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Auch wer nicht intimer Kenner der zeitgenössischen deutschen Literatur ist, dem ist der Name Walter Kempowskis zumindest aus den für das Fernsehen bearbeiteten Büchern bekannt, in denen er am Schicksal seiner Familie zwischen 1939 und 1956 einen Ausschnitt unserer Geschichte festhält. Man erinnert sich an "Tadellöser & Wolff": Vater Kempowski, dem in Rostock eine kleine Reederei gehörte, wurde zur Wehrmacht eingezogen, und an seine Stelle trat ein junger Däne, Sven Sörensen, der den Reedereibetrieb aufrecht erhielt. Und nicht nur das: Er hatte sozusagen Familienanschluß und besuchte, korrekt im Anzug mit Krawatte, Sonntag nachmittags Familie Kempowski, um bei Kaffee und Kuchen auf die Deutschen zu schimpfen, wobei die unpolitische Mutter Kempowski abwiegelte: es seien ja nicht die Deutschen, die unfreundlich mit den Dänen umgingen, sondern die "Nazis". Schließlich verlobte sich die Tochter Ulla Kempowski mit dem Dänen, um nach der Hochzeit mit ihm noch während des Krieges nach Dänemark zu ziehen und dort eine Familie zu gründen.
Jetzt erfährt man aus dänischen Zeitungen, daß Anfang Juni Otto Graf Lambsdorff, der Verhandlungsführer für "Entschädigungszahlungen an Sklaven und Zwangsarbeiter", in Kopenhagen vor der Deutsch-Dänischen Handelskammer einen Vortrag gehalten hat, in dem er die dänischen "Zwangsarbeiter" bat, von Deutschland Entschädigungen anzunehmen. Lambsdorff, sich anbiedernd, meinte, die Leiden der Zwangsarbeiter könnten gar nicht entschädigt werden; daher habe er Verständnis für jene, die sich weigerten, die Entschädigung anzunehmen.
Nach ihm sprach für die dänischen ehemaligen Widerstandskämpfer der Arzt Dr. med. Jörgen Kieler. Er berichtigte Lambsdorff, indem er hervorhob, daß es überhaupt keine dänischen Zwangsarbeiter gegeben habe. Dr. Kieler führte aus, daß es im Mai 1940, zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung, in Dänemark eine hohe Arbeitslosenquote von 24 Prozent gegeben habe. Als daher die Deutschen in Zusammenarbeit mit der dänischen Regierung Arbeitskräfte für das Deutsche Reich anwarben, folgten sogleich 30 000 Dänen (unter denen vermutlich auch der freundliche Däne war, der bei Kempowskis arbeitete) dem Ruf. Von 1940 bis 1945 seien insgesamt 128 000 dänische Arbeitnehmer nach Deutschland ausgereist. "Daher kann von einer Zwangsdeportation keine Rede sein", so der Sprecher der dänischen Widerstandskämpfer, und weiter: "Von deutscher Seite sei gesagt worden, die 10 Milliarden DM seien keine Entschädigung für die Leiden der Betreffenden. Manche von ihnen würden durch die Entschädigung nicht nennenswert besser gestellt, doch empfahl er vor dem Hintergrund der Ausführungen von Otto Graf Lambsdorff, das deutsche Angebot anzunehmen in der Hoffnung, daß die wenigen, die noch leben, sich davon überzeugt fühlen können, daß der Zweite Weltkrieg endgültig vorbei ist," so berichteten dänische Zeitungen.
Dänemark und Deutschland befanden sich zu keinem Zeitpunkt im Kriegszustand. Da das Königreich aufgrund seiner erklärten Abrüstungspolitik jedem englischen Zugriff gegenüber offen lag, wurde es 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt, wobei Dänemarks Souveränität im Rahmen der allgemeinen Kriegsverhältnisse weitgehend unberührt blieb. Wenige Tage nach der Besetzung handelte ein deutsch-dänischer Regierungsausschuß ein Abkommen aus, in dem es nicht nur um den dänischen Butterexportpreis ging und um die Sicherstellung deutscher Kohlenlieferung an Dänemark, sondern auch um die Anwerbung dänischer Arbeitskräfte für Deutschland. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit wurde das von dänischer Seite ausdrücklich begrüßt. In kürzester Zeit etablierte man im Zentrum Kopenhagens ein deutsches Anwerbungskontor, das seine Arbeit mit dem Limit eines im Mai 1940 ausgehandelten Kontingents von 5000 Mann begann. 1940 lag die Zahl bereits bei 28 000, Ende 1943 waren es mehr als 100 000, von denen 6000 gegen deutsche Löhnung in Norwegen tätig waren. Alles in allem waren jeweils mit zeitlich befristeten Arbeitsverträgen 128 000 dänische Arbeitnehmer für Deutschland tätig. Sie erhielten dieselben Löhne wie ihre deutschen Kollegen und waren in ihrer Bewegungsfreiheit nicht mehr eingeschränkt als die Deutschen in jener Zeit. Kempowskis Buch lieferte dazu die literarische Illustration.
Was an ihnen wieder gutzumachen ist, ist für einen normalen Zeitgenossen kaum nachzuvollziehen. So mußten die Dänen erst aufgrund von dringenden Bitten des Grafen Lambsdorff dazu bewegt werden, eine "Entschädigung" anzunehmen damit sie wissen, daß nun der Krieg endgültig vorbei ist."
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