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Monster von Brüssel

 
     
 
Wie eine Stahlklammer zwingt der Gedanke der europäischen Einigung die Länder des alten Kontinents zusammen. Die Fortschritte in Einigungsprozeß sind jedoch gering, die neue Währung Euro mußte den Bürgern trot Vorspiegelung falscher Stabilitätsangaben regelrecht aufgezwungen werden. Noch imme stehen nationale Interessen im Vordergrund. Wachsen und Gedeihen konnte allein da "Monster von Brüssel". So nannte der ehemalige CSU-Europaabgeordnete Günthe Müller die Brüsseler Kommission.

Jetzt traten die Kommissare nach einer Serie von Korruption
svorwürfen zurück. Die herrschende Europa-Ideologie wird dazu führen, daß die im Rücktritt liegende Chance au Neubesinnung und Neuorientierung vertan wird. Die Räte und Kommissionen in Brüsse praktizieren längst jenen Chauvinismus, zu dessen Überwindung sie einst gegründe worden waren. An die Stelle der Nation, die früher überhöht und vergöttert wurde, is jetzt Europa getreten. Fehlende Milliarden, demokratische Defizite und unergiebige Politi werden aus dieser chauvinistischen Perspektive zweitrangig.

Es gibt kaum einen besseren Beleg dafür als die Erklärung des bisherige Kommissionspräsidenten Jacques Santer zu seinem Rücktritt, der aufgrund des Bericht eines Gremiums namens "Fünf Weise" erfolgte. Die Fünf hatten Vetternwirtschaf nachgewiesen und allgemein beklagt, daß sie bei fast allen Versuchen, Verantwortlich für Ausgaben zu finden, gescheitert seien. Fanden sie ausnahmsweise jemanden, konnte keine Belege vorgewiesen werden. Die Vetternwirtschaft bestand darin, daß die ehemalig Kommissarin Edith Cresson Bewohner ihres französischen Heimatdorfes bei EU-Tarnfirmen in Luxemburg eingestellt hatte. Auch die deutsche Kommissarin Monika Wulf-Matthies (SPD stellte den Verwandten eines Kommissar-Kollegen ein. Die "fünf Weisen" zoge das Fazit, daß die Kommissare die Kontrolle über die EU-Institutionen, die si eigentlich ausüben müssen, längst "verloren haben."

Für Santer befaßt sich der Bericht jedoch nur "mit wenigen Einzelfällen" Auf der Grundlage "weniger Betrugsfälle und Mißstände" werde ein Bil "der totalen Verantwortungslosigkeit" gezeichnet. Santer wörtlich: "Die ist ein verzerrtes Bild." Vier Jahre Arbeit der Kommission dürften nicht au "sechs Fälle von Unregelmäßigkeiten reduziert" werden. So sprechen Ideologen die die Welt durch die rosa Brille betrachten. Selbst der Rücktritt wird den 2 Kommissaren noch vergoldet. Jeder erhält mindestens eine halbe Million Mar Übergangsgeld. Pensionen gibt es zusätzlich – bis maximal 22 430 Mar monatlich. Unabhängige Schätzungen gehen schon seit langem davon aus, daß jede siebt Mark aus dem Brüsseler EU-Haushalt in den Taschen von Betrügern un Subventionserschleichern landet. Das wären immerhin 25 Milliarden Mark pro Jahr Beispiele für Mißwirtschaft und Mißbrauch von Steuergeldern finden sich in Hülle un Fülle. Jene "sechs Fälle von Unregelmäßigkeiten", von denen Santer spricht sind nur einige Mosaiksteinchen. Das Bild, das sich schließlich zusammensetzt, ergib jenes "Monster von Brüssel" oder das "Faß ohne Boden", wie Mülle (CSU) die Brüsseler Verhältnisse auch nannte. Man kann wahllos nach Beispielen fü europäischen Schlendrian greifen, zum Beispiel in den im Jahre 1995 veröffentlichte Bericht des Europäischen Rechnungshofes.

Darin stellt die damals von dem deutschen CDU-Politiker Bernhard Friedmann geleitet Luxemburger Finanzprüfungsbehörde fest, daß die Situation beim Vermögen de Europäischen Kommission in Brüssel "außer Kontrolle" geraten ist. Nac Ermittlungen des Rechnungshofes wissen die Eurokraten nicht mehr, was ihnen gehört und w sich ihre Gegenstände befinden. Die Buchhaltung ist grotesk und lächerlich: Ei Bürosessel stand mit einem Wert von 539 000,- DM in der Vermögensbilanz. De Bürostuhl, der demnach mit Gold beschichtet sein müßte, ist kein Einzelfall: Gleich 6 Exemplare dieser EU-Sitzgelegenheiten fanden die Kontrolleure in der Buchhaltung, die de Wert der Sessel zusammen mit 36,652 Millionen Mark angibt. Immerhin wurden die Sessel noc registriert, wenn auch zum falschen Preis. Andere Dinge sind völlig unauffindbar: S waren 27 000 Gegenstände (Wert: 29,172 Millionen DM) im Berlaymontgebäude in Brüssel registriert, "obwohl dieses bereits 1991 vollständig geräumt worde war".

Die Analyse des Rechnungshofes "ergab, daß insgesamt 83 000 Gegenstände in Wert von etwa 41,6 Mio. ECU (77,792 Millionen DM) erhebliche Informationsmänge aufweisen, weshalb sie sich kaum wiederfinden lassen", heißt es in dem Berich wörtlich. Zu einem weiteren Vermögensteil der Kommission im Wert von 255 Millionen D "kann keine Stellungnahme abgegeben werden". Das heißt nichts anderes, als da eine Überprüfung unmöglich war. Der Rechnungshof fragt die Kommission, ob die Buchhaltung "überhaupt funktioniert".

Der Rechnungshof fand Unterlagen über ein Seminar zur Kultur und Entwicklung vo Inselstaaten. Ergebnis der Prüfung: "Eine Person, deren Anwesenheit vor Ort nich nachgewiesen werden konnte, erhielt Tagegelder" – und zwar in Höhe von 3740 DM Aus den Projektmitteln wurde ein Cocktail-Umtrunk für 200 Personen finanziert, obwohl nu 50 an dem Seminar teilnahmen. Während des EU-Seminars wurde auch ein Mietwagen benötigt angemietet für einen Zeitraum 14 Tage vor und vier Tage nach Ende der Veranstaltung.

Während von deutschen Landwirten über jeden Liter Milch und jedes Kilogramm Getreid Buchführung verlangt wird, geht es anderswo einfacher. In Italien wird die Weiterverarbeitung von Zitrusfrüchten nicht kontrolliert, so daß die EU-Beihilfen falsc ausgezahlt wurden. In Griechenland zahlt die EU Beihilfen für getrocknete Traube (Rosinen) nach Hektar-Anbaufläche. Ein Grundbuch, in dem die Angaben der Landwirt kontrolliert werden könnten, gibt es nicht. Fazit: Es "hätte klar sein müssen daß sich diese Regelung nicht kontrollieren läßt."

Ein besonders vernichtendes Bild ergab eine Untersuchung des regierungsunabhängige Bonner Instituts "Finanzen und Steuern". Danach pumpte die Europäische Unio seit 1988 in strukturschwache Regionen eine halbe Billion Mark. Trotz des Riesenaufwande seien "nur geringe Fortschritte" erzielt worden. Der Verfasser, Hagen Lesch erklärte, nur die Regionen mit dem größten Einkommensrückstand hätten durch die EU-Förderung beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf leicht aufholen können. In ländliche Gebieten, die der industrielle Wandel besonders hart getroffen habe, hätten sich die Werte sogar verschlechtert. Bei den Arbeitslosenziffern habe sich die Abweichung vo Durchschnitt noch erhöht.

Die EU-Kommission gab zwischen 1988 und 1992 rund 157 Milliarden Mark fü Strukturhilfen aus. In dem seit 1993 laufenden Finanzplan (bis 1999) sind 345 Milliarde Mark vorgesehen. In der Studie heißt es, es lasse "sich nicht nachweisen, daß die Strukturhilfen den Wachstumsprozeß beschleunigt haben." Entsprechend hoch waren die Beiträge der EU-Mitgliedstaaten in die europäischen Kassen. So zahlte die Bundesrepubli seit 1994 exakt 147,958 Milliarden Mark mehr in die Brüsseler Kassen als nach Deutschlan zurückflossen. Das sind keine Phantasiezahlen, sondern offizielle Angaben der Frankfurte Bundesbank aus dem Monatsbericht Februar 1999. Brüssel verteilt in erster Linie als deutsches Steuergeld, während sich die Beiträge anderer Länder in Grenzen halten. S betrug der Nettobeitrag Frankreichs im vergangenen Jahr rund 1,5 Milliarden Mark, die Briten legten für Europa 3,5 Milliarden DM hin. Deutschland, so ermittelte die Bundesbank, zahlte dagegen im letzten Jahr 30,38 Milliarden Mark nach Brüssel.

Diese Zahlen riefen natürlich den neuen Kanzler auf den Plan. Auf eine SPD-Europakongreß im Dezember in Saarbrücken hielt Gerhard Schröder eine derar wuchtige Rede, daß in den Regierungszentralen der europäischen Nachbarländer die Wänd gewackelt haben dürften. So hatte seit Konrad Adenauer noch nie ein Bonner Regierungsche Tacheles geredet: Die Bundesregierung werde sich nicht mehr über den Tisch ziehen lassen Krisen könnten nicht durch die deutschen Kassen gelöst und die Nettobeiträge müßte gesenkt werden. Den Eindruck, den der Kanzler hinterließ, war im ersten Momen faszinierend: Hier hatte endlich ein Politiker klare Worte gefunden. Doch nach de Begeisterung kam natürlich die eigentliche Frage: Wo ist Schröders Konzept zur Senkun der Nettobeiträge ?

Und da wurde es dünn. Schröder hatte keines. Seine Regierungserklärung enthielt kei Wort zu diesem Thema. Seine Saarbrücker Rede auch nicht. Statt dessen will Schröde mehr: Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft soll die Agenda 2000 der Kommisssion mit der die Osterweiterung durchgeführt werden soll, beschlossen werden. In dem Pla stehen Projekte, die den deutschen Nettobeitrag explodieren lassen. Allein der Beitrit der mittel- und osteuropäischen Länder dürfte den deutschen Nettobeitrag um weitere 2 Milliarden Mark pro Jahr nach oben treiben.

Zu spät hatte die deutsche Regierung dann doch noch ein Konzept vorgelegt, um die Kosten der "Agenda 2000" in den Griff zu bekommen. Es hie "Kofinanzierung". Damit war gemeint, daß jede Mark, die Brüssel zum Beispie für die Landwirte ausgibt, durch eine weitere Mark aus der jeweiligen nationalen Kass ergänzt werden muß. Dieses Konzept hätte tatsächlich zu einer Verringerung de Nettoerträge aus der Bonner Steuerkasse geführt. Entsprechend mehr hätten die andere Länder bezahlen müssen. Doch Schröder zeigte sich lernfähig. Auf seine Neujahrspressekonferenz in Berlin mußte er einräumen, daß er mit seinem Vorschlag, die Brüsseler "Kohäsionsfonds" abzuschaffen, gescheitert war. Diese Fonds sollte dazu dienen, südeuropäische Länder wie Spanien, Portugal und Griechenland für die Euro-Währung fitzumachen. Der Euro ist längst da, aber die Zahlungen aus de Kohäsionsfonds werden weitergehen. Er habe lernen müssen, daß in der europäische Politik "Logik nicht allein gilt", gab Schröder zu. Und die "Kofinanzierung" ist auch bereits tot. Das Vorhaben sei nicht mehr möglich weil Frankreich indirekt mit seinem Veto gedroht habe: "Die deutsch-französisch Partnerschaft würde in Frage gestellt", erklärte Außenminister Joschka Fische ganz offen im Bundestag.

Für Fischer gibt es nur eine Konsequenz aus dem Rücktritt der Kommission: Die Agend 2000, das milliardenschwere EU-Programm zur neuen Landwirtschaftspolitik un Osterweiterung, müsse "schnellstmöglich" kommen, fordert Fischer. Um Inhalt und Details geht es ihm jetzt weniger, sondern um Schadensbegrenzung: "Eine Einigun wäre ein notwendiges Signal, daß die Europäische Union handlungsfähig bleibt." Gerade in der jetzigen Lage müsse Handlungsfähigkeit bewiesen werden. Sonst drohe ei "Rückfall in nationale Eigensucht". Ein Aussetzen der Agenda, wie von der Unio gefordert, wäre ein "verheerendes Signal". Dabei kann es keinen Rückfall in nationale Eigensucht geben, denn die nationalen Interessen hatten und haben für Brite und Franzosen stets Vorrang.

Durch die Aufgabe praktisch aller deutschen Positionen wird der Berliner EU-Gipfe natürlich ein "Erfolg" werden. Aber wieder wird Bonn zahlen müssen, auch wen eine geschickte Propaganda die Wahrheit erst spät ans Licht kommen lassen dürfte Kurzfristig werden die deutschen Bauern bluten müssen, da der gefundene Agrarkompromi voll zu Lasten der Familienbetriebe geht. Die beschlossenen Preissenkungen werden auc nicht annähernd durch die Erhöhung direkter Beihilfen ausgeglichen. Es gilt, wa CDU-Chef Wolfgang Schäuble im Bundestag gesagt hat: "So zerstört man die Lebensgrundlagen der deutschen Landwirtschaft." Auch Korruption und Schlendrian in Brüssel dürften nicht ernsthaft bekämpft werden. die zurückgetretene Kommission wir durch eine andere ersetzt, vielleicht mit dem Italiener Prodi an der Spitze.

"Wenn in der Europäischen Gemeinschaft weiter so betrogen wird", warn Ex-Rechnungshofpräsident Friedmann, "könnte die ganze EU daran scheitern." Solange Bonn bezahlt und sich die europäische Freundschaft erkauft, wird das jedoch nich der Fall sein. Doch Achtung kann man sich nicht erkaufen. Vielleicht hatte Arthu Schopenhauer doch recht: "Den Deutschen hat man vorgeworfen, daß sie bald de Franzosen, bald den Engländer nachahmen. Das ist aber gerade das Klügste, was sie tu können. Denn aus eigenen Mitteln bringen sie doch nichts Gescheites zu Markte."


 
     
     
 
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