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Es kommt leider zu selten vor, daß ein ehemaliger hoher Offizier der Bundeswehr sich so für das Gemeinwohl engagiert. Dem Autor kommt zustatten, daß er Krieg und Gefangenschaft aus eigener bitterer Erfahrung kennt und die Bundeswehr vom Batteriechef bis in die höchsten Führungspositionen kennengelernt hat und mitprägen durfte. Der Untertitel "kritische Bilanz" deutet an, daß Komossa nicht vorgeformten Denkschablonen folgt, sondern der eigenen Einsicht und Erfahrung vertraut. Auch wenn vielleicht nicht jedermann seine Sicht nachvollziehen vermag, wird er ihm zugestehen müssen, daß er die angeschnittenen Fragen gründlich analysiert. Komossa widmet sein Buch seinen vielen Freunden in Ost und West , ganz besonders der zeitgenössischen Jugend, der allzuoft ein verzerrtes Geschichtsbild überliefert wird.
Die Fülle seiner Gedanken gestattet nur das Eingehen auf einzelne Aspekte des Buches. Dem Leser ist aber zu empfehlen, alles gründlich zu studieren.
Für einen General der Bundeswehr ist es sicher nicht alltäglich, großes Verständnis für die Soldaten der ehemaligen Volksarmee aufzubringen. Er fordert für alle, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, die volle Integration in das wiedervereinigte Land. Ein kurzer Streifzug durch die Geschichte dürfte großes Interesse wecken, da nicht wenige Medienleute und Politiker die Geschichte auf die unseligen Jahre der NS-Diktatur eingrenzen wollen. So steht etwa die Mär vom "kriegslüsternen" Deutschland auf tönernen Füßen. Ergänzend zu den Ausführungen des Autors sei darauf hingewiesen, daß seit 1800 England, Frankreich, Rußland und Polen weit mehr Kriege geführt haben. England steht mit 80 Kriegen an der Spitze, dicht gefolgt von Frankreich mit 75. Aber selbst Polen mit 32 Kriegen übertrifft Preußen/Deutschland mit 29 Kriegen noch erheblich.
Einige Flüchtigkeitsfehler wird man Komossa bei der Fülle des bewältigten Stoffes nachsehen. So überdauerte das Dritte Reich leider nicht "nur knapp ein Jahrzehnt" (S. 33). Das hätte uns und der Welt Millionen Tote erspart. Dem Lektorat ist anzulasten, daß bekannte Namen konstant falsch geschrieben werden, so Bonnhöfer statt Bonhoeffer und Gahlen statt Galen.
Es ist zu begrüßen, daß der Autor in Erinnerung ruft, daß unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg ein Viertel seines Territoriums verlor, daß Jahrhunderte hindurch unbestritten deutsch war. Mit den Gebietsverlusten nach 1918 wurde "Rumpfdeutschland" (Winston Churchill) das kleinste Deutschland der Geschichte mit der größten Bevölkerungsdichte. Und im Gegensatz zur weltweiten Anteilnahme der Welt am gewiß bitteren Schicksal der Völker des ehemaligen Jugoslawien ließen die ungleich zahlreicheren und noch grauenhafteren Verbrechen an Millionen Deutschen nach 1945 die Welt im wesentlichen unberührt. Rühmliche Ausnahme war das großherzige Eintreten Pius XII. für das geschlagene Deutschland.
Komossa betont zu Recht, daß die Einigung Deutschlands am besten in der Armee gelungen sei. Daß die noch immer ungleiche Besoldung für Soldaten derselben Armee selbst bei gefährlichen Auslandseinsätzen weiterhin andauert, sollte die verantwortlichen Politiker zu einer längst fälligen Korrektur veranlassen.
Man darf vermuten, daß manches Urteil des über die Interna der Bundeswehr hervorragend informierten Autors noch nuancierter ausgefallen wäre, müßte er nicht befürchten, dann vom Informationsfluß abgeschnitten zu werden.
Daß der General sich nicht mit dem "Mörder"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts abfindet, bedarf keiner Erläuterung. Die dezidierte Stellungnahme von General Schultze-Rhonhof, der Vergleich von Soldaten mit Mördern sei so absurd und zutiefst ehrabschneidend wie ein Vergleich des Bundesverfassungsgerichts mit dem Volksgerichtshof der Nazis, löste helle Empörung aus, obgleich die klare Aussage für logisch denkende Medienleute und Politiker nicht mißzuverstehen war. Unser Volk sollte dankbar sein, daß es bisweilen selbst in der Generalität Männer mit Zivilcourage gibt, die sich ihrer Verantwortung vor Gott (auf die sich die Präambel unseres Grundgesetzes beruft) und den ihnen anvertrauten Soldaten bewußt und eher bereit sind, persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen als dort schuldhaft zu schweigen, wo Reden Pflicht ist. Der Rezensent, der nahezu zehn Jahre in der Bundeswehr (davon die meiste Zeit an der Führungsakademie) Dienst tat und von 1973 bis 1987 immer wieder beim österreichischen Generalstab Vorlesungen und Seminare hielt, weiß, wovon er spricht. Der allzu früh verstorbene Militärbischof Dyba, der sich wegen seiner unbestechlichen Haltung bei der Truppe des höchsten Ansehens erfreute, sagte 1995 auf der 35. Kommandeurtagung, der Staat könne doch "im Ernst nicht die allgemeine Wehrpflicht festlegen und dann den Soldatenberuf als Mordhandwerk bezeichnen lassen".
Die kritische Lagebeurteilung des Autors macht unseren Politikern (hoffentlich!) deutlich, daß sie in ihren Entscheidungen ohne militärischen Sachverstand überfordert sind. Der als weißer Jahrgang ungediente Erzbischof Dyba formulierte dies in seiner prägnanten Art so: "Es werden drei Jahre vorausgesetzt, bevor Sie jemandem die Haare schneiden dürfen, und bei der Bundeswehr sind zehn Monate Ausbildung ausreichend."
Die Frage, ob deutsche Soldaten notfalls für das Kosovo sterben müssen, wird sich auch in Zukunft bei möglichen Einsätzen fernab vom eigenen Land verstärkt stellen. Manch einem wird der Gedanke kommen, ob unsere Soldaten künftig die Rolle von Fremdenlegionären übernehmen sollen. Soldaten geloben oder schwören ja, "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen". Trifft dies auch für Einsätze in Afrika oder Asien zu? Eine weitere Frage ist, ob wir beim drastisch abgesenkten Verteidigungshaushalt noch verteidigungsfähig sind. Friedens- und Verteidigungsumfang dürften um etwa ein Drittel sinken. Von einer angemessenen Beteiligung Deutschlands an künftigen Krisenbewältigungseinsätzen wird man nicht mehr sprechen können. Dies wirkt sich auch auf die Leistungsbereitschaft der Truppe aus.
Den Einsatz von Frauen mit der Waffe betrachten diejenigen, die sich für fortschrittlich halten, als große Errungenschaft. Immerhin ist die Mehrheit der Bevölkerung (noch) gegen Frauen als Kombattenten. Sie verursachen erhebliche Probleme nicht nur durch mögliche Mutterschaft. So heißt es in einem Bericht über das Zusammenleben von Soldaten beiderlei Geschlechts auf dem Fluzeugträger "Eisenhower" von 1994: "Hunderte von Anweisungen wurden erlassen, die alles regelten, was männliche und weibliche Offiziere, was männliche und weibliche Rekruten allein, gemeinsam und miteinander tun durften. Doch alle Regeln konnten nicht verhindern, daß 39 Frauen knapp zehn Prozent an Bord schwanger wurden und darauf das Schiff verließen. Die Navy erklärte, ihr Fehlen habe die Operation nicht beeinträchtigt wenn das stimmt, ist die Frage angebracht, wozu man sie überhaupt gebraucht hatte." Die kürzlich bekanntgewordene Vergewaltigung einer Bundeswehrbewerberin durch einen Soldaten mag (hoffentlich!) noch ein Einzelfall sein. Wir kennen aber aus den USA wie auch aus Israel nicht wenige Fälle von Soldatinnen, die durch ihre Vorgesetzten sexuell zumindest bedrängt wurden. Bedeuten fernab aller Ideologie Frauen mit Waffe tatsächlich eine "Bereicherung für die Truppe?
Nach christlichem Verständnis haben Frauen ganz besonders eine Aufgabe in der Familie. Dienst in der Truppe mit der Waffe dürfte die Bereitschaft, Mutter zu werden, noch weiter reduzieren. Stimmungsbilder einzelner Vertreter aus Mitteldeutschland beleben die Darstellung. Freilich wird hierbei nicht selten übersehen, daß Wünsche leichter zu äußern als zu realisieren sind. Gewiß wäre es etwa besser, wenn Arbeitsplätze nicht ins Ausland verlegt würden. Aber was soll ein Unternehmer tun, der wegen der hohen Löhne hierzulande nicht mehr konkurrenzfähig ist?
Die Forderung des Verfassers, gängige Begriffe sorgfältig zu klären, die wie "Abschiebung", "Vertreibung" und Repatriierung" oft mißbräuchlich verwendet werden und Ideologen ein weites Betätigungsfeld eröffnen, wurde schon von Konfuzius erhoben. Denn, "stimmen die Begriffe nicht, gerät die Sprache in Unordnung. Unordnung führt zu Mißerfolg. Anstand, Kunst und Moral verfallen, und öffentliche Sanktionen wirken nicht mehr, so daß das Volk nicht mehr weiß, was es tun und lassen soll."
Wenn Komossa am Nationalstaat festhalten will, dürfte er mit der "political correctness" in Konflikt geraten, was allerdings nur für ihn spricht. Außer bei uns denken die Politiker aller anderen Staaten Europas legitimerweise zuerst an das Wohl des eigenen Landes. Nach den großen Denkern des Christentums, wie Augustinus und Thomas von Aquin, haben Wohl und Wehe des eigenen Vaterlandes Vorrang vor dem anderer Länder, was mit fehlgeleitetem Nationalismus nichts zu tun hat. Der Herr selber forderte Nächsten-, nicht Fernstenliebe, was gewiß nicht ausschließt, etwa in Notlagen anderen Völkern im Rahmen der eigenen Möglichkeiten beizustehen. Die berüchtigte Scheckbuchdiplomatie vergangener Jahre hat die berechtigte Förderung der Interessen des eigenen Volkes oft nicht ermöglicht. Die Rolle des Zahlmeisters für Europa und die Welt ist für uns einige Nummern zu groß und weckt lediglich neue Begehrlichkeit. Vom Standpunkt der Asylbewerber ist es verständlich, daß sie in unser überbevölkertes Land streben, das für Millionen zum wahren Schlaraffenland geworden ist, während wir nicht genügend Geld haben, um Ausbildungsplätze zu schaffen und fehlende Stellen bei Lehrern und Polizeibeamten zu finanzieren.
Komossa schließt seine instruktiven Ausführungen mit einer Besinnung auf unser einst christlich geprägtes Land und stellt die Frage nach dem geistigen Wiederaufbau, der mit dem materiellen nicht Schritt gehalten hat. Hier treffen sich seine Gedanken mit denen des früheren Bundespräsidenten Karl Carstens: "Die Wiedergewinnung der religiösen Dimension ist von entscheidender Bedeutung für unsere Zukunft, ja, für die Zukunft und das Überleben der Menschheit. Ich habe nichts Wichtigeres zu sagen als dies."
Gerd-Helmut Komossa: Deutschland heute eine kritische Bilanz Bernard & Graefe Verlag, Bonn 2000, 210 S., geb., 39,80 Mark |
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