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Am 11. Mai 1974 öffnet sich die Tür zum Verhörraum im Gefängnis der Staatssicherheit in Berlin Lichtenberg, Magdalenenstraße. Dem eingeschüchterten Familienvater aus der Bundesrepublik stellt sich ein "Hauptmann Schütze" vor. "Sie werden gleich Gelegenheit haben, einen Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der BRD zu sprechen", donnert Schütze. Der 35jährige Familienvater hat Kontakte zwischen einer Fluchthilfeorganisation und Ausreisewilligen hergestellt. Dann wurde er erwischt. Jetzt sitzt er in Hohenschönhausen, im berüchtigten Stasi-Knast.
Zwei Stunden später sitzen ein Ministerialrat aus der Ständigen Vertretung (im DDR-Deutsch: "StäV"), der westdeutsche Fluchthelfer und Oberst Schütze zusammen. Der Stasi-Offizier läßt die beiden nicht aus den Augen und unterbricht sie, wenn ihm danach ist.
Später wird der Fluchthelfer abgeführt. Er ist nicht der erste, den die Kommunisten für Monate oder Jahre hinter Gitter bringen. Das Treffen in Berlin-Lichtenberg dagegen ist eine Premiere: Es war der erste Besuch eines Vertreters der StäV bei einem Westdeutschen entsprechend dem gerade in Kraft getretenen Grundlagenvertrag.
"Schütze" heißt in Wirklichkeit Peter Pfütze. "Was wir taten, war rechtens", lautet der zentrale Satz seines Buches "Besuchszeit". Der MfS-Oberst a. D. sitzt 32 Jahre später mitten in Berlin-Lichtenberg, unweit von der früheren Stasi-Zentrale. Im Hotel Ramada stellt er sein Buch offiziell vor.
Pfützes Parteiauftrag bestand über 14 Jahre lang darin, diese Treffen zwischen Diplomaten und inhaftierten Bundesbürgern zu ermöglichen. "Ich bereitete den Häftling auf den Besuch vor. Und ich konnte immer sagen: Der Häftling ist geständig. Das hat die Juristen immer sehr gewundert. Bei mir haben die immer alle gesagt: ‚Ja, ich habe eine Straftat begangen ", schwadroniert Pfütze (72) mit Blick auf seine Opfer.
"Ich habe nicht gestanden", ruft einer dazwischen. Just in diesem Moment ist dem ersten der anwesenden Stasi-Opfer der Kragen geplatzt. "Ich habe neun Jahre gesessen. Die DDR ist doch nicht an Humanitätsduselei eingegangen", beschwert er sich.
Pfütze hebt die Hand verwirrt und wirkt auf einmal ein wenig wie der senile Erich Mielke, der vor der Volkskammer bekennt: "Ich liebe euch doch alle". "Ich bin noch nicht fertig", entgegnet er dem Mann. Pfütze ist es nicht gewohnt, unterbrochen zu werden.
Die ganze Buchvorstellung ist gespickt mit Szenen wie dieser. Frühere DDR-Opfer und Stasi-Täter halten sich die Waage. Mit rund 80 Personen ist der noch zu DDR-Zeiten eingerichtete Seminarraum randvoll. Und weil die DDR-Aufarbeitung große Konjunktur hat, sind das Fernsehen und die Presse auch da.
Neben "Besuchszeit" wird noch das Buch "Der Botschaftsflüchtling und andere Agentengeschichten" vorgestellt. Herausgeber ist Oberst a.D. Gotthold Schramm (74). Als "Stargast" sollte Markus Wolff, der einstige Chef der Stasi-Auslandsabteilung, kommen. Auch deswegen die viele Presse. Doch der Spionage-Boß ist nicht erschienen. Es ginge ihm gesundheitlich nicht so gut, heißt es.
Pfütze schildert in seinem Vortrag die Haftbedingungen im Arbeiter- und Bauernstaat, so wie er sie wahrgenommen haben will: "Der Herr Bräutigam [Leiter der Bonner Ständigen Vertretung, Anm. d. Verf.] hat mir gesagt, daß er sehr zufrieden war. Nicht einer von den 3000 Besuchen mußte abgebrochen werden. Wir wünschten uns sogar einen schönen Feierabend und ein schönes Wochenende."
Das SED-Opfer Hans-Eberhard Zahn meldet sich hinterher zu Wort. "Die DDR war ein Unrechtstaat", betont er. "Wir waren bemüht, einen anderen Staat aufzubauen. Wir hatten eben andere Gesetze als die BRD", entgegnet Pfütze. "Das hatten die Nazis auch, andere Gesetze", erwidert Zahn. "Wir waren aber keine Nazis" - so geht es hin und her.
Bis ein anderes Stasi-Opfer sich zu Wort meldet und "rotlackierte Faschisten" ruft. Werner Großmann (77), Mielkes Stellvertreter und stiller Zuhörer bis zu diesem Zeitpunkt, steht nun auf und kündigt an, den Mann anzuzeigen. "Sagen Sie mir Ihren Namen", fordert er den DDR-Regimegegner auf. Es klingt wie bei einer Paßkontrolle auf der Transitstrecke.
Als nächstes steht ein Exil-Kubaner auf und wettert gegen die kommunistische Autorenclique: "Wir arbeiten daran, Leute wie Sie dingfest zu machen." Gotthold Schramm antwortet, man dürfe politische Entwicklungen nicht einseitig betrachten. Er spricht von Angriffen auf die Person Castros, von in den USA inhaftierten Kubanern. "Wir wollen zur historischen Wahrheit beitragen" - auch so ein Lieblingssatz aus dem Repertoire der Täter von damals.
Aus diesem Sammelsurium der Propagandabegriffe stammt auch der Begriff "Menschenhändler", wenn von Fluchthelfern die Rede ist. Pfütze hat ein ganzes Kapitel so genannt. Darin heißt es: "Es war nachweislich ein krimineller Erwerbszweig, der den politischen Kontext allenfalls als Geschäftsrahmen verstand."
Gegen solche Verbrecher mußte der Staat natürlich einschreiten. Deswegen heißt es auch abschließend in "Besuchszeit": "Wir waren eine legale Institution eines souveränen Staates, der sich nationale Gesetze gab, welche sich an internationalen Normen orientierten." |
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