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Zu den traditionellen Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital sei jetzt im 21. Jahrhundert die Information als vierter gesellschaftsleitender sowie gesellschaftsdynamisierenden Produktionsfaktor hinzugekommen. Wir lebten in einer Wissens- und Informationsgesellschaft, so die einhellige These führender Sozialwissenschaftler. In welcher Phase dieser rasanten Wandel-Entwicklung stehen wir heute?
Kepplinger: Bei der Verlagerung der Produktivfaktoren sind wir noch am Anfang der Entwicklung. Das zeigen auch die Rückblicke etwa auf die Ursachen des Börsencrashs. In den USA trägt ja die Informationstechnologie, gemeint sind die "neuen Medien", also Computer, Silicon Valley im weitesten Sinn, nur einen sehr geringen Prozentsatz zum gesamten Bruttosozialprodukt bei. Die Medienöffentlichkeit für diese Art von Produktion ist bei weitem größer als ihre wirtschaftliche Bedeutung. Das ist ein unglaublich aufgeblasenes Gebilde. Meine These lautet also: wenn man an die wirtschaftliche Seite denkt, dann sind wir noch am Anfang.
Gehen wir aber auf die Rolle der Information im Sinne von Medien-Information ein, dann sind wir in einem relativ fortgeschrittenen Stadium. Beispiel England: gegen Murdock ist dort keine Wahl mehr zu gewinnen. Solange er dort der beherrschende Verleger ist, wird jede politische Partei, die gewinnen will, sich seinen Bedingungen unterwerfen müssen. In der Bundesrepublik sind es doch effektiv einige wenige große Häuser, die die Medienmacht besitzen. In Australien oder Italien ist es ähnlich, das heißt, hier haben wir einen weit fortgeschrittenen Prozeß.
Zweifellos hat die informationsproduzierende Elite ungeheuer an Macht gewonnen. Aber im Vergleich zur Finanzelite ist sie immer noch relativ machtlos. Hier müssen verschiedene Dinge auseinandergehalten werden: wenn man das Verhältnis der Medien zur Politik betrachtet, dann hat sich in der Tat die Macht von der Politik zu den Medien verschoben. Die großen Medienorganisationen sind viel einflußreicher als die großen Parteien.
Wenn man sich aber das Verhältnis Medien zur Großfinanz betrachtet, dann ergibt sich wiederum ein ganz anderes Bild, und die Konfliktlinien sind ganz andere. Im Verhältnis zu Großkonzernen sind auch Medien nur kleine Häppchen und im Endeffekt auch von ihnen abhängig.
Inwiefern hat sich tendenziell die Hierarchie der machtausübenden Gruppen - in Wirtschaft, Politik und Medien - verändert?
Kepplinger: Immer klarer wird erkennbar, daß sich die Macht weg von den Parteien, den Kirchen und von den Gewerkschaften sowie von anderen Organisationen wie den Vertriebenenverbänden verschoben hat. Keine dieser Organisationen hat in einem öffentlichen Konflikt eine Chance, wenn die Medien - oder ein Großteil von ihnen - gegen sie stehen.
Ist dann in der heutigen Informationsgesellschaft derjenige politische Akteur souverän, der emotionalisierte Bilderwelten via Massenmedien im Bewußtsein seiner Zielgruppen verankern kann und damit andere dominiert, jenseits des vielbeschworenen "rationalen Dialogs mündiger Bürger" oder gar des "herrschaftsfreien Dialogs" à la Habermas?
Kepplinger: In der Tat, der wäre souverän. Aber gelingt das wirklich? Das eigentliche Problem und das wissenschaftlich interessante Phänomen ist ja die Frage, wie kommt es, daß Massenmedien zu bestimmten Zeiten praktisch fast alle in eine Richtung laufen? Ein Grund dafür ist sicher ideologischer Natur. Es ist einfacher, die Medien gegen Konservative zu instrumentalisieren als gegen Linke. Aber hier spielt nicht nur dieses Rechts/Links-Schema eine Rolle.
Meine wissenschaftliche Lebenserfahrung besagt: hier finden keine irgendwie gearteten Verschwörungen statt, wie manche meinen. Zu all diesen Theorien habe ich ein ganz distanziertes Verhältnis! Es gibt normalerweise keine geheimen Drahtzieher. Entscheidend sind die informellen Meinungsbildungsprozesse in den Medien, die eine ungeheure Eigendynamik entwickeln können. Und diese Dynamik kann so stark sein, daß sie andere Interessen, beispielsweise auch ideologische, völlig überspült.
Heißt das, daß derartige Prozesse kaum steuerbar sind?
Kepplinger: Ja, wenn so ein eigendynamischer Prozeß einmal ins Laufen kommt, läßt er sich nicht mehr steuern. Wie ein alles niederwalzender Panzer bahnt sich der Trend seinen Weg. Und zwar so lange, bis sich die Energie verzehrt hat.
Wie muß man sich den Verlauf eines solchen "eigendynamischen Prozesses" vorstellen?
Kepplinger: In meiner letzten Veröffentlichung "Die Kunst der Skandalisierung" bin ich darauf ausführlich eingegangen. Zentrale Erkenntnis: die Kollegen in allen Berufen orientieren sich primär an ihren Kollegen: Zahnärzte, Mediziner, Architekten - um einige Beispiele zu benennen. Alle schauen und fragen sich, was machen die anderen, was ist gut? Wie stehe ich im Verhältnis zu den Kollegen da, wenn ich mich so oder so verhalte? Aber in keiner Branche ist das annähernd so schnell und so total wie in den Medien-Berufen. Hinzu kommt: in keinem Beruf müssen die Vertreter ihre Entscheidungen täglich zu Markte tragen. So ist die permanente Wahrnehmung der Öffentlichkeit und die Beobachtung der Kollegen für Journalisten etwas unglaublich Wichtiges. Niemand will sich in seinem Beruf isolieren. Und die Isolationsfurcht ist ein gewaltig wirkendes Steuerungselement. Natürlich gibt es Journalisten, die damit spielen, die bewußt Einzelgänger sind. Aber derartige Persönlichkeiten sind in jedem Beruf eine verschwindende Minderheit.
Apropos Minderheiten: nur wenige Journalisten verorten sich selbst als konservativ oder gar "rechts". Die meisten stufen sich als liberal oder links, bis hin zur PDS ein - auch grün-ökologische Orientierungen sind häufig. Machen zuwenig nichtlinke Intellektuelle Gebrauch von der Berufschance des Journalismus?
Kepplinger: Zunächst stimme ich Ihnen zu, daß bei weitem die Mehrheit der Journalisten links von der Mitte steht, das sind - empirisch belegbare - satte 60 bis 70 Prozent. Das ist in allen westlichen Demokratien so, in England, in Amerika, auch in Frankreich.
Wie massiv schlägt sich das in der Berichterstattung nieder?
Kepplinger: Das hängt davon ab, inwieweit der einzelne Redakteur entscheidenden Einfluß auf das Produkt hat. In Deutschland hat er einen relativ großen Einfluß, in England einen vergleichsweise geringeren. Die Grundhaltung ist in Amerika, in England, in Frankreich überall zunächst einmal links. Und das hängt auch damit zusammen, daß es unterschiedliche Lebensentscheidungen gibt, die ungefähr im Alter von 16 bis 24 getroffen werden. Jedem intelligenten jungen Menschen stehen in diesen Jahren der Orientierung verschiedene Lebenswege offen. Manche wollen sich in den großen Organisationen verwirklichen, viele auch als freischaffende Ärzte, Steuerberater oder Anwälte. Das setzt meist eine Akzeptanz der Gesellschaft voraus, wie sie ist. Andere leben in einer erheblichen Spannung zur Gesellschaft. Sie lehnen sie ganz oder teilweise ab. Und ein hoher Prozentsatz von letzteren wird entweder Künstler, Schriftsteller, Musiker oder eben: Journalist. Deshalb tendiert in allen freien Gesellschaften unter den Journalisten die Mehrheit zu Parteien, die ihrer systemkritischen Grundhaltung Ausdruck verleihen.
Sehen Sie darin ein immerwährendes Muster, war das früher auch so?
Kepplinger: Journalisten waren immer irgendwie "links", auch in früheren Zeiten. Allerdings war die inhaltliche Ausprägung ihres "linken" Engagements sehr unterschiedlich. Die heute als "rechts" geltenden studentischen Burschenschaften galten in weiten Teilen des 19. Jahrhunderts als "links", als antifürstlich-revolutionär und somit staatsfeindlich. Auch hatte die literarische Intelligenz durchgängig oppositionelle Züge - denken Sie an das "Junge Deutschland", um im Zeitraum des Vormärz zu bleiben.
Zurück zum Heute: Es ist zunächst auch gar nicht weiter schlimm, daß da ein Überhang an linken Journalisten vorhanden ist. Nur: wenn wir in den Redaktionen linke Mehrheiten von 60 Prozent bei 20 Prozent Indifferenten haben, dann ist es für die Minderheit der 20 Prozent Konservativen außerordentlich schwer, ihre Position aktiv zu vertreten. Denn die Menschen sind nun einmal mehrheitlich nicht mutig. Und es ist für jeden Menschen außerordentlich belastend, wenn er sich permanent rechtfertigen muß, weshalb er so denkt, wie er denkt. Die Konsequenz ist: bei einem Links-Rechts-Verhältnis von 60:20 bleiben von den 20 Prozent Konservativen entsprechend der Theorie der Schweigespirale nur rund fünf Prozent übrig, die den Mut haben, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Von den 60 Prozent Linken sind es aber weit mehr, vielleicht 40 oder 50 Prozent. Das hat für die Öffentlichkeit in liberalen Demokratien die bedenkliche Folge, daß die Position der konservativen Minderheit im Journalismus noch geringer erscheint, als sie in Wirklichkeit ist.
In Ihrem erwähnten Buch behaupten Sie, daß "die Wahrheit während des Skandals in einer Welle kraß übertriebener und gänzlich falscher Darstellungen untergeht". Können Sie diese These an einem typischen Beispiel darstellen?
Kepplinger: Das gravierendste Beispiel war zweifellos die Skandalisierung der BSE-Krise. Ich habe damals geschrieben, und inzwischen ist das ja auch immer härter durch Fakten bestätigt, daß es viel gefährlicher ist zu heiraten, als Rindfleisch zu essen. Weil man nämlich eher vom Ehepartner erschlagen wird, als an Creutzfeldt-Jacob zu erkranken und zu sterben. Das war, auch wenn es lustig klingt, ernst gemeint. Die medial erzeugte Furcht vor BSE hatte irrationale Züge angenommen. Wie immer gab es auch hier im Journalismus einige Wortführer, einige Mitläufer, viele Chronisten und kaum Skeptiker.
Ab einem gewissen Zeitpunkt war die Mehrheit von ihrer Sichtweise so felsenfest überzeugt, daß Zweifel an ihrer Darstellung als Vertuschungsversuche gebrandmarkt wurden. Auch das ist üblich. Dazu kommt, daß die engagierten Skandalierer ihre Dar- stellungen selbst dann nicht revidieren, wenn sie sich als falsch herausgestellt haben. So hört man, obwohl neue Hochrechungen vorliegen, nichts mehr über die Auswirkungen von BSE.
Auffällig ist in letzter Zeit eine skandalisiernde Extremismus-Berichterstattung gegen "rechts" in Deutschland. Wer seit dem ungeklärten Attentat von Düsseldorf im Juli 2000 die deutsche Medienlandschaft verfolgt, könnte die Befürchtung hegen, Deutschland stünde kurz vor einem neuen 1933. Gleichzeitig wird die extremistische Qualität der in PDS umgetauften SED - sie bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm zu den Vorzügen der Oktoberrevolution von 1917 - weitgehend ausgeblendet. Wie konnte es zur dieser Wahrnehmungsschieflage kommen?
Kepplinger: Hier ist zweifellos Ideologie der wichtigste Erklärungsgrund. Ein Großteil der Journalisten besitzt eine gewisse Nähe zu sozialistischen Ideen. Folge: Es gibt keine linksextremen Schläger mehr, es gibt nur noch "autonome Gruppen".
Wenn die gewaltbereiten Glatzen auftauchen, dann sind es rechtsradikale Horden, wenn die Linken auftauchen, bei den Chaostagen in Hannover oder früher in Hamburg, dann sind es Autonome. Obwohl sich diese Autonomen zweifellos als "Linke" verstehen. Die Linke wird von Journalisten, die so verfahren, begrifflich geschützt, damit ihr hoher moralischer Anspruch nicht beschädigt wird. Hier ist eine ideologisch fundierte Ungleichgewichtigkeit in der Darstellung von Links- und Rechtsextremismus zu registrieren.
Herr Kepplinger, gibt es bei den von Ihnen erwähnten Skandalen und in der Zeitgeschichtsschreibung auffällige deutsche Sonderwege?
Kepplinger: Es gibt nationentypische Erscheinungsformen. In England werden finanzielle Dinge in der Regel nicht zum Skandal, dafür Sex. Bei uns wird normalerweise Sex nicht zum Skandal, aber dafür Finanzfragen.
In der Tat führt der Skandal dazu, daß bestimme Regeln außer Kraft gesetzt werden. Manche Skandale haben ja einen gravierenden Anlaß. Etwa der Contergan-Skandal. Andere Skandale haben im Grunde genommen nichtige Anlässe. Nehmen Sie die miles & more-Affäre. Aber: in allen Fällen sind die Mechanismen gleich, unabhängig davon, ob der Anlaß wichtig oder unwichtig ist. Und die Mechanismen laufen darauf hinaus, die üblichen Regeln der Wahrheitsfindung innerhalb und außerhalb des Journalismus außer Kraft zu setzen.
Seit Günter Grass in seinem Roman "Im Krebsgang" den Leidensweg und die Opfer von über zwölf Millionen deutschen Heimatvertriebenen thematisierte, hat sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit in ungewöhnlicher Weise dieser deutschen Opfergruppe geöffnet. Weshalb gab es diese jahrzehntelange Tabuisierung des Schicksals der deutschen Vertriebenen in den deutschen Massenmedien, bei gleichzeitiger Dauerpräsenz anderer Opfergruppen?
Kepplinger: Die Thematisierung deutscher Opfer im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg sieht leicht aus wie eine Aufrechnung des einen Leids gegen das andere. Es hat, auch wenn das nicht beabsichtigt ist, den Anschein, man wolle das Leid der anderen minimieren. Derjenige, der solche Thematisierungen vornimmt, ist deshalb in der schwierigen Lage, begründen zu müssen, weshalb er das eigene Leid zur Sprache bringt. Und es gibt wenige Menschen, die bereit sind, sich diesem Rechtfertigungszwang auszusetzen.
Im übrigen gibt es eine ganze Reihe von ähnlichen Tabu-Themen, so die systematischen Tötung der deutschen Zivilbevölkerung in den Großstädten durch die Flächenbombardements im zweiten Weltkrieg. Aber eine Diskussion darüber ist in Deutschland nie geführt worden. Der Grund ist gleich: es sähe so aus, als ob man das eigene Leid aufrechnen wollte mit dem, was Deutsche anderen, etwa der Bevölkerung von London, angetan haben. Es wird vielleicht noch eine Generation dauern, bis die Problematik öffentlich diskutiert wird, aber es wird komme |
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