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Und was ist rechts von der Mitte?

 
     
 
Von den Konservativen wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer einmal wieder die warnende Frage gestellt, ob diese Bundesrepublik Deutschland, basierend auf den Erfolgen ihrer Wirtschaft und dem dadurch möglichen komfortablen Sozialstatus ihrer Bewohner, nicht nur eine Schönwetter-Demokratie sei. Gehören nicht auch andere Werte zu den Grundlagen, wie etwa das nationale Gemeinschaftsgefühl, wie die Versöhnung mit der eigenen Geschichte, wie eine Gedächtnispolitik, die nicht nur auf die schwarzen Seiten unserer Vergangenheit zielt. Es wurde gewarnt vor der Spaßgesellschaft, vor der kollektiv
en Dekadenz, die sich bei uns ausbreitete, vor dem Verlust der deutschen Identität, der sich etwa dadurch ausdrückte, daß auf die Frage: "Wer sind wir Deutschen eigentlich?" keine Antwort gegeben wurde.

Jetzt ist der Kladderadatsch da. Der Karren BRD ist an die Wand gefahren, und für die letzten Meter auf sie zu sind die linken Steuerleute verantwortlich. Die aber schmeißen jetzt die Zügel hin. Sollten die anderen doch sehen, wie sie den Karren aus dem Dreck ziehen! Außerdem waren die ja auch nicht unschuldig an dem Desaster!

Und tatsächlich sind die bereit, auf dem Kutschbock Platz zu nehmen. Und aller Welt verkünden sie, daß sie die Rezepte für eine bessere Politik besäßen. Tatsächlich blickten die Wähler noch vor einigen Monaten fasziniert auf die ins Auge gefaßte neue Steuerfrau und waren mangels anderer Alternativen davon überzeugt, daß sie es zwar auch nicht besser könne, daß aber jede Lösung besser sei als die alte.

Und tatsächlich präsentierten die Vorsitzenden der CDU/CSU das neue "Regierungsprogramm 2005-2009" mit dem Schlagwort "Deutschlands Chance nutzen. Wachstum. Arbeit. Sicherheit."

Bürger, die genauer nachlesen wollten, wurden allerdings zunächst enttäuscht. Zwei Wochen nach der spektakulären Veröffentlichung gab es weder in den Landesgeschäftsstellen noch in der Bundesgeschäftstelle dieses bedeutsame Programm. Wenn man die aus dem Internet geholte Fassung durchsah, dann erfuhr man etwas über eine Gesundheitsprämie an Stelle der bisherigen Krankenkassenbeiträge, von Maßnahmen, die Renten einigermaßen zu sichern, über Einschränkungen beim Umweltschutz. Man las, daß die Länder für die Bildungspolitik zuständig seien. Vor allem aber, und das wurde dann in den folgenden Wochen zur Schlagzeile für das CDU/CSU-Regierungsprogramm, wollten die neuen Heilsbringer erst einmal die Mehrwertsteuer erhöhen, eine Maßnahme, die sie noch wenige Wochen vorher als Teufelszeug verdammt hatten.

Das ist nun also alles, was helfen soll gegen den Ernstfall in Deutschland. Das soll bewirken, daß die Deutschen wieder "stolz sind auf ihr Land", wie Frau Merkel in einem ausführlichen Interview feststellte.

Kein Wort dazu, daß die EU, zu deren heutigem Zustand die Bundesregierungen vor allen Dingen unter Helmut Kohl erheblich beigetragen haben, auch in Deutschland - wie in den meisten übrigen Mitgliedsländern - immer mehr an Vertrauen verliert. Der EU-Kommission, also gleichsam der Regierung der EU, trauen in der Bundesrepublik nur noch 31 Prozent. Unter dem Motto "Zuwanderung begrenzen. Integration stärken" wird zwar die Lage richtig analysiert, daß die Arbeitslosenquoten der Ausländer überdurchschnittlich sind, daß viele Kinder von Einwanderern keinen schulischen Abschluß schaffen, daß sich Ghettos bilden und daß eine Entwicklung zu Parallelgesellschaften unübersehbar ist. Eine überzeugende Antwort, wie die Gefahren für den sozialen Frieden in Deutschland abgewendet werden können, fehlt jedoch. Über die Überalterung der deutschen Gesellschaft mit allen schlimmen Folgen und über die damit zusammenhängenden Frage, wie deutsche Familien mehr Kinder in die Welt setzen können, macht man sich bei den Christdemokraten offenbar keine Gedanken. Mit Steuererleichterungen ist es bei Gott nicht getan! Von Bevölkerungspolitik hört man kein Wort. Es gibt im Programm kein kritisches Wort zu den immer deutlicher werdenden schlimmen Folgen der Globalisierung, geschweige denn Vorschläge zu deren Steuerung. Und daß die Bürokratie abgebaut werden soll, hören wir vor jeder Wahl. Wirkungsvolles ist noch niemals passiert.

Frau Merkel verkündet immer einmal wieder - und da ist sie nicht besser als ihre Vorgänger -, daß die CDU eine Patriotismus-Debatte führen wolle, ja, mehr noch, - daß es in der Partei nun endlich einen Platz geben solle, wo man sich ernsthaft über Werte-Verfall und Werte-Gewinn klar werden wolle. Der Berliner Soziologie-Professor und Publizist Alexander Schuller höhnt darüber in der FAZ: "Frau Merkel möchte sich gern über Patriotismus unterhalten. Ein substanzloses Reden über Landesliebe und Leitkultur soll ihren offensichtlichen Verfall abwenden. Wir haben zwar eine Leitkultur, irgendeine, aber geblieben ist eine multikulturelle Verwirrung. Das nennt man ein Identitätsproblem."

Was auf den 39 Seiten des "Regierungsprogramms" der CDU/CSU steht, reicht für die Bewältigung des Ernstfalls in keiner Weise aus, zumal inzwischen nahezu alle kompetenten Wirtschafts- und Finanzfachleute zu dem Schluß gekommen sind, daß sich die angekündigten Maßnahmen nicht finanzieren lassen (wobei es nur wenig tröstet, daß sie der SPD bescheinigen, sie habe nicht einmal ernsthaft versucht, die Kosten ihrer Wahlversprechen durchzurechnen). Hauptfehler sehen viele in der Tatsache, daß, wie eine französische Zeitung schreibt, die christdemokratische Opposition "in ihrem Wahlprogramm nahezu Punkt für Punkt die Reform von Schröders Mannschaft, vor allem im Steuerrecht, übernehmen will". Sie schließt daraus, bei der Bundestagswahl werde es "mangels Alternative keinen echten Politikwechsel geben".

Zugegeben: Die Christdemokraten und Christsozialen haben es schwer, eine wirkliche Alternative zu präsentieren. Die ist nämlich im linken Ideenspektrum nicht zu finden. Hier ist jeder Zentimeter bereits von den Parteien besetzt. Einen wirklich neuen Politikansatz fände man höchstens weiter rechts, und dorthin will sich die CDU/CSU unter keinen Umständen entwickeln, nimmt sie doch seit Jahren mehr oder weniger aktiv am Kampf gegen Rechts teil. Rechts, das würde beispielsweise bedeuten, daß sie sich für mehr direkte Demokratie ausspräche und so die Entmündigung der Wähler mindestens reduziere. Das bedeutete ein klares Wort gegen die andauernde deutsche Schuldkultur, die unserem Volk moralisch das Genick gebrochen hat. Das bedeutete, Schluß zu machen mit der Idee, Deutschland müsse in den Uno-Sicherheitsrat; viel wichtiger wäre es, daß eine von der CDU/CSU geführte Bundesregierung endlich etwas unternimmt, um die Feindstaaten-klausel aus der Uno-Satzung zu entfernen, die, man mag es drehen, wie man will, uns ständig bedroht. Eine wirkliche Wende wäre es, wenn in dem Programm vorgesehen würde, den Verwaltungs-Wasserkopf der Bundesagentur für Arbeit an Haupt und Gliedern zu reformieren, nach Prüfung vielleicht sogar ganz abzuschaffen und durch ein wirklich effektives Instrument für die Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu ersetzen. Es bedeute den Appell zu viel mehr Selbstverantwortung der einzelnen Bürger, wovor man Angst hat, weil es Stimmen kosten könnte.

Von Woche zu Woche verlieren die Christdemokraten in demoskopischen Umfragen an Zustimmung. Glaubten manche noch vor einem Jahr, am Horizont zeichne sich eine absolute Mehrheit für die CDU/CSU ab, so wird inzwischen von vielen Beobachtern eine Große Koalition für immer wahrscheinlicher gehalten.

Die linke tageszeitung vertritt die Ansicht, die jetzige Bundestagswahl werde "die letzte ‚normale Abstimmung gewesen sein, in der schon vorher klar ist, daß eine Koalition der Etablierten die Regierung stellen wird. Spätestens bei der nächsten Wahl 2009 werden sich die Wähler ratlos fragen, was sie wählen sollen. Rot-Grün ... wird sozialpolitisch noch immer in schlechter Erinnerung sein - und die Union dürfte dann gerade fulminant versagt haben. Denn das Programm des ,Weiter so wird nicht funktionieren ..." Die taz prognostiziert, dann würde sich "der Raum nach rechts erstmals weit öffnen. Für den populistischen Rechtsdrift wäre es nicht unbedingt nötig, neue Parteien zu gründen. Nachbarn wie die Niederlande zeigen, wie sich in wenigen Jahren das ganze Spektrum verschieben kann."

Auch Linke können gelegentlich die Welt realistisch sehen.

Michaela Weiser
 
     
     
 
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