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Die Internierungslager (der Sowjets in ihrer Besatzungszone) entsprachen nicht nur dem internationalen Recht, sondern waren erneut ein Beispiel sowjetischer Humanität." Während die übergroße Mehrzahl diesen am 22. Januar 1950 im Zentralorgan der SED, heute PDS beziehungsweise Linkspartei, "Neues Deutschland", veröffentlichten Satz als ebenso verlogen wie zynisch empfindet, gibt es offenbar immer noch Leute, die ihm zustimmen. Das jedenfalls muß man schließen aus der Reaktion des Generalsekretärs des International en Sachsenhausen-Komitees, das ehemalige Häftlinge des KZ aus der Zeit vor dem Mai 1945 vertritt, Hans Rentmeister, auf eine Passage aus der Rede des brandenburgischen Innenministers, Jörg Schönbohm, am Jahrestag der Besetzung des KZ durch die Rote Armee. Der Minister hatte ausführlich die Häftlinge gewürdigt, dann aber hinzugefügt: "Es wäre Unrecht, hier in Sachsenhausen aber nicht auch der Menschen zu gedenken, die nach 1945 hier eingesperrt waren, ebenso rechtlos wie die KZ-Opfer. Auch nach 1945 wurde hier weiter gefoltert und getötet, starben Menschen an den furchtbaren Verhältnissen."
Schon auf der Veranstaltung regte sich der in der weiteren Öffentlichkeit unbekannte Hans Rentmeister auf, daß Schönbohm auch die Opfer der Kommunisten genannt hatte. Die Äußerungen seien eine "Unverschämtheit und eine Brüskierung der Überlebenden." Das sei für die Insassen des 1. KZs "nicht akzeptabel, da unter den Insassen des (sowjetischen) Speziallagers auch Folterer und Mörder aus dem KZ waren". Er setzte die von den Sowjets Eingesperrten gleich mit "Mördern, Peinigern und Quälern unserer Kameraden" und behauptete: "Die ideologisch geprägte Gleichsetzung setzt die Mörder auf eine Stufe mit unseren Kameraden."
Nun ist es offenkundig, daß, wer so argumentiert, die Vorgehensweise der Sowjetunion in den Jahren nach 1945 rechtfertigt. Er verurteilt nicht grundsätzlich, daß aus politischen Gründen andersmeinende Menschen eingesperrt, gequält und getötet wurden, sondern er hat nur etwas dagegen, daß seine eigenen Gesinnungsgenossen verfolgt wurden. Das ist eine typisch kommunistische Argumentationsweise. Menschenrechte werden nur eingefordert, wenn es der eigenen Partei nutzt. Dem Gegner gegenüber aber ist jedes Mittel recht.
Das Erschreckende: Diese Ausfälle einer kleinen Gruppe sind von fast allen Zeitungen in Deutschland kritiklos nachgedruckt worden, selbst von der biedersten Regionalzeitung. Und sie verbreiteten damit die Lüge, die auch aus jenen Kreisen stammt, daß die UdSSR nach 1945 im ehemaligen KZ Sachsenhausen ebenso wie in neun weiteren sogenannten "Speziallagern", die nichts anderes waren als KZ, in erster Linie "NS-Verbrecher" inhaftiert hätten wie KZ-Wärter, Kriegsverbrecher und andere, die sich gegen das Völkerrecht vergangen hätten. Das aber ist nicht wahr!
Im Laufe der Jahre 1936 bis 1945 waren im KZ Sachsenhausen etwa 200000 Menschen inhaftiert, der allergrößte Teil nach Kriegsausbruch. Wenige Monate nach Besetzung des Lagers durch Sowjettruppen wurde auf demselben Gelände ein neues KZ eingerichtet, nunmehr unter der Herrschaft des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Und wieder füllten sich die Baracken und festen Häuser. "Bis Ende 1945 hatte das Lager seine volle Belegungsstärke von zirka 12000 Personen erreicht," so in einem Faltblatt der Gedenkstätte Sachsenhausen. Immer weitere Menschen wurden ins Lager gepfercht. 1945 waren es schon 16000. 2000 Frauen waren in einem abgeteilten Lagerbereich untergebracht.
Aus welchen Gruppen setzten sich die Häftlinge zusammen? Das ist heute nicht mehr exakt zu ermitteln. Einigermaßen sicher weiß man, daß 6000 Wehrmachtoffiziere dort eingesperrt wurden, die aus britischer und amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren und nun versucht hatten, zu ihren Familien in der sowjetischen Besatzungszone zu gelangen. Sie wurden von den Sowjets sofort inhaftiert. Dann gehörten Sowjetbürger zu den Häftlingen, die in ihre Heimat zurückkehren wollten, von den bolschewistischen Behörden aber wie Landesverräter behandelt und eingesperrt wurden. Der allergrößte Teil bestand aus Zivilisten, darunter eine erhebliche Anzahl junger Leute von zwölf Jahren an aufwärts. Ihnen wurde alles mögliche vorgeworfen, etwa sie seien "Werwölfe" gewesen, sie hätten in der Schule antisowjetische Propaganda betrieben, sie hätten eine Verschwörung gegen die Besatzungsmacht geplant, sie seien amerikanische Agenten und was immer den Sowjets an Vorwänden einfiel, um angebliche Klassenfeinde unschädlich zu machen. Als KPD und SPD zur SED zwangsvereinigt werden sollten, landeten viele SPD-Mitglieder in Sachsenhausen, die sich der Vereinnahmung durch die Kommunisten widersetzt hatten.
Die Lebensverhältnisse waren grauenhaft. Zwei Jahre lang mußten die Eingesperrten auf nackten Brettergestellen schlafen; erst dann gab es Decken. Die sanitären Verhältnisse begünstigten die rasche Verbreitung von Krankheiten. Medizinische Versorgung gab es zunächst nicht, bis es einem inhaftierten Medizinprofessor gelang, im Laufe der Jahre ein einigermaßen funktionsfähiges Hilfslazarett zu schaffen. Die Ernährung war katastrophal. In den ersten Wintern wurde nicht geheizt. Und so starben dann an Unterernährung, an Erfrierungen, an Seuchen und anderen Krankheiten von 60000 Häftlingen im Laufe der fast fünfjährigen Existenz des Sowjet-KZs mindestens 12000. Sie wurden in nicht gekennzeichneten Massengräbern verscharrt. Erst nach der Wende 1990 wurden sie gefunden und in einen einigermaßen würdigen Stand versetzt.
Ein typisches Beispiel für das Schicksal einer Inhaftierten ist die damalige Schülerin Gisela Dohrmann. Sie wurde im Dezember 1945 als 15jährige in Wittenberge nach einer Denunziation verhaftet. Ihr Vergehen: Sie hatte von einer Freundin eine Postkarte bekommen, in der diese in einer Art Geheimschrift, wie das unter albernden jungen Leuten gelegentlich vorkommt, private Belanglosigkeiten mitteilte. Daraufhin wurde sie wegen "bewaffneten Aufstandes gegen die Sowjetunion, der Zerstörung der bestehenden Staatsordnung sowie staatsfeindlicher konterrevolutionärer Verbrechen" zu zehn Jahren Arbeits- und Erziehungslager verurteilt. Sie landete in Sachsenhausen und konnte erst bei der Auflösung 1950 nach Hause zurückkehren. 1995 wurde sie von der Generalstaatsanwaltschaft der russischen Föderation rehabilitiert. Heute ist sie Sprecherin der "Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950" und bemüht sich nach Kräften, und das ohne nennenswerte offizielle Unterstützung, ihre ehemaligen Mitgefangenen des Sowjet-KZ gegen Diffamierungen zu verteidigen.
Über die Zahl der Opfer sowohl des KZ vor wie nach 1945 ist Genaues nicht bekannt. Der Direktor der Stiftung brandenburgischer Gedenkstätten, Prof. Morsch, äußerte nach einem Bericht der "Berliner Zeitung" im Dezember 2001, die Sterberate sei im sowjetischen KZ so hoch gewesen wie im Konzentrationslager der SS, das heißt in beiden Fällen dürften es etwa 12000 Menschen gewesen sein.
Die überwiegend wohl kommunistischen ehemaligen Häftlinge versuchen, die Legende in die Welt zu setzen, die von der Sowjetunion eingesperrten Deutschen seien Verbrecher gewesen. Sicherlich gab es unter den 60000 Eingesperrten einige wenige, die tatsächlich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten. Sie bildeten die absolute Minderheit; nach Aussagen von ehemaligen Häftlingen dürfte ihr Prozentsatz im einstelligen Bereich gelegen haben.
Die Angriffe gegen Schönbohm sind um so verwunderlicher, als der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck im vorigen Jahr in Sachsenhausen eine ganz ähnliche Rede gehalten hat. Er sagte unter anderem: damals (1945) "begann für tausende Menschen, darunter ehemalige KZ-Häftlinge, viele unschuldige Menschen und sogar Kinder, nur wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den sowjetischen Internierungslagern ein qualvoller Leidensweg. Auch das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde nur kurze Zeit nach seiner Befreiung erneut zu einem Ort des Schreckens: Die sowjetischen Sieger richteten dort im Herbst 1945 ein sogenanntes ‚Speziallager ein. ‚Einrichten bedeutete, daß ab September 1945 Marschkolonnen und Waggontransporte von Häftlingen eintrafen. Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder - das jüngste gerade zwölf Jahre alt - aus der näheren und weiteren Umgebung ... Ein ordentliches Gerichtsverfahren und ein gerechtes Urteil wurde den Gefangenen verwehrt ..."
Daran nahm damals niemand Anstoß. Warum aber jetzt, im April 2006, diese maßlose organisierte Empörung über den brandenburgischen Innenminister, die so weit ging, daß SPD-Landtagsabgeordnete Schönbohms Rücktritt forderten, weil er auch der von den Sowjets zu Tode gebrachten Landsleute, darunter zahlreiche SPD-Genossen, die nicht in die kommunistische SED eingereiht werden wollten, gedachte?
Der Verdacht liegt nahe, daß man einen der wenigen zum sowieso nur noch minimalen rechten Flügel der CDU gehörenden Landesminister demontieren wollte, der zudem noch kurz vorher der planmäßig erzeugten Hysterie um den angeblich rassistischen Hintergrund einer kriminellen Tat in Potsdam widersprochen hatte - wie man heute weiß, mit gutem Recht.
KZ Sachsenhausen: Wenn der Opfer gedacht wird, dann meist immer nur der aus nationalsozialistscher Zeit und nicht der aus sowjetischer. |
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