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Am 9. April, genau 60 Jahre, nachdem General Otto Lasch in seinem Bunker die Kapitulationsurkunde unterzeichnet hatte (allerdings abends um 21 Uhr), eröffnete die Stadtgemeinschaft Königsberg (Pr) die Ausstellung "750 Jahre Königsberg - Geschichte und Kultur einer europäischen Metropole" mit einer Feierstunde in der Salvatorkirche in Duisburg.
Der Leiter des Museums Königsberg, Lorenz Grimoni, eröffnete die Gedenkveranstalt ung mit einer Erinnerung an die 55 Millionen Opfer des Krieges, an die Zerstörung Königsbergs in den beiden Bombennächten im August 1944, die 5.000 Tote forderten und Hunderttausende obdachlos machten, an die Kapitulation vor 60 Jahren, die keine Befreiung war, sondern den 100.000 Königsbergern, die noch in der Stadt waren, eine lange Elendszeit brachte, die 75.000 Menschen nicht überlebten.
Während der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, Adolf Sauerland, seiner Freude über die Anwesenheit so vieler Königsberger Ausdruck gab, die von weither gekommen waren - das Mittelschiff der Salvatorkirche war ganz, die Seitenschiffe größtenteils besetzt -, zeigte der Vorsitzende der Stadtgemeinschaft, Klaus Weigelt, in seinen Begrüßungsworten Trauer und Hoffnung, Trauer über die Leiden der Königsberger, die, so Weigelt, "in keinem Verhältnis zu den Verirrungen stehen, die sie mit anderen Städten gemeinsam haben". Er sprach von "apokalyptischen Greueln auf Jahre hin bis zur Ausweisung 1948".
Doch auch Hoffnung und Mut habe es gegeben wie bei dem Pfarrer Hugo Link oder dem Arzt Hans Graf von Lehndorff sowie bei zahllosen Vätern und Müttern, die ihre Kinder durchbringen mußten. "Uns wurden härtere und schwerere Opfer auferlegt als anderen", sagte der Stadtvertreter. "Wir haben sie getragen, weil wir geprägt sind vom Vermächtnis einer einzigartigen Stadt."
Was macht Königsberg so einzigartig? Königsberg wurde geboren in einer schicksalhaften Stunde Europas, erläuterte Weigelt, und der mächtigste Mann jener Zeit, König Ottokar II. von Böhmen war ihr Gründer. Nach dem Ende des Ordensstaates, den der Festredner Prof. Dr. Jürgen Manthey als den modernsten mittelalterlichen Staat bezeichnete, machte Herzog Albrecht mit der Gründung der Universität die Hauptstadt des nunmehr weltlichen Herzogtums zu einem geistigen Zentrum. Es war der Geist dieser Stadt, der Bombenangriffe, Eroberung, Namensänderung und Sperrgebiet überdauerte. So fanden sich denn auch 1994 zur Feier der Gründung der Albertina vor 450 Jahren 1.000 Wissenschaftler in Königsberg ein, "ein Fest der Wissenschaft", wie Prof. Dr. Iwan Kotzwe, Germanist und Philosoph an der Universität, 2004, zehn Jahre später, begeistert sagte. Das Kantgrab, das Weigelt als Monument der Freiheit und der Aufklärung bezeichnete, hat zum Wiederaufbau des Domes beigetragen und zur Einrichtung des Kant-Museums dort, sicherlich das eindrucksvollste Zeugnis deutsch-russischer Zusammenarbeit, wie sie im Königsberger Gebiet vielfach anzutreffen ist. Weigelt sprach von "Bannerträgern des Königsberger Geistes" und von "deutschen und russischen Ostdeutschland".
Der Festredner Prof. Dr. Jürgen Manthey stellte zwei Merkmale des Geistes dieser "europäischen Metropole" in den Mittelpunkt: die Urbanität und den, wie er sagte, "preußischen Oppositionsgeist". Die Urbanität sah er besonders durch Kant vertreten, den er als den größten Philosophen seit Sokrates mit seiner Aussage über "unsere geselligen Eigenschaften der Gesprächigkeit, der Feinheit, der Artigkeit, Empfindsamkeit und Lebhaftigkeit" zitierte. Das alles gehöre zur urbanen Lebensform, die der urbane Mensch, also der Bürger, für sich kultivieren müsse. Dieser Bürger, und nicht der Adel oder die Geistlichkeit, kann zum Weltbürger werden.
Dieser freie Bürger will nicht Höfling und Fürstendiener sein, sondern verlangt die Bürgerrechte, wie Kant sie nicht nur in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" - aber da besonders griffig zusammengefaßt - aufstellt. Daraus ergibt sich folgerichtig der "preußische Oppositionsgeist", wie Friedrich Wilhelm IV. ihn genannt habe, dem die Königsberger Zeitungen - besonders die Hartung sche Zeitung - stets ein Dorn im Auge gewesen seien, weil immer wieder eine Bürgerverfassung gefordert wurde.
Dieses "Stadtbürgertum", in Königsberg von den drei Stadtgemeinden Altstadt, Kneiphof und Löbenicht repräsentiert, gab Königsberg eine gewisse Sonderstellung, da die kleineren Landstädte mehr vom regionalen Adel abhängig waren. Prof. Dr. Manthey gab mit der historischen Entwicklung von der Stadtgründung über den Ordensstaat und dessen Säkularisierung eine Erklärung dafür, daß Königsberg stets eine moderne Stadt gewesen sei, "eine eigenartige Mischung von Behörden- und Bildungsstadt, von Industrie- und Handelsplatz".
Die Gründung der Universität 1544 machte Königsberg - nicht nur durch Kant - zu einem Zentrum europäischen Geistes. Georg Sabinus und Simon Dach waren die ersten weltbekannten Namen, die der Redner nannte, und von Johann Christoph Gottsched, dem Pfarrerssohn aus Juditten, den er als "publizistisches Genie" bezeichnete, wußte er zu berichten, daß er bei einer Audienz bei Friedrich dem Großen um Förderung von Dichtern bat, "und die waren alle Königsberger". Johann Gottfried Herder aus Mohrungen war, als er als 18jähriger nach Königsberg kam, beeindruckt von der Größe der Stadt, die 55.000 Einwohner hatte und größer war als Berlin. Herders neues, man kann sagen: revolutionäres Verständnis von Dichtung fand eine Parallele in der Philosophie Johann Georg Hamanns, ohne den es keinen Sturm und Drang und keine Romantik gegeben hätte. Eine Persönlichkeit wie Theodor Gottlieb von Hippel, Bürgermeister von Königsberg und anonymer Schriftsteller, liefert den russischen Studenten des Germanistischen Lehrkörpers der Universität heute Themen für ihre Diplomarbeiten, noch mehr der Romantiker E. T. A. Hoffmann, dessen "Nachtseite" die russische Literatur bis heute beeinflußt. Untrennbar zu Königsberg gehören die Namen Ernst Wiechert und Agnes Miegel, deren Werke ins Russische übersetzt werden.
Die Preußischen Reformen, so Manthey, sind in Königsberger Köpfen entstanden. Der Name Theodor von Schön steht neben Stein und Hardenberg. Mit Persönlichkeiten wie Johann Jacoby und Eduard von Simson wurde Königsberg im 19. Jahrhundert zum Ausgangsort der Demokratie. Ihnen stellte der Redner Fanny Lewald zur Seite, die weibliche Verfechterin republikanischer und liberaler Ideen, deren Forderungen nach Bildung, Berufstätigkeit und finanzieller Unabhängigkeit der Frau von der heutigen Frauenbewegung wieder entdeckt werden. Ihre zahlreichen Romane und Novellen sind größtenteils vergessen, ihre Auffassung von der Ehe jedoch, die nur auf Neigung und geistiger Übereinstimmung beruhen und keine Versorgungseinrichtung sein dürfe, bekommt heute erst Aktualität.
Sie alle, so Manthey, können "ihre Herkunft aus der Aufklärungszitadelle am Pregel nicht verleugnen", wie es auch kein Zufall sei, daß Kant zu Königsberg gehörte wie Sokrates zu Athen.
Der preußische Minister Otto Braun war Königsberger. Als er 1932 amtsenthoben und durch von Papen ersetzt wurde, war das, so Manthey, "die Zertrümmerung seines Lebenswerkes, die die Zertrümmerung seiner Vaterstadt zwölf Jahre später vorwegnahm".
Doch daß der Geist Königsbergs geblieben ist, beweist die von Lorenz Grimoni, dem Leiter des Museums Königsberg, und seinem Team geschaffene Ausstellung. Der Besucher steht gleich bei seinem Eintritt der Tafel "Vom Untertan zum Bürger" gegenüber und bekommt Johann Jacoby, Johann Gottfried Frey, Eduard von Simson und Theodor von Schön auf Schrifttafeln ausführlich vorgestellt. Wie er seinen Gang durch die 750jährige Geschichte Königsbergs anlegt, mag er selbst entscheiden; er kann chronologisch vorgehen, er kann sich auch Schwerpunkte aussuchen, die ihn besonders interessieren. Ob es die Ankunft der Salzburger ist, ob es die Reformation oder die Gründung der Stadt ist - in jedem Bereich findet der Besucher genaueste Information und Schätze der Anschauung. Da steht man staunend vor dem Schlitten des Großen Kurfürsten, da gibt es das Modell eines Ordensritters, eine Cadiner Arbeit, eine Leihgabe von Helmut Niederhaus. Da kann der Besucher nur ehrfürchtig das Buch des Dusberger Ordenspriesters Peter von Dusburg betrachten, das "Chronicon terrae Prussiae" (Chronik des Preußenlandes) von 1926, und zwar das Original, auch eine Leihgabe von Helmut Niederhaus.
Die Gründung der Stadt wird akribisch dargestellt, die Säkularisierung des Ordensstaates wird veranschaulicht mit dem Gemälde Herzog Albrechts und der Büste seiner Gattin Dorothea, einer dänischen Prinzessin, die das Hofleben des jungen Herzogtums zu einer geistigen und künstlerischen Blüte brachte. Der Besucher kann seine Kenntnisse über die Reformation und ihre Auswirkung in Preußen und damit im ganzen Ostseeraum auffrischen, er kann sich in die Zeit Simon Dachs und seiner Kürbishütte versetzen, er kann sich über die Kultur der Prußen fortbilden, die Krönung des ersten Preußenkönigs verfolgen, Königin Luise bewundern und das Werk von Käthe Kollwitz betrachten. Die geistigen Größen Königsbergs werden ihm vorgestellt, und will er die Garnisonsstadt kennenlernen, so findet er unter dem vielfältigen informativen Material ein bronzenes Modell des Paukenhundes vor.
Gelangt man ins 20. Jahrhundert, so wird die Zerstörung Königsbergs erschütternd dargestellt, und es ist ein kleiner Trost zu sehen, wie die russischen Bewohner heute sich bemühen, Zeugnisse Königsbergs zusammenzutragen.
Es ist wesentlich der Patenschaft mit der Stadt Duisburg zu verdanken, daß eine so differenzierte und informative Ausstellung in dem gut betreuten Museum möglich ist. Die Grußworte in der Feierstunde, die von Uwe Maibaum an der Orgel musikalisch umrahmt wurden, brachten das immer wieder zum Ausdruck.
Prof. Dr. Jürgen Manthey stand nach der Feierstunde im Museum den Besuchern zur Verfügung. Sein umfangreiches und sehr informatives Werk "Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik", erschienen im Hanser-Verlag, fand großes Interesse. Dieses Werk - der Autor bedankt sich am Schluß bei Lorenz Grimoni für die Unterstützung -, eine Sonderausgabe des "Königsberger Bürgerbriefes" und die Ausstellung würdigen diese Stadt, die trotz der unseligen Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht sterblich ist, in einem angemessenen, beeindruckenden Rahmen. P. Lautner
Jürgen Manthey und Lorenz Grimoni: Der Eröffnungsfestredner und der Macher der Ausstellung, die noch bis zum Herbst dienstags bis donnerstags und am Wochende von 10 bis 17 Uhr sowie freitags von 10 bis 14 Uhr zu sehen ist, am 9. April im Museum Königsberg |
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