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Drohung für die ganze Welt

 
     
 
Nikolai Andrejew, Oberst im Generalstab der Russischen Föderation, hat auf Einladung des "Gusborner Kreises" unlängst in Lüchow einen Vortrag über die allgemeine Lage in Rußland gehalten, wobei er besonders auf die Nato-Osterweiterung einging. Der Oberst, der in fließendem Deutsch vortrug, erlernte seine Sprachkenntnisse als Besatzungsoffizier in verschiedenen Stäben der Sowjet-Armee in Deutschland. Zu Beginn seiner Ausführungen stellte er mit Pathos fest, daß die Sowjetsoldaten im Mai 1945 den Frieden nach Berlin gebracht hätten, von wo aus 68 Monate früher der Zweite Weltkrieg
ausgegangen sei. Hier erfolgten erste, lautstarke Widersprüche aus dem Publikum, die den Vortragenden aber offensichtlich nicht beeindruckten. Mit dem Abzug der Truppen – so Andrejew – habe ein neues Kapitel in deutsch-russischen Beziehungen begonnen, aber auch zur Nato, die man aus russischer Sicht unter zwei Aspekten sehe: Rußland und die Nato betrachten einander nicht mehr als Gegner, wie die strategische Partnerschaft mit der ständigen Anwesenheit Rußlands im NATO-Rat erkennen lasse. Andrejew bezeichnete dies als einen Sieg des gesunden Menschenverstandes. Andererseits wies Andrejew mit Besorgnis auf die Lage nach dem Ende des "Kalten Krieges" hin. So hätten die westlichen Siegermächte Rußland versprochen, keine Truppen in den Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes zu stationieren. Jetzt aber müsse man beobachten, wie die Truppen Polens, Ungarns und der Tschechei modernisiert würden, zudem neue Panzer erhielten sowie neue Straßen, Bahnlinien, Autobahnen und Flugplätze im Bau seien. Nach Ansicht Andrejews, dient die Nato-Osterweiterung den Vereinigten Staaten von Amerika dazu, ihre " Herrschaft über Deutschland zu sichern". Darüber hinaus erschließe sich in den neuen Nato-Staaten ein ungeheuer großer Markt für die Rüstungsindustrie der USA. Nach seinem Vortrag stellte sich Oberst N. Andrejew für ein Interview mit dem zur Verfügung. Das Gespräch führte Helmut Kamphausen.

Warum wird die Nato-Osterweiterung in der Russischen Föderation als Bedrohung empfunden?

Das ist eine Drohung nicht nur für die Russische Föderation, sondern auch für die ganze Welt. Darunter auch diejenigen, die diese Osterweiterung geplant haben; und aus der russischen Sicht gesehen sind das einige Gründe: Erstens bedeutet das eine neue Trennlinie, die etwas näher zu unserem Haus, der Russischen Föderation, liegt als die frühere gelegen war. Zweitens bedeutet das eine reale größere Gefahr in militärischer Hinsicht. Man versteht das ganz eindeutig. Die Nato, das ist ein militärisch-politisches Bündnis, aber vor allem ein militärisches mit Waffen, mit Streitkräften, die näher an unserer Grenze stehen werden. Darum ist diese Gefahr größer. Zum Dritten sollte man dann an eine adäquate Frage und eine adäquate Antwort denken. Das heißt entsprechende Maßnahmen treffen, damit diese Drohung minimiert wird. Es gibt da viele Spekulationen. Die Osterweiterung sei für Rußland nicht gefährlich, es sei umgekehrt, auch für Rußland sei sie nützlich im Sinne von mehr Stabilität, mehr Sicherheit; aber das trifft nicht zu. Es gibt keine triftigen Argumente dafür.

Nun wird in verschiedenen politischen Kreisen in Deutschland, aber auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, die militärische Kraft der Russischen Föderation als nur noch gering bezeichnet. Die Soldaten und Offiziere werden unregelmäßig bezahlt, für notwendige Übungen fehlt das Geld. Ist das so?

Nein. Wir haben keine Absicht, jemanden zu überfallen, und darum denken wir daran, daß wir in unserer Armee eine ausreichende Gefechtsfähigkeit haben, das heißt, daß wir unsere Armee reformieren im Sinne der Optimierung. Eine hohe Schlagkraft, eine hohe Mobilität, Beweglichkeit, Flexibilität und ein gutes und modernes Waffenarsenal, das gehört zu unseren Wünschen und Absichten und Plänen. Bei der Reduzierung der Armee geht es um die Bildung neuer Verbände, die besser sind als heutzutage. Die effektiv dort eingesetzt werden können, wo es nötig sein wird. Ich würde nicht sagen, daß die Kraft der Armee heutzutage gering ist. Das können nur Laien sagen, keine militärischen Fachleute. Man weiß doch, man macht kein Hehl daraus, daß die russische Armee über Nuklearwaffen verfügt. Damit ist alles gesagt. Aber was die Stimmungen, die moralische Seite betrifft, so hat man recht in dem Sinne, daß die Situation in der russischen Armee mit Schwierigkeiten, Problemen verbunden ist; aber die werden allmählich gelöst. Mit der Löhnung ist es in der Zwischenzeit schon etwas besser. Es gibt zwar eine gewisse Verzögerung mit der Auszahlung; aber in diesem Jahr sieht das schon viel besser aus als im vorigen Jahr.

Generalleutnant Klokotow hat in einem Buch über die geopolitische Lage Rußlands von einer Achse Moskau – Berlin geschrieben. Halten Sie so etwas für möglich?

Nicht nur er – es ist nichts Neues – man spricht von einer engeren Zusammenarbeit, von der sogenannten Achse Paris – Berlin – Moskau. Schon im März dieses Jahres findet ein Treffen in Jekaterinburg statt, und zwar auf der höchsten Ebene mit dem Präsidenten Frankreichs, dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und dem Präsidenten Rußlands. In diesem Sinne halt ich die Achse für sehr positiv. Das ist eine normale Zusammenarbeit der größten Staaten Europas, und wenn sie wirtschaftlich und kulturell und auch militärisch zusammenarbeiten, dann ist das sehr gut, auch für den Frieden. Das ist Stabilität. Für die Sicherheit ist das viel besser als die Nato-Osterweiterung.

Warum wird Königsberg immer noch nach dem Bolschewisten Kalinin genannt? Leningrad und Stalingrad wurden umbenannt, die ostdeutsche Hauptstadt nicht. Warum?

Ja, dafür gibt es bestimmte Gründe. Vor allem ist das eine Sache der Bevölkerung, die da wohnt, und zum Zweiten bestehen entsprechende völkerrechtliche Regelungen. Die Stadt, die schon nach dem Krieg umbenannt wurde, bleibt weiterhin namensgleich. Ich würde nicht sagen, daß wir alles umbenannt haben, was früher mit diesen Namen behaftet war. Wir haben heute Straßen, zum Beispiel in Moskau den Leninprospekt, also Lenin-Boulevard. Und es gibt noch sehr viele, die diese Namen noch tragen. Es gibt auch noch Zeitungen, die solche Namen tragen, zum Beispiel die "Komsomolska Prawda" ("Die Wahrheit der Komsomolzen"), und vieles andere. Aus der Geschichte kann man die Worte nicht so ohne weiteres auswaschen, auch bei den Namen der Städte. Es gibt da Verträge und es ist eigentlich zur Zeit so, daß Kaliningrad auch heutzutage Kaliningrad heißt.

Herr Andrejew, wie schätzen Sie die augenblickliche wirtschaftliche Lage der Russischen Föderation ein?

Optimistisch. Es gibt Merkmale eines Wachstums in der Wirtschaft, und zwar war die Zuwachsrate 1997 zwei bis drei Prozent, je nachdem in welchem Zweig, das ist die positive Tendenz in der Entwicklung. Andererseits, und ich als einfacher Bürger dieses Landes selbst habe es ganz deutlich und gut gefühlt, man hat praktisch keine Inflation. Die Preise bleiben auf dem selben Niveau monatelang und binnen eines Jahres. Das Geld verliert nicht die Kraft. Das ist ein sehr wichtiges Merkmal, daß die Wirtschaft eine Genesung erlebt, daß sie gesund wird. Und was die Aussichten für das Jahr 1998 betrifft, da bin ich auch optimistisch. Man plant, man organisiert einen Zuwachs auch von zwei bis drei Prozent. Mit Sicherheit rechnet damit auch unsere Regierung. Und wie sehen derzeit einfache Bürger das Geld, wirtschaftlich etwas besser, der Lebensstandard sinkt nicht, sondern bleibt auf dem Niveau oder steigt, nicht so schnell wie wir das wollen, aber einigermaßen schon. Und bei unseren Löhnen in der Armee ist es auch erträglich, daß wir in der letzten Zeit mit kleineren Verspätungen unser Geld bekommen. Die Situation ändert sich ganz deutlich und ist mit dem vorigen Jahr nicht zu vergleichen. Wir sind diesbezüglich optimistisch.

Welche Rolle spielt der General Alexander Lebed noch in der Politik der Russischen Föderation?

Er ist eine bekannte Person in unserem Land, in unserem Staat, die seinerzeit eine Rolle bei der Beilegung des Konflikts in Transnistrien und etwas später in Tschetschenien gespielt hat. Das war eine sehr wichtige Rolle. Und er hat erfolgreich die Aufgaben der staatlichen Führung ausgeführt als ein Militär, als ein Befehlshaber der Armee in Transnistrien und später als Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Es ist auch bekannt, daß Lebed in dieser Funktion als Politiker sehr viele Stimmen der Wähler bekommen hatte. Er hatte, wenn ich mich richtig erinnere, den dritten Platz eingenommen, und das zeugt auch von seinem Ansehen. Zur Zeit ist er auch bekannt in unserem Land; er hat ein Buch geschrieben. In der Übersetzung heißt das "Rußlands Weg". Er weist darin aus seiner Sicht die möglichen Wege der Entwicklung. Er ist einer der Politiker, die in unserem Land sehr bekannt sind. Er ist ein Politiker in unserem Land, der aus der militärischen Hierarchie kommt, und das ist ein Beispiel dafür, daß auch ein ehemaliger General um den Sitz des Präsidenten kämpfen kann.

 
     
     
 
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