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Ein Deal unter Ehrenmännern

 
     
 
Deutschland im Herbst 1989: Die Nation fiebert der Vereinigung der beiden lange getrennten Teile entgegen. Der Hauch der Geschichte weht durch Deutschland. Weltpolitik! ...

Am östlichen Rand der West-Republik, in Sichtweite von Demarkationslinie und Todesstreifen, hortet der Bund derweil in der tiefsten Provinz einen unbekannten Schatz: die bundeseigene Salzgitter AG. Insbesondere in diesem Schicksalsjahr kümmert sich niemand um diesen Schatz. Noch heute fragen viele unserer Mitbürger: Lagen Braunschweig und Salzgitter nicht in der "Zone" - also hinter der Grenze? Bis hinter die Rübenfelder von Peine und Salzgitter verirrten sich die wenigsten Mitbürger im Westen. Keiner vermutete einen Schatz in diesem hintersten Winkel der Republik. In der Stille und Abgeschiedenheit des Zonenrandgebietes hatte es Firmenchef Ernst Pieper mit Fleiß, Beharrlichkeit
, List und Verbindungen verstanden, aus der grauen Maus Salzgitter AG ein wohlhabendes, ja reiches Unternehmen zu machen. Eine Erfolgsgeschichte!

Pieper pflegte auch in der Provinz weiterhin engste Kontakte zu seinen ehemaligen Kollegen in Bonn. Das zahlte sich aus. Aus seiner Zeit als leitender Beamter des Bundesfinanzministeriums kannte er sie alle. Auch den heimlichen Chef des Ministeriums - Staatssekretär Dr. Hans Tietmeyer.

Obgleich das Unternehmen schon lange vor Geld nur so strotzte, gelang es Pieper immer wieder, die eine oder andere Million aus Bonn abzuzweigen. Das Stichwort "Stahl und Werften" wirkte immer. Und Tietmeyer drückte wohlwollend alle Augen zu. Es waren doch "nur" Staatsgelder! Und sie blieben ja beim Staat. Die anderen Kollegen in Bonn wußten eh nicht, wie es um die Bundesfirma wirklich stand.

Die verdiente derweil prächtig. Allein der Stahl hatte im Jahre 1987/88 über 700 Millionen DM an Profit eingefahren. Die Werft in Kiel machte ihre üppigen Gewinne mit U-Booten und Kriegsschiffen, die auf der Wunschliste eines jeden Admirals der Welt ganz oben standen.

Und die Zonenrandförderung tat ihr übriges. Das Unternehmen platzte fast vor Geld. Der Wert der Salzgitter AG lag unter Brüdern und Schwestern bei min- destens 15 Milliarden DM.

Allein der bundeseigene Immobilienbesitz war mit 10,2 Milliarden versichert. Die Neue Heimat hatte für die Immobilien 4,5 Milliarden geboten. Dafür wollte man diesen Immobilienschatz des Bundes aber nicht abgeben. Die Tochterfirmen: Peine-Salzgitter, die Werft HDW in Kiel, die Heizungsbauer Wolf und Kermi, Minimax und Fels, den Bauspezialisten - Pieper hatte sie alle mit engagierten Managern auf Leistung getrimmt. Und in der Portokasse lagen ja auch noch mal gut 2,5 Milliarden. Das hatte in Bonn bis auf Tietmeyer irgendwie keiner so richtig mitbekommen. Salzgitter lag eben doch sehr weit weg - wenngleich aus Sicht der Beamten noch vor der Grenze. So viel - zumindest - wußte man dort. Der Bonner Beamtenapparat: eine Provinzposse!

Pieper hatte heimlich den verwegenen Plan entwickelt, mit den 2,5 Milliarden aus der Portokasse die Fichtel und Sachs AG zu kaufen. So wollte er in die Privatisierung des Staatsunternehmens einsteigen. Eigentlich keine schlechte Idee, wenn - ja, wenn da nicht ein anderes Un-ternehmen in Niedersachsen existierte beziehungsweise ve- getierte, das früher auch dem Bund gehört hatte: die Preussag AG.

Die Preussag in Hannover war schon lange an der Börse. Und die Preussag war in argen Nöten. Hauptgesellschafter war mit 40 Prozent die West LB. Jahrelang war es dem Management unter West LB- Chef Friedel Neuber als Aufsichtsratsvorsitzendem nicht gelungen, "den Augiasstall auszumisten", wie die Welt am Sonntag später das Desaster kommentierte. Das Unternehmen drohte abzuschmieren, wie letztlich alle Abenteuer von Friedel Neuber, dem roten Banker aus Düsseldorf aus dem roten Bankhaus vom Rhein.

Gerade war Neuber dabei, Tourismus-Experiment Nr. 1 zu starten mit LTU, TUI und Thomas Cook. Tourismus war seine fixe Idee. Neuber fuhr gerne auf Kreuzfahrtschiffen. Schnell hatte er dabei etwas Wichtiges herausgefunden: Auf einem solchen schönen Schiff ist es noch schöner, wenn man die Eigner-Suite bewohnen kann. Dazu mußte man aber erst einmal das Unternehmen besitzen. Also investierte die Landesbank in Tourismus. Wenn so ein Experiment mal scheiterte, stand immer noch ein intimer Freund parat. Im Klartext: Wenn Friedel sich verspekulierte, half Bruder Johannes, der Landesvater, mit der Landeskasse aus. Staatshaftung nennt man das. Einmal mußten sogar die Landesimmobilien herhalten. Dafür half ihm Friedel an vielen anderen Stellen und aus so mancher Not. Das war schon mal einen Orden wert. Das schweißt außerdem zusammen. Man hatte vieles gemeinsam erlebt. Das scheinbar ungleiche Duo: Der Ganove in Nadelstreifen und der "heilige" Johannes. Was davon war Schein? Alles kein Thema unter richtigen Genossen.

Doch zurück nach Niedersachsen zur Salzgitter AG. Einer hatte den Plan von Ernst Pieper, das bundeseigene Unternehmen mit dem Kauf von Fichtel & Sachs zu privatisieren, sozusagen von Amts wegen mitgekriegt, Günter Saßmannshausen. Der war gerade wegen Erfolglosigkeit als Preussag-Chef abgesetzt worden, war aber zufällig auch Chef des Aufsichtsrates der Salzgitter AG und mächtig neidisch auf den erfolgreichen Ernst Pieper. Deshalb ging er nach Bonn und verpetzte den Plan. Saßmannshausen hatte seinerseits beste Kontakte zum damaligen Finanzminister Stoltenberg. Ein bundeseigenes Unternehmen zu privatisieren, wenn es einem früheren Bundesunternehmen so richtig dreckig ging, das ging nicht. Zumindest nicht so, wie Pieper es plante. So reifte als Antwort auf Piepers Plan mit Fichtel & Sachs die Niedersachsen-Lösung. Sie sollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie sollte die Privatisierung der Salzgitter AG verbinden mit der Sanierung von Neubers maroder Preussag AG. Der Schlüssel für diesen Deal waren die in Salzgitter versteckten Bundesmilliarden.

Um dies zu "wuppen", brauchte man einerseits kreative Ideen und andererseits einen Wirtschaftsprüfer mit einem großen Herzen. Der Wirtschaftsprüfer war schnell gefunden. Die Firma "Treuarbeit" arbeitete schon lange Jahrzehnte treu für den Bund. Die "Treuarbeit" hatte auch schon der Reichsregierung unter Adolf Hitler treue Dienste geleistet. Noch heute arbeitet sie unter ihrem neuen Namen PwC für die TUI. Als die TUI noch Preussag hieß, hieß PwC C&L. "Treuarbeit", C&L und PwC sind verschiedene Namen für ein und dieselbe Firma. Man war Teil des Unternehmens. Unternehmenskontrolle im Sinne der Aktionäre sieht natürlich anders aus.

Die "Treuarbeit" erarbeitete getreulich einen Unternehmenswert von rund 2,5 Milliarden DM. Wir er-innern uns: 2,5 Milliarden lagen in der Portokasse. Diese Portokasse hatte man freilich übersehen. Natürlich rein zufällig - auf Treu und Glauben! So fügte es sich mithin rein zufällig, daß die marode Preussag das reiche Bundesunternehmen dann doch kaufen konnte. Man nahm einfach die vergessene Portokasse und bezahlte den ganzen Bundeskram. Ein "Deal" in der tiefen Provinz.

Vorher unterschrieb man natürlich noch einige Verträge, denn das ganze Vorhaben der Privatisierung des Bundesvermögens mußte auch unseren Gesetzen entsprechen. Vor allen Dingen mußte es mit der Bundeshaushaltsordnung (BHO) in Einklang gebracht werden.

Diese BHO schreibt nämlich vor, daß Vermögen des Bundes nur zu seinem "vollen Wert" veräußert werden darf. Wenn man nun ein Bundesvermögen von rund 15 Milliarden DM für 2,5 Milliarden verkauft und dabei auch noch die Portokasse von 2,5 Milliarden "vergißt", so hat das mit dem "vollen Wert" nur noch sehr wenig zu tun. So viel zumindest war allen Beteiligten klar.

Was also war zu tun? Bei einem Spaziergang am Rhein kam einem der Beamten die rettende Idee: Der Bund verkauft nicht zum Substanzwert, sondern zum Ertragswert. Das Unternehmen will beziehungsweise darf dann nichts von den Bundes-Immobilien verkaufen. "Gnade euch Gott, ihr geht an die Immobilien ran. Die sind nach BHO unverkäuflich. Wir machen uns sonst strafbar!", so ein Beteiligter zu den klaren Ansagen der Bonner. Die Häuser bewohnten ja die Mitarbeiter, und die Ländereien waren unter anderem Bauland in Salzgitter, zum Beispiel für Straßen, Schulen und Kindergärten.

Unter diesen Voraussetzungen konnte man den ganzen Immobilienkram zum Sonderpreis von 454 (in Worten: vierhundertvierundfünfzig) Millionen an die Preussag abgeben. Also weniger als fünf Prozent des Versicherungswertes. Das Ganze natürlich als Teil der 2,5 Milliarden DM Gesamtkaufpreis. Die Tochterfirmen der Salzgitter AG hatte die "Treuarbeit" nämlich mit zwei Milliarden bewertet.

Am Ende der Verhandlungen gab es nur noch ein ganz kleines Problemchen. Dem Schah von Persien wollte die Salzgitter-Werft HDW einst sechs U-Boote bauen. Nach dem Machtwechsel im Iran war an eine Lieferung an das Regime der Mullahs aber nicht mehr zu denken. Die Hälfte der Anzahlung hatte die Werft jedoch schon als Schmiergeld in die Schweiz überwiesen - an die Schah-Schwester. Die Mullahs wollten nun die U-Boote oder das iranische Geld zurück. Aber wie?

Ganz einfach: Ein Teil der 34.000 Wohnungen, genau 2.500, wurden der Preussag zum Substanzwert, das heißt zum wahren Wert, verkauft, zumindest auf dem Papier. Diese 2.500 Wohnungen durfte Neuber dann ganz "legal" verkaufen, ohne das Bundeshaushaltsrecht zu brechen.

Im Wertgutachten der "Treuarbeit" wurde auch dieses Schmankerl "getreulich" verarbeitet. So hätte Saubermann Friedel Neuber dem Iran das Schmiergeld wieder zurückzahlen können, ohne in die Firmenkasse greifen zu müssen. Quasi mit Staatsmitteln. Legaler ging es nun wirklich nicht!

Die Idee mit der Niedersachsen-Lösung war auf alle Fälle honorig, wie auch die handelnden Personen auf seiten des Bundes und des Landes. Alle wollten nur das Beste, für die Salzgitter AG, für die Preussag AG, für Niedersachsen. Und so ging man eben bis an die Grenzen des gesetzlichen Rahmens - und in Teilen auch weit darüber hinaus. Sonst hätte die Preussag als Pleitefirma ein anderes Milliarden-Unternehmen nie erwerben können. Es ging schließlich um öffentliches Eigentum. Es ging um ein Milliarden-Vermögen der Bundesbürger. Es ging um Niedersachsen.

Das Ganze war daher geplant als "Deal" unter Ehrenmännern. Die ganze Sache hatte nur einen Haken, und der hieß Neuber. Neuber war alles andere als ein Ehrenmann, das war allen Beteiligten klar. Wenn man es ganz genau nahm, war er eigentlich genau das Gegenteil. Neuber kam außerdem aus NRW. Aber er war der Intim-Freund von Ministerpräsident Rau - dem mit den flotten Bibelsprüchen. So schlimm würde es daher schon nicht werden.

Die 2,5 Milliarden übrigens, die die Preussag letztlich aus der Portokasse der Salzgitter AG für den Ankauf des Staatsunternehmens zahlte, wurden der Grundstock für die Bundesumweltstiftung. Diese tat fortan - unter der Schirmherrschaft von Ex-Staatssekretär Hans Tietmeyer - viel Gutes. Hunderte von Kirchendächern wurden so mit den Zinsen aus dem Milliardenstock aus Salzgitter saniert. Solaranlagen liefern seither Strom für unzählige Kirchen. Die Be- beziehungsweise Erleuchtung kam gleichsam aus der Portokasse der bundeseigenen Salzgitter AG.

Darüber vergaß Herr Tietmeyer jedoch die vielen ausgehandelten Verträge zwischen der Preussag und dem Bund. Denn nicht nur für den Immobilienbesitz hatte man Bindungen vereinbart, sondern auch für die vielen Firmen des ehemaligen Staatsunternehmens. Das Unternehmen sollte in seiner Gänze "erhalten und weiterentwickelt werden". So sieht es das Vertragswerk vor. Und nur dies erlaubt der gesetzliche Rahmen. Hätte die Preussag vorgehabt, das Unternehmen zu zerschlagen, so Tietmeyer am 17. November 1989 im Haushaltsausschuß in Bonn, hätte man mit Neuber und Co. gar nicht erst verhandelt. Tietmeyer: "Für uns war von Anfang an klar, daß es nicht zu einer Zerschlagung des Konzerns kommen dürfe. Die Vorgabe war: Der Konzern muß als Gesamtheit zusammenbleiben." Klare Vorgaben also. Ein Ehrenmann - ein Ehrenwort! Die NRW-West LB sollte zudem ihre Anteile an der neuen Preussag auf unter 25 Prozent verringern. n

Das erste Reiseabenteuer von Friedel Neuber war zwischenzeitlich bereits grandios gescheitert. Bruder Johannes musste seinem roten Freund mal wieder mit Milliarden aus der Patsche helfen.

Neuber hatte auch die Sache mit den Verträgen und den rechtlichen Zusammenhängen nicht so ganz mitbekommen. Bis zum Tod von Ernst Pieper, der die Preussag als Vorstands-Chef leitete, wurden noch alle Verträge mit dem Bund eingehalten. Pieper kannte ja die Hintergründe und die Verträge. Nachdem im Jahre 1994 jedoch Neuber seinen ehemalige Büroleiter Dr. Michael Frenzel, zum Preussag-Boss gemacht hatte, ging alles auf einmal ganz anders und ganz schnell.

Frenzel zerlegte auf Weisung seines Chefs das Bundesunternehmen und startete mit den Erlösen das Tourismus-Abenteuer Nr.2. Da er sich so auf die neuen Felder konzentrierte, rutschten eini-ge Konzernfirmen wie der Anlagenbauer Noell und der Handy-Hersteller Hagenuk tief in die roten Zahlen. Um dies zu vertuschen wurden die Bilanzen gefälscht. Vorher schon hatte man den Wirtschaftsprüfer bestochen (z.B. mit teueren Reisen zu den Olympischen Spielen in Atlanta). Mit meiner Unterschrift als Preussag-Vorstand wollte ich diesen Betrug nicht begleiten und wurde daher prompt gefeuert. Vorher wurde der von mir beanstandete Jahresabschluss auf meine Forderung hin einer Sonderprüfung unterzogen. Nicht jedoch, wie von mir gefordert, von einem zweiten unabhängigen Prüfer, sondern von den gleichen Wirtschaftsprüfern, die das ganze schon einmal geprüft und in Ordnung befunden hatten. Man kam - natürlich - zu dem Ergebnis, dass alles in bester Ordnung sei. Nachdem ich am 4. Februar 1998 aus dem Preussag-Vorstand ent-fernt worden war (weil ich den Jahresabschluss auch nach dieser "Prüfung" nicht unterschreiben wollte), veröffentlichte man den frisierten Abschluss und druckte in den Geschäftsbericht unter dem Bestätigungsvermerk die Formel: Der Vorstand im Januar 1998! Da ich im Januar Vorstand der Preussag war, jedoch nie unterschrieben habe, eine glatte Fälschung. Die Unterschriften von Vorstand und Wirtschaftsprüfer, sonst der Beleg für die Betätigung, ließ man einfach weg.

Die freien Aktionäre der Preussag hatten deshalb keine Chance zu erfahren, dass sie als Dividen-de lediglich ihr eigenes Vermögen ausgezahlt erhielten, das vorher heimlich in vorgeblich operative Gewinne "umgerubelt" worden war. Hierauf hätte im Jahresabschluss nach den Buchstaben des Gesetzes hingewiesen werden müssen. Und die Preussag zahlte auch noch Steuern auf dies Vermögen (hier lässt übrigens Enron grüßen!).

Zwischenzeitlich ist das Vermögen der Aktionäre fast vollständig in Rauch und Steuern aufge-gangen. Die "alte" Preussag ist zerschlagen und den neuen Tourismusfirmen geht es wie den alten bei Neubers Reise-Abenteuer Nr. 1: Sie verdienen nicht einmal ihre Kredit-Zinsen.

Aus 12 Mrd. DM Vermögen - ohne Portokasse - sind, unter Berücksichtigung der Leasingver-bindlichkeiten durch das Wirken von Neuber und seinem Erfüllungsgehilfen Michael Frenzel allein in Hannover mittlerweile 14 Mrd. DM Schulden geworden. Hans im Glück hatte am Ende seines Weges noch einen Stein. Michael Frenzel hat lediglich ein riesiges rotes Loch geschaffen.

Dabei hatte er seine schlimmsten Verlustbringer sogar schon 1999 bei der Babcock Borsig AG in Oberhausen entsorgt. Dort wirkte auf Geheiß von Mentor Neuber Erfüllungsgehilfe Nr.2: Klaus Lederer. Der Schaden in Oberhausen: ca. 5 Mrd. Euro. Bei HDW in Kiel fehlen zusätzliche 600 Mio. Euro in der Firmenkasse und die West LB türmt derweil weitere Milliarden-Verluste auf.

Licht im Dunkel des veruntreuten Bundesvermögens

Die 2,5 Mrd. DM aus der Portokasse wirken weiter segensreich und erleuchtend in der ganzen Republik. Der Verbleib des restlichen Bundesvermögens von 12 Mrd. DM lag dagegen lange im Dunkeln. Und zwar so lange, bis ich mich als Vorstand der Preussag AG weigerte, die gefälschte Bilanz zu unterschreiben. Damit erst kamen die Zusammenhänge ans Licht. Jetzt ist das Drama um die verbrannten Bundes-Milliarden und die Betrugsvorgänge allen Verantwortlichen natür-lich nur noch peinlich. Die weisungsgebundenen Staatsanwälte in Hannover schwitzen Blut und Wasser, seit ich ihnen diese kriminellen Vorgänge auf die Aktentische legte, tun aber nichts. Derweil brechen innerhalb der West LB/Preussag-Gruppe die Firmen reihenweise zusammen. Die Politiker wollen sich gar nicht vorstellen, dass so viele Manager mit bestem Ruf, wie z.B. Dürr, Kuhnt, Liesen und Voss und auch viele Gewerkschaftsfunktionäre sich so weit von allen gesetzlichen Vorgaben entfernen konnten. Bei Neuber waren Bilanz- und Börsenmanipulationen, Untreue-, Erpressungs-, Bestechungs- und Nötigungsvorgänge, sowie Geldwäsche und Steuer-hinterziehung sein täglich Brot. Dies war allen Beteiligten bekannt. Kanzlerkandidatenaspirant Schröder hatte ihn zur Jahreswende 1997/ 98 bezeichnete als "allgemein bekannten Schwerst-kriminellen, der allerdings nicht zu packen ist, da er alle im Sack hat". Die Landesregierung unter Schröder, die alle Betrugsaktionen kannte, stellte mich damals vorsorglich unter Polizei-schutz. Sicher ist sicher, dachte man sich. Man brauchte mich noch und zwar gegen Neuber.

Schaut man sich das Desaster an, das er angerichtet hat und den Skandal um dessen juristisch Aufarbeitung, so muss Neuber tatsächlich sehr viele im Sack haben. Die Aufsichtsräte hatten jedenfalls mehr Angst vor ihm als dem deutschen Aktienrecht. Offenbar geht es den Staatsan-wälten in Hannover ähnlich. Selbst der von mir über alle vorgenannten Betrugsvorgänge detail-liert informierte Generalbundesanwalt verharrt angesichts des Milliardenschadens für die Bun-desrepublik Deutschland in regloser Stille. Einzig die Staatsanwaltschaft Düsseldorf arbeitet seriös. Sie bearbeitet jedoch nur einen Teilaspekt des Betrugs - den Babcock Borsig-Skandal.

Zwischenzeitlich ist mit diesem Skandal jedoch auch der gesamte Betrugsfall über den großen Teich gesprungen. In New York klagt ein geschädigter Investor auf Schadenersatz aus diesem Kollateralschaden in Oberhausen. Er klagt gegen Neuber, Frenzel und Co.. Guy Wyser-Pratte, so der Name des Investors, hatte in Deutschland vergeblich versucht, sein Recht gerichtlich durch-zusetzen. Nachdem er von der deutschen Justiz abgeblockt wurde, ruft er Gerichte in den USA an. Dort ist man gegenüber Bilanzbetrügern, die es diesseits wie jenseits des Atlantik gibt, ent-schieden weniger nachsichtig. Die Klage wurde kürzlich erweitert auf Organisierte Kriminalität.

"Ehrenmann" Neuber hat sich so verhalten, wie man es von ihm erwarten durfte: kriminell.

Die Rolle von Ex-Staatssekretär Tietmeyer in diesem Skandal ist allerdings für unseren Staat und für den Steuerzahler im Effekt nicht einen Deut besser. Tietmeyer kannte das Unternehmen bis in die Portokasse. Er kannte als Spitzenbeamter alle gesetzlichen Vorgaben und er kannte auch die Verträge. Er selbst hatte sie - basierend auf unseren Gesetzen - abgefasst. Mit dem Eid, den er auf unsere Republik abgelegt hat, hatte er geschworen, unsere Gesetze zu wahren, Schaden von unserem Land abzuwenden. Der angerichtete Schaden geht inzwischen, wie wir wissen, weit über die 12 Mrd. DM Bundesvermögen hinaus, die allein in Hannover veruntreut wurden.

Bei all diesen Betrugsvorgängen hat Herr Tietmeyer seelenruhig zu- bzw. weggeschaut.

Wer von beiden "Ehrenmännern" ist also anzuklagen? Ich meine: beide!

Der Fall Neuber und Co. zeigt schlaglichtartig die Machtlosigkeit unserer weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften in einem von der Politik beeinflussten Umfeld, wie dem der West LB. Der Justizminister eines Bundeslandes entscheidet letztlich darüber, ob ein krimineller Partei-Freund bzw. -Genosse vor Gericht gestellt wird. Selbst gröbste Verstöße gegen unsere Rechtsordnung kann er ganz "legal" vertuschen. Schwerste Straftatbestände landen somit oft im Papierkorb und nicht vor dem Richter, insbesondere dann, wenn sie Landesgrenzen überschreiten. Für einen Bürger sind diese Rechtbrüche durch Politiker, nicht erkennbar. Letztlich werden Staatsanwalt-schaften in unserem Land damit im politisch-wirtschaftlichen Umfeld oft ganz gezielt als juristi-sche Sollbruchstellen missbraucht. Sie werden zu Anwaltschaften der "Staatspartei" des jeweili-gen Bundeslandes und juristischen Kungelbuden degradiert. Was wir in Deutschland jedoch dringender brauchen denn je sind Anwälte des Staates. Wie das Beispiel Neuber zeigt, kann ein krimineller Parteigenosse mit einflussreichen Freunden in unseren Land offensichtlich machen was er will. Mit Rechtsstaatlichkeit hat der Fall Neuber und das Verhalten vieler Justizbehörden in diesem Skandal rein gar nichts mehr zu tun. Auch Politiker und deren Freunde sollten sich und ihr Handeln an unseren Gesetzen messen lassen - und zwar von Anwälten des Staates und nicht von Partei-Lakaien. Warum fürchten so viele Politiker in Deutschland freie Staatsanwälte?

Sollten in einem Rechtsstaat am Ende nicht immer unabhängige Richter entscheiden? Und zwar ohne Ansehen der Person? Partei-Genossen bzw. -Freunde haben als Anwälte in eigener Sache hier nichts zu suchen! Vor diesem Hintergrund ist die politische Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte nicht nur in meinen Augen das Krebsgeschwür des Rechtssystems in Deutschland.

Den SPIEGEL (7/2000) erinnern die Zustände in NRW daher auch längst an Mafia.

Ein Rückblick: In Italien wurden Erfolge im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität erst erreicht, als Staatsanwälte frei, d.h. ohne Weisungen seitens der Politik ermitteln konnten.

P.S. Die Mullahs warten derweil immer noch auf das Geld von der Preussag. Die 2500 Woh-nungen hat Neuber - zusammen mit dem anderen Bundeskram - längst verscherbelt. Der Erlös, das Schmiergeld aus der Staatskasse, ist mit den anderen Milliarden längst versickert. Wo? Im roten Sumpf der West LB/Preussag-Gruppe irgendwo zwischen Atlanta, Düsseldorf, Hannover, Kiel, London und Oberhausen.

Ehrenmänner unter sich: Der damalige NRW-Ministerpräsident Johannes Rau heftete dem Vorstandsvorsitzenden der Westdeutschen Landesbank Girozentrale (West LB), Friedel Neuber (l.), am 24. März 1995 in Düsseldorf den Großen Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland an.


 
     
     
 
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