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Zwickmühlen

 
     
 
Die polnische Nation verfolgt aufmerksam die Verhandlungen mit der Europäischen Union. Unsere Teilnahme an der Union muß auch die Unantastbarkeit der polnischen Grenzen bedeuten, die von all unseren Nachbarn bestätigt wurden, sowie die Unantastbarkeit der polnischen Eigentumsrechte an Immobilien", heißt es in einer Antwort des polnischen Abgeordnetenhauses auf die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 29. Mai, in der, wie billig, die Rückkehrmöglichkeiten deutscher Vertriebener in die Heimat als Folge des EU-Beitritt
s Polens aufgeführt wurden.

Warschau konterte mit diesem strategischen Coup aus der Mitte seines Parlaments heraus auf die von den Bonner Parteien zudem wohl weithin nur als Beschwichtigung an Vertriebene oder an politisch verantwortungsbewußte Deutsche im Wahljahr angelegte Entschließung. Abgesehen von Warschaus stets überaus wachsamen diplomatischen Beobachtern verwiesen polnische Auslandskorrespondenten sofort darauf, daß die bei ihren Wählern in die Zwickmühle geratenen Unionsparteien sich allein aus einem "Wahlkampfmotiv" heraus auf eine Abmahnung Polens einließen. Gleichwohl sorgte die auf Initiative der oppositionellen Bauernpartei (PSL) im Sejm gestartete Aktion für europäisches Aufsehen, weil die monierten ungelösten Fragen nicht nur das Fundament der EU-Rechtsordnung stören, sondern auch die nationalen Interessenlagen der Mitgliedsstaaten anrühren.

Im Vorfeld hämmerten insbesondere bundesdeutsche Zeitungen ihr gewohnt strenges Staccato von Selbsthaß und auswärtiger Zielsetzung, das zumeist an längst überwunden geglaubte bolschewistische Propaganda erinnert, ohne dabei zu berücksichtigen, daß die EU-Ordnung gleichwohl uneingeschränkte (wenn vielleicht auch ungewollte) Ansiedlung vorsieht: So kann heute, auch wenn es gewiß manche Franzosen kratzt, jeder Hamburger nach Straßburg oder Colmar im Elsaß umziehen, dort eine Schneiderwerkstatt einrichten oder seinen Lebensabend verbringen, jeder Magdeburger, der gerne auf höhere Gefilden aus ist, sich in Bozen oder Brixen im südlichen Teil Tirols einrichten, auch wenn dies Italiens Siedlungspolitik möglicherweise zuwiderläuft.

Polen, das immer mit dem pathetisch fordernden Gefühl daherkommt, als schulde ganz Europa ihm stets etwas, muß sich angesichts seiner Zielvorstellung nun daran gewöhnen, daß künftig betuchtere Berliner ihren Sommersitz in Ost-Brandenburg und agile Greifswalder ihren Wohnsitz in der pommerschen Hauptstadt Stettin nehmen. Ob damit das ethnische Nachkriegsgefüge in Pommern oder anderswo verändert wird, scheint die EU-Strategen bisher nicht gestört zu haben.

Keinesfalls können diese Chancen, die sich für uns Deutsche daraus ergeben, davon abgetrennt werden. Und deswegen zerstören Attacken des vormaligen Außenministers Bartoszewski, die darauf hinauslaufen, die sogenannte "Vertriebenenproblematik" vom EU-Beitritt der jungen Republik Polen abzutrennen, alle konstruktiven Perspektiven der Zukunft. Der politische Katholizismus, der auch mit dem Planspiel zur Missionierung und Heimführung Rußlands ringt, bedarf hierzu des polnischen Vorfeldes; ihm scheint daher wenig daran gelegen, deutsch-slawische Verbindungen aufkommen zu lassen als distanzierte deutsch-polnische. Zudem sollen sich beide eifersüchtig gegenseitig überwachen und nicht den Brückenschlag zum Nachbarn Rußland wagen.

Zwickmühlen also, wohin man schaut: Die europäische Mitte kann die Isolation in Richtung Osten nicht aufbrechen, sie zerreibt sich vielmehr im Vorfeld am bitteren Erbe des Krieges. Die EU-Richtlinien, in wesentlichen Teilen Frankreichs Intentionen verpflichtet, folgen europäischen Rechtstraditionen, die Polen (und die Tschechei!) eigentlich zum freien Siedeln im Bereich des EU-Raumes nötigen, was praktisch mit der Rückkehrmöglichkeit deutscher Vertriebener auf längere Sicht hin zur Aufhebung des seit lange vor Hitler so aufwendig betriebenen Konzeptes der Vertreibung führen würde. Frankreichs Zwickmühle liegt darin begründet, daß es mit dem Instrumentarium der EU die Hoffnung verknüpft, die Einbindung Deutschlands vollziehen zu können, was sich wiederum negativ mit der Möglichkeit eines östlichen Brückenschlages verzahnt. Verstärkend kommt hinzu, daß die finanzielle polnische Bedürftigkeit (Agenda 2000) dazu führen würde, den deutschen Geldregen eher Richtung Oder und Weichsel als Seine strömen zu lassen.

Schließlich verbleiben noch die Zwickmühlen der Parteien, die im Wahljahr auf jede Stimme spekulieren müssen: Scheint die Ende Mai im Bundestag verabschiedete Resolution über die Rückkehrmöglichkeiten Vertriebener nur als am Vorabend der Wahl errichtetes Strohfeuer auf, so kann es kommen, daß speziell die Union, etwa in Brandenburg, wie der Publizist Pankraz (Prof. G. Zehm) kürzlich notierte, zur "jüngsten Splitterpartei" mutiert.

 

 
     
     
 
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