg, Rassismus und Terror erscheinen, gegen den jedes Mittel recht ist, Einschließlich Krieg, Terror und Folter.

Diese "Sozialisten" verhinderten am Dienstag fast (je nach Entscheidung!) die Wahl Wolf Biermanns zum Ehrenbürger Berlins. Es war die späte Rache der SED an dem Abweichler, der Freiheit für die Ande
 
     
     
 
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