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Dabei müßte gerade bei CDU/CSU und FDP, deren Vorläuferparteien am 23. März 1933 Hitler ermächtigt haben, nachdem sie ihn zuvor verharmlost und mit an die Macht gebracht haben, die historische Schuld alle denkbaren Aktivitäten auslösen, wenigstens heute schon den Anfängen zu wehren.“
Dieser grammatikalisch schwer nachvollziehbare Satz stammt aus einer Presseerklärung des SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler, der sich damit in bestem Sozialistendeutsch zu den unsäglichen Pannen im NPD-Verbotsverfahren äußerte. Sein Fraktionschef Peter Struck und SPD-Generalsekretär Franz Müntefering („In Deutschland ist die Mitte rot“) unterstützten ihn ausdrücklich.
Gewiß, Erinnerungen an die Vergangenheit fördern das Denkvermögen in der Gegenwart. Darum ist es gut, wenn sich Parteien mit der Geschichte des eigenen Volkes beschäftigen. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, können sie aus gemachten Fehlern Lehren ziehen. Wenn das aber in der Absicht geschieht, Geschichte als Schlagwaffe zu benutzen, ohne Selbstkritik zu üben, darf sich die SPD nicht wundern, wenn auch ihre Geschichte kritisch betrachtet wird.
Passend dazu fügt es sich, daß in Berlin, wo Mauer und Stacheldraht bis vor einem Jahrzehnt die Freiheit vom Sozialismus trennten, die SPD jetzt der kommunistischen Traditionspartei PDS den Herzenswunsch erfüllen will, ein Rosa-Luxemburg-Denkmal zu errichten. Die Frauenquote im Berliner Denkmalwesen soll erhöht werden … Fehlt nur noch, daß für das Denkmal der roten Rosa Teile der Mauer verwendet werden. Die Mauer als Erinnerung an den Sozialismus ist ohnehin aus dem Stadtbild so gut wie verschwunden, woran der CDU-geführte Magistrat nicht unschuldig ist.
Darum zunächst zu den Unionsparteien: Ihre Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg war die Antwort von christlich-sozialen, liberalen und konservativen Kräften auf ihre Zersplitterung vor 1933. Die Erfolgsgeschichte der Union nach 1945 ist darauf zurückzuführen, daß sie in den Jahrzehnten der totalitären Bedrohung durch den militärisch und atomar abgestützten Kommunismus diese Kräfte politisch und innerparteilich im Gleichgewicht gehalten hat. Dadurch konnte die ernste Gefährdung der deutschen und europäischen freiheitlichen Demokratie nach 1945 abgewehrt werden, bis der Kommunismus wirtschaftlich und politisch zusammenbrach und sich ideologisch blamierte. Ob das Erfolgsrezept der Unionsparteien auch in der postkommunistischen Zeit tragen wird, ist noch offen, insbesondere weil die FDP - vom legendären SPD-Strategen Herbert Wehner als „Pendlerpartei“ apostrophiert - ihr nationalliberales Element ebenso vernachlässigt wie die CDU ihr konservatives.
Die SPD beansprucht unterdessen die „Mitte“ für sich: „Rot“ sei sie, sozialistisch also, denn rot ist politisch die Farbe der Sozialisten. Die marxistischen Sozialisten führen das Rot mit Hammer und Sichel, die Nationalsozialisten mit dem Hakenkreuz. Diese sozialistische Farbenlehre führt auf dem direkten Weg zurück in die Weimarer Republik, und das macht die Aussagen des Genossen Stiegler nicht nur grammatikalisch schwer nachvollziehbar, sondern fordert eine Beschäftigung mit der Vergangenheit der SPD direkt heraus. Dabei ermöglichen zahlreiche historische Fakten und Zitate einstmals führender Sozialdemokraten klügere Einsichten in die Ursachen des Scheiterns der Weimarer Republik als Stieglers Einseitigkeit.
Nach dem Ersten Weltkrieg bezeichnete der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert zu Recht das Diktat von Versailles mit der demütigenden These von der „Alleinschuld“ Deutschlands am Krieg als „Gewalt ohne Maß und Ziel“ und drückte damit die Empfindungen nahezu aller Deutschen aus. Es waren die aus Versailles resultierenden Gebietsverluste Deutschlands (ein Siebtel seiner Fläche mit 75 Prozent der deutschen Eisenerz- und 28 Prozent der Kohleförderung, seinen landwirtschaftlichen Überschußgebieten und einem Zehntel seiner Bevölkerung), die maßlosen Reparationen und die weltweite Ächtung, die das Scheitern der Weimarer Republik programmierten. Der amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan stellte fest, daß Versailles ein Friede war, „der schon die Züge der zukünftigen Tragödie trug“. Kommunisten und Nationalsozialisten - beides Parteien mit einem bis dahin in Europa nicht gekannten totalitären Anspruch - waren die Nutznießer von Versailles. Beide Parteien behaupteten zudem, der jeweils entschiedenste Gegner des anderen zu sein. Wenn es galt, der Demokratie zu schaden, schreckten sie vor Gemeinsamkeiten jedoch nicht zurück.
Die SPD unternahm derweil den untauglichen Versuch, die beiden im Ansatz unvereinbaren Richtungen der sozialen Demokratie und des marxistischen Sozialismus in einer Partei zusammenzuhalten und obendrein das Land zu regieren. Genau daraus resultierte das Grundübel der Weimarer Republik. Es bestand darin, daß die SPD, vor allem nach ihrer Wiedervereinigung mit der USPD, unfähig zum dauerhaften Bündnis mit demokratischen Konservativen und Nationalliberalen war.
Die verhängnisvolle Illusion, Sozialdemokraten und marxistische Sozialisten unter einem Dach zu vereinen, machte es Extremisten leicht, die SPD als Partei der „vaterlandslosen Gesellen“ mit kommunistischer Schlagseite zu verleumden, wie das die Nationalsozialisten taten. Ein Mann wie Arthur Crispien von der USPD, der sagte: „Ich kenne kein Vaterland, das Deutschland heißt,“ war eben meilenweit von Ebert und Noske entfernt.
Auf der anderen Seite mußte sich die SPD von den Kommunisten anhören: „Ihre Politik ist mit radikalen Thesen verbrämter Sozialfaschismus!“ So jedenfalls Herbert Wehner als Abgeordneter der KPD im Sächsischen Landtag im Herbst 1930 bei seiner Kritik an den sogenannten „linken sozialdemokratischen Führern“. 1946 trat Wehner der SPD bei, wurde deren „Zuchtmeister“ als stellvertretender Bundesvorsitzender und langjähriger Chef der Bun-destagsfraktion. Seine strategischen Fähigkeiten bewies er nicht nur als Vater des Godesberger Programms der SPD und bei der „Einfädelung“ von Kontakten zur kommunistischen SED.
Bemerkenswert ist auch, was Willy Brandt Anfang der 30er Jahre in der Zeitschrift der Sozialistischen Arbeiterpartei, der er damals angehörte, zu Papier brachte: „Das sozialistische Element im Nationalsozialismus, im Denken seiner Gefolgsleute, das subjektiv Revolutionäre an der Basis, muß von uns erkannt werden“, und: „Ich bin gar nicht der Meinung, diese Elemente im Nationalsozialismus seien nur zum Betrug der Arbeiter erfunden.“ Betrachtet man auch das viele Jahrzehnte später von ihm stammende Wort, die Wiedervereinigung sei die „Lebenslüge der zweiten deutschen Republik“, dann ist der ganze Bogen der Irrungen und Wirrungen der SPD-Ikone Brandt abgesteckt. Als sich entgegen seinen Erwartungen die Deutschen zwischen Rügen und Thüringer Wald vom Kommunismus befreiten, meinte Brandt opportunistisch und mediengerecht: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ Für die der Geschichte wenig kundigen, „pisanisierten“ Deutschen gilt Brandt allerdings als größtes „politisches Vorbild“. Das große Wort vom „Zusammenwachsen“ wurde sogar auf einem Denkmal an der ehemaligen Zonengrenze verewigt - eingeweiht von zwei CDU-Ministerpräsidenten!
Ihrem Ende war die Weimarer Republik auch mit der Amnestie für politische Verbrecher näher gekommen, die am 9. Dezember 1932 im Reichstag von Kommunisten, Nationalsozialisten und Sozialdemokraten gegen die anderen Fraktionen durchgesetzt wurde. Der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner, vor 1933 und von 1946 bis 1970 Landtagsabgeordneter in Bayern, Mitglied des Reichstags von 1930 bis 1933, nach dem Zweiten Weltkrieg zweimal Ministerpräsident sowie Justiz- und Innenminister und Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag des Freistaats, schildert diesen Vorgang in seinem Buch „Flucht vor Hitler“, das in mehreren Auflagen 1977 und 1978 erschien. Das „sozialdemokratische Urgestein“ Hoegner bringt darin seine „schwere Enttäuschung über das kampflose Ende der Weimarer Republik zum Ausdruck“. Er beschreibt und belegt den schrecklichen Terror der Nationalsozialisten und bekennt: „Wir leisteten keinen Widerstand. Wir warfen dem siegreichen politischen Gegner keine Prügel in den Weg. Er sollte freie Bahn haben, seine sagenhaften Künste in der Bekämpfung der Wirtschaftskrise zu zeigen, freie Bahn, seine Versprechungen an alle Volkskreise zu halten oder an ihnen, gleich uns, zu scheitern. Wir waren beiseite getreten und wähnten uns sicher im Schutz der Gesetze und einer Verfassung, zu der sich der Sieger feierlich bekannt hatte. Daß dieser Schutz versagte, daß Eide nicht mehr galten, daß die den Deutschen heilige Ordnung barst, … ja unser Leben der Willkür bewaffneter Haufen preisgegeben wurde, war anfänglich unfaßbar für uns.“
Hoegner übt schonungslos Selbstkritik, ohne „mildernde Umstände“ für sich „erbetteln“ zu wollen. „Ich war sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter und bin daher mitverantwortlich für den Untergang meiner Partei“, schreibt er schon im Vorwort. Er habe sich davon abhalten lassen, „zu bürgerlichen Politikern zu gehen, ihnen die Größe der Gefahr zu schildern und mit ihnen gemeinsam Abwehrmaßnahmen zu besprechen“ … „So muß ich mich anklagen, mich gleich den anderen auf andere oder gar auf den blinden Zufall verlassen zu haben. So darf auch ein Politiker nicht handeln, der die Rolle des Glücks in der Geschichte kennt.“
Von den neuen Machthabern für vogelfrei erklärt, blieb Hoegner nur die Wahl zwischen Tod durch den Terror, Konzentrationslager oder Flucht ins Ausland. Er aß „das bittere Brot der Verbannung“ zunächst in Österreich, dann in der Schweiz.
Die große Rede des Vorsitzenden des sozialdemokratischen Parteivorstands Otto Wels zur Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933 beschreibt Hoegner: „Seine Rede war nach Form und Inhalt ein Meisterwerk, ein letzter Gruß an das verblichene Zeitalter der Menschlichkeit und des Menschenrechts.“ Er zitiert Wels: „Wir bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz hat die Macht, ewige und unzerstörbare Ideen zu vernichten.“ Hitler habe daraufhin eine leidenschaftliche Erwiderung losgelassen und ausgerufen: „Sie, meine Herren, sind nicht mehr benötigt. Ich will auch gar nicht, daß Sie für das Ermächtigungsgesetz stimmen. Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie.“
Hoegner beschreibt aber auch die Reichstagssitzung vom 17. Mai 1933, die letzte, an der deutsche Sozialdemokraten teilnahmen. Sie sei für viele von ihnen noch qualvoller gewesen als die vom vorangegangenen 23. März. „Damals“, so schreibt Hoegner, „hatten wir damit gerechnet, im schlimmsten Fall das Leben zu verlieren. Diesmal aber hatten manche unter uns das Gefühl, der Ehre verlustig zu gehen.“ Der Reichstag sollte die „Friedensresolution“ verabschieden, auf die Hitler seine Außenpolitik stützen wollte. Nun beugte sich die SPD dem Zwang und entschied sich gegen kaum ein Dutzend Stimmen für die Zustimmung .
Die ergreifenden Schilderungen Hoegners sind ein wertvoller Beitrag zur deutschen Parteiengeschichte, den jeder kennen sollte, der sich anschickt, in der Vergangenheit Urteile und Ratschläge für die Gegenwart zu finden - der bayerische Abgeordnete Stiegler ebenso wie diejenigen, die sich in Berlin anschicken, gemeinsam mit der PDS ein Rosa-Luxemburg-Denkmal zu errichten.
»Sozialdemokratische Schandtaten gegen die Arbeiterschaft« Herbert Wehner 1930 über seine späteren Parteifreunde
Herbert Wehner verhöhnte als damals noch kommunistischer Abgeordneter im Sächsischen Landtag am 7. Oktober 1930 die bei der vorangegangenen Reichstagswahl arg gerupften Sozialdemokraten mit einer Kritik an den „linken sozialdemokratischen Führern“ wie folgt: „Sie haben den Faschistenschreck bekommen, nachdem sie jahrelang nichts getan haben, um die faschistische Gefahr zu bannen.“
Seine Abrechnung mit der SPD hörte sich so an: „Es reihte sich eine Schandtat gegen die Arbeiterschaft an die andere, und der sozialdemokratische Verrat an den Arbeitern und Erwerbslosen ist die Plattform, auf der schließlich die braune Mordpest des Faschismus wachsen konnte.“ Was Wunder, wenn die SPD sich dann noch aus Wehners Munde anhören mußte, sie sei eine Partei, „aus deren Gefolge mehr und mehr die Arbeitermassen abwandern in das revolutionäre Lager, leider auch ein Teil enttäuschter in das Lager des Nationalsozialismus abgewandert ist, was nicht geleugnet werden kann - das zeigen die Ergebnisse.“
»Wie von der Mutter Deutschland ans Herz gedrückt« Wilhelm Hoegner über den SPD-Umfall vom 17. Mai ’33
Zur Rede Hitlers am 17. Mai 1933 schrieb Hoegner in seinem Buch „Flucht vor Hitler“: „Eine sanftere Friedensrede hätte auch Stresemann nicht halten können … Wir Sozialdemokraten erwarteten die Angriffe gegen uns. Als sie ausblieben, sahen sich manche in unseren Reihen überrascht und glücklich an. Unsere Nachbarn zur Rechten, die katholischen Parteien, blickten voll Erwartung auf uns. Wir erhoben uns mit ihnen und stimmten der Erklärung des Reichstages zu.
Da brach ein Beifallssturm der anderen Abgeordneten los. Selbst unser unversöhnlichster Gegner, Adolf Hitler, schien einen Augenblick bewegt. Der Reichstagspräsident Göring aber stand auf und sprach großartig die Worte: »Das deutsche Volk ist immer einig, wenn es sein Schicksal gilt.« Er befahl mit lauter Stimme, die Tatsache der einstimmigen Annahme der Erklärung des deutschen Reichstags in die Niederschrift der Sitzung aufzunehmen.
Dann fingen die deutschnationalen Abgeordneten das Deutschlandlied zu singen an. Die meisten in unseren Reihen sangen mit. Manchen liefen die Tränen über die Wangen. Es war, als hätte uns Sozialdemokraten, die man immer als die verlorenen Söhne des Vaterlandes beschimpfte, einen unsterblichen Augenblick lang die gemeinsame Mutter Deutschland ans Herz gedrückt.
Als wir dann ins Freie kamen, strahlte der Himmel heller, die Bäume im Tiergarten schimmerten grüner, und das Herz ging uns auf …“
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