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Man soll über Geschichte nicht schreiben, während sie noch qualmt, meinte dieser Tage eine amerikanische Historikerin in Hinblick auf die Ära Kohl. Und erst recht nicht, wenn sie noch nicht einmal richtig zu brennen angefangen hat, möchte man hinsichtlich der Schröder-Regierung hinzufügen.
Indes, mit der Episode Stollmann schrieben die Rotgrünen bereits Politikgeschichte, ehe sie überhaupt richtig ans Werk gehen konnten. Da ist mehr zu Tage getreten als der "Minister", der schon keiner mehr war, bevor er es wurde. Hier wurde beispielhaft demonstriert, wie heute Personalentscheidungen fallen, nach welchen Kriterien man sich in unserer Zeit zur politischen Führung qualifiziert; und das läßt nichts Gutes ahnen.
Die neue Opposition ließ den Akt natürlich nicht ohne gebotene Häme über die Bühne gehen. Bei näherem Hinsehen jedoch kommen Zweifel, ob die Auswahl der Führungskräfte etwa bei der CDU soviel anders verläuft als bei den neuerdings regierenden Sozialdemokraten. Ein Blick auf die so hoffnungsschwanger hochgejubelten "jungen Wilden" macht skeptisch.
Hätte ein Ludwig Erhard heute noch eine Chance bei den Unionschristen? Ein "Wirtschafts-Bismarck", dem sein "Kaiser" Konrad Adenauer, auf die Kompetenz des Mannes vertrauend, auch dann noch den Rücken stärkte, als er selbst Zweifel hatte und die ganze Welt die eigene Partei eingeschlossen gegen ihn zu sein schien? Man mag es kaum glauben. Kanzler in spe Gerhard Schröder vermochte jedenfalls nicht einmal seinen Westentaschen-Erhard gegen den Apparatschik Lafontaine und seine Parteikader durchzuhalten. Jetzt kommt mit Werner Müller die peinliche Karikatur eines standfesten Ressortchefs auf den Sessel des Vaters der Markwirtschaft.
Das ist leider kein bedauerlicher Einzelfall, sondern Sym- ptom für das Ganze. Die zeitgenössische Politikergeneration besteht beinahe durchweg aus Leuten, die ihre ganze Karriere in der Partei und durch die Partei gemacht haben. Schon in der Schulzeit traten sie der Parteischülerorganisation bei, dann oder gleichzeitig der Parteijugendorganisation und schließlich der Parteistudentengruppe. In der SPD macht sich parallel dazu ein wenig Gewerkschaftsengagement und bei den Grünen die Mitarbeit in einer Umwelt- oder "Stadtteilkultur"-Gruppe ganz gut.
Hat sich der Polit-Aspirant da überall recht ordentlich gemacht und war nicht dumm aufgefallen, winkt nach dem Examen eine Stelle als "Wissenschaftlicher Mitarbeiter" oder ähnliches. Wiederum natürlich bei einem Abgeordneten der Partei oder einer Stiftung, einer Fraktion usw. Wer die Lebensläufe jener "jungen Wilden" zurückverfolgt, wird mit einiger Beklemmung feststellen, daß ihnen Erfahrungen am freien Arbeitsmarkt weithin fremd sind. Die Partei war schon ihr Leben, bevor sie den Führerschein hatten. Und sie blieb es.
So ist ihnen die Politik, besser gesagt die Partei, alles, ohne die Partei sind sie nichts. Denn mangels nennenswerter Erfahrung in der freien Arbeitswelt dürfte es solchen Berufspolitikern fast unmöglich sein, dort eine berufliche Alternative zu finden mit ähnlich komfortabler finanzieller Ausstattung. Wer derart angewiesen ist auf das Wohlwollen seiner Partei, der sieht sich vor, nichts falsch zu machen. Ludwig Erhard, und mit ihm viele seiner Zeitgenossen, ging in die Politik mit glasklaren Vorstellungen und dem Willen, diese durchzusetzen. Beim Scheitern seiner Ideen war ihm gewiß, daß er den Hut würde nehmen müssen. Doch ins Bodenlose gefallen wäre der legendäre Wirtschaftsminister niemals. Welcher Konzern hätte nicht gern einen Generaldirektor vom Schlage des "Dicken" für sich gewonnen? Somit blieb ihm stets der Ausweg, seine Widersacher vor die Alternative zu stellen: Entweder es läuft so wie ich will, oder ihr müßt ohne mich auskommen.
Nunmehr ist die Machtkonstellation umgekehrt. Die Partei kann "ohne..." auskommen, der jeweilige Politiker aber ist auf das Wohlwollen seiner Truppe auf Gedeih und Verderb angewiesen. Das macht gefügig. Am besten, man hat erst gar keine eigene Meinung, so kann man auch nicht mit einer Position untergehen. Wer allzusehr auf einer Haltung beharrt (so er denn eine hat), wird schnell als "Polarisierer" etikettiert, der "nicht ausreichend dialogfähig" ist. Wer hingegen immer hübsch mitschwimmt, gilt als "offen für neue Ideen", "lernfähig, pragmatisch und nach allen Seiten gesprächsbereit".
Vor allem hat unsere Politikerkaste eines gelernt: Bloß kein Risiko eingehen, nie ganz aus der Deckung kommen, unverbindlich bleiben und Sorge tragen, daß immer ein Hintertürchen bleibt, durch das man den Folgen eigener Worte und Taten entschlüpfen kann.
Solange die Dinge einigermaßen gemächlich und übersichtlich dahintreiben, mag das ausreichen. Wie dergleichen geformtes Politpersonal unser Land aber durch eine wirklich stürmische See geleiten soll, die uns von den weltwirtschaftlichen Turbulenzen in anderen Erdteilen bereits sichtbar droht, steht in den Sternen.
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