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Schon vor der vehementen, bundesweit und auch im Ausland geführten Preußen-Dis-kussion, die ein brandenburgischer Landesminister losgetreten hatte, planten die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und das Gerhart-Hauptmann-Haus eine wissenschaftliche Tagung zum Thema "Preußen als geistig-literarisches Phänomen" in Kooperation mit polnischen Institutionen in Allenstein. Dabei sollte es nicht um eine emotional überhöhte und politisch eingefärbte Zuspitzung des Reiz-Themas Preußen gehen, nicht um Schwarzweißmalerei, wie es sie schon zur Genüge gibt. Vielmehr war es die Intention der Veranstalter, vor allem die des Initiators Professor Hans-Georg Pott, Preußen als transnationales, europäisches Phänonem aus der Sicht deutscher und polnischer Literatur- und Kulturwissenschaftler kritisch, aber nicht destruktiv zu untersuchen.
Den historischen Hintergrund beleuchtete eingangs der Osteuropa-historiker Professor Hans Hecker von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit einer dichten, vielschichtigen Zusammenschau der Geschichte Preußens, eingebettet in die europäische Geschichte. Er tat dies unter Abwägung der "Tugenden" und "Untugenden", die Preußen geprägt und auch nach dem Untergang des Staates Preußen weitergewirkt haben.
Über das preußische Berlin und das höfische Weimar zur Goethezeit im kulturhistorischen Vergleich referierte Professor Tadeusz Namowicz aus Warschau. Dabei kam er zu dem Ergebnis, daß sich in Preußens Hauptstadt die moderne deutsche Kultur konstituieren und entfalten konnte, so daß sie sich auch im europäischen Kontext, etwa in Konkurrenz zu Wien, behauptete, während in Weimar ein höfisches Kulturverständnis vorherrschte und die bürgerliche Stadtkultur auf Ablehnung stieß. Seine These blieb nicht ohne Widerspruch.
Um Stadtkultur in Preußen ging es auch im Beitrag der jungen Allensteiner Germanistin Barbara Sapala. Sie untersuchte "Literarische Stadtbilder: Königsberger Zustände in der Vormärz-Periode" und stützte sich dabei auf Reise- und Erinnerungsliteratur. Ihr Fazit über Königsberg in "Deutschlands Sibirien" war wenig schmeichelhaft, zumal konservative und provinzielle Aspekte des öffentlichen Lebens der Stadt herausgestellt wurden. Ein eher angedeuteter als gründlicher Vergleich mit Breslau fiel eindeutig zugun-sten der schlesischen Hauptstadt aus.
Preußisch-polnische Berührungsräume und Wechselwirkungen hatten Dr. Robert Trabas Beitrag über "Preußen in der Kulturlandschaft Polens" und Prof. Wlodzimierz Zientaras Referat "Preußische Reiseberichte über Polen" zum Thema. Sie erschlossen wenig bekannte Quellen, lieferten dadurch wertvolle Informationen und, vor allem der erste Beitrag, neue methodische Ansätze und Sichtweisen mit deutlichem Bemühen um objektive Darstellung. Dies gilt auch für die Erörterung deutsch-litauischer Wechselwirkungen im Vortrag von Allina Kuzborska aus Allenstein: "Litauer und Deutsche im Werk von Donelaitis und Vydunas". Die Referentin rückte die Rolle der Literatur - exemplarisch die Werke der beiden Dichter - bei der Wahrung der nationalen Identität der Litauer in den Vordergrund ihrer Betrachtung, die sich der imagologischen Methode bediente.
Identitätsfindung war laut Professor Hubert Orlowski aus Posen ein entscheidender Faktor bei der Entstehung einer ostdeutschen Regionalliteratur, deren Anfänge er in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts sieht. Sie sei gekennzeichnet durch die Orientierung an Masuren, die Einwirkung des polnischen Zeitgeschehens und des Nachbarn Litauen. Prof. Orlowski führte außer Hermann Sudermann und Fanny Lewald eine beachtliche Reihe weniger bekannter Autoren unter dem Begriff "ostdeutsche Regionalliteratur" zusammen.
Ein Großteil der Tagungsbeiträge ging der Beziehung einzelner Autoren zu Preußens geistiger oder staatlicher Tradition nach und analysierte deren Spiegelung im jeweiligen literarischen Werk. Dr. Yvonne Alefeld untersuchte den Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire, den sie als ein emanzipatorisches und utopisches Kommunikationsmodell in jener Zeit bezeichnete. "Candide" sei ein Ergebnis von Voltaires Aufenthalt in Preußen. Prof. Michael Rohrwasser formulierte zunächst provokant "Lessing als antipreußisches Projekt", analysierte "Minna von Barnhelm" im Blick auf das Preußische, machte sodann im "Philotas" ambivalente Züge aus - neben Antipreußischem auch Vaterlandsliebe - und kam schließlich über Lessings Kommentare zu Ludwig Gleims "Grenadierlieder" zu dem Ergebnis, daß auch Lessing "nicht frei von seiner Zeit gewesen sei", was dessen "Kulturpatriotismus" beweise.
Professor Hans-Georg Pott aus Düsseldorf widmete sich der Funktion der literarischen Verarbeitung preußischer Themen bei Theodor Fontane und widerlegte Günter de Bruyn, der Fontane harmonisierendes Erzählen vorwirft. Poetisierung und Romantisierung des preußischen Adels seien bei Fontane mit deutlicher Kritik an den gesellschaftlichen Lebensformen verbunden. Was allerdings bleibe, sei der "Adel der Gesinnung", bei Fontane der "Sinn für das Ideale".
Daß auch Willibald Alexis mit seinen "Vaterländischen Romanen" kein unkritischer Apologet des Preußentums ist, wies Prof. Regina Hartmann aus Stettin in einer methodisch exakt angelegten Analyse nach. Ausführlich widmete sie sich dem "mythischen Grundmuster" (Wiederkehr des Barbarossa) im "Falschen Waldemar".
Ohne Preußen kommt auch Günter Grass und kam auch Heiner Müller nicht aus. Die Düsseldorfer Professorin Cepl-Kaufmann, Verfasserin der ersten Grass-Dissertation, macht in der "Danziger Trilogie", vor allem in der "Blechtrommel" und in "Katz und Maus", den preußischen Militarismus als Leitmotiv aus und wies diesen Befund an Textstellen und der "dialektischen Grundstruktur" der Werke nach. Es gehe Grass um die Thematisierung der Perversion preußischer Tugenden im Nationalsozialismus. Auch im Spätwerk des gebürtigen Danzigers sei "kein Einstellungswandel zu Preußen" zu erkennen.
Während sich Professor Wojciech Kunicki des Themas "Friedrich II. im System der NS-Propaganda" annahm, weitete Gabriele Hundrieser aus Düsseldorf mit ihren "Anmerkungen zu Heiner Müllers Preußenbild" das Preußen-Thema auf dessen Rezeption in der DDR aus, wo es als "Chefsache" galt. Kontrapunktisch zur offiziellen, selektiven Preußen-Rezeption in der DDR stehe Heiner Müllers Preußen-Kritik.
Er wende sich gegen die Instrumentalisierung preußischer Tugenden im totalitären DDR-Staat, gegen die "schleichende Rückkehr zum preußischen Erbe" unter sozialistischem Vorzeichen.
Die Diskussionen zu den einzelnen Beiträgen, auch synthetisierend, verliehen der Tagung einen echten Dialogcharakter, den die polnischen und deutschen Teilnehmer gleichermaßen pflegten. Erfreulich das unverkrampfte, offene Gespräch, um so erfreulicher, daß es zuweilen auch emotional und doch sachlich geführt wurde. Professor Namowicz widersprach beispielsweise einem deutschen Kollegen mit Entschiedenheit, indem er feststellte: "Fried-rich II. war kein literarischer Ignorant!" Man war sich einig, daß viele Fragen offen geblieben sind und eine weitere Preußen-Tagung, möglichst interdisziplinär, folgen sollte. Walter Engel (KK)
Friedrich der Große: Dr. Yvonne Alefeld untersuchte seinen Briefwechsel mit Voltaire, den sie als ein emanzipatorisches und utopisches Kommunikationsmodell in jener Zeit bezeichnete. "Candide" sei ein Ergebnis von Voltaires Aufenthalt in Preußen. Professor Wojciech Kunicki nahm sich des Themas "Friedrich II. im System der NS-Propaganda" an.
Theodor Fontane: Die Funktion seiner Verarbeitung preußischer Themen wurde von Prof. Hans-Georg Pott thematisiert. Der Wissenschaftler aus Düsseldorf widerlegte Günter de Bruyn, der Fontane harmonisierendes Erzählen vorwirft. Poetisierung und Romantisierung des preußischen Adels seien bei Fontane mit deutlicher Kritik an den gesellschaftlichen Lebensformen verbunden.
Willibald Alexis: Seinen "Vaterländischen Romanen" widmete sich Regina Hartmann. Die Professorin aus Stettin verteidigte den Schriftsteller gegen den Vorwurf, ein unkritischer Apologet des Preußentums gewesen zu sein. Ausführlich thematisierte sie das "mythische Grundmuster" (Wiederkehr des Barbarossa) im "Falschen Waldemar". |
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