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Das wiedervereinigte Deutschland zwischen Ostalgie und Aufschwung Ost

 
     
 
Ende Oktober 1989 beherrschte der Ruf "Auf die Dauer ohne Mauer!" die Demonstrationen in Leipzig. Die Großveranstaltung am 1 November in Ost-Berlin war bereits ein letzter, verzweifelter Versuch der Reforme innerhalb der SED, die DDR zu retten. Während Christa Wolf, Stefan Heym, Markus Wolf vo einem neuen sozialistischen Aufbruch träumten, gab die DDR-Regierung dem Druck de Straße nach und "erlaubte" die Ausreise "ihrer Bürger" über die CSSR nach Westen. Damit war die Mauer de facto überflüssig. In den folgenden Tage verließen Zehntausende die DDR. Am 9. November wurde der Entwurf eines neue Reisegesetzes als sofortige Öffnung der Grenze aufgefaßt. Die Wiedervereinigun Deutschlands war von niemandem mehr aufzuhalten.

Der Aufstand am 17. Juni 1953 für Freiheit und national
e Einheit war noch gescheitert Die Sowjets waren damals nicht bereit gewesen, ihren deutschen Satelliten aufzugeben, die Westmächte fürchteten eine Konfrontation und waren an einem einheitlichen deutsche Staat nicht interessiert. Und in der DDR war die soziale Vernichtung oder Vertreibung de bürgerlichen Eliten, die Gleichschaltung der ursprünglich bürgerlichen Parteien sowi die Bolschewisierung der Sozialdemokratie weit fortgeschritten.

1989 waren die Bedingungen und Umstände für die Herstellung der deutschen Einheit in Freiheit besser: Moskau zeigte sich bereit (das heißt wegen der enormen eigenen Problem dazu genötigt), Mitteleuropa preiszugeben, die Amerikaner unterstützen die Vereinigungsbestrebungen der Deutschen. Die DDR stand vor dem Staatsbankrott, und die völlige Perspektivlosigkeit im Land trieb die Massen auf die Straßen. Wieder schluge die Proteste gegen die SED schnell in die Forderung nach Einheit um. Die DDR zerbrach.

Einen historischen Augenblick lang waren die Deutschen das glücklichste Volk der Erde Als die Mauer fiel, als sich die Nation in einem Staat vereinigte, beherrschten Freude un Optimismus das Denken und Fühlen der Deutschen und triumphierten über manch Miesmacherei. Doch der hergestellten "äußeren Einheit" wurde bald ein "innere Einheit", die weniger gelungen sei, gegenübergestellt. Und glaubt ma dem heutigen Anschein und den Medien, so ist die Euphorie von 1989/90 nicht nur de Nüchternheit gewichen, sondern so ist die Kluft zwischen West und Ost gewachsen Tatsächlich keimt einerseits im Westen Deutschlands die Befürchtung, das Erbe der DD erweise sich finanziell als Faß ohne Boden, überhaupt wird offen ausgesprochen, es fehl an Dank für die Aufbauhilfe. Das Pauschalbild vom "Jammer-Ossi" ist verbreitet Die DDR hätte nur verrottete Betriebe, Atheismus, gedopte Sportler und Spitzel in de deutschen Bund eingebracht. In den neuen Ländern andererseits schüren Demagogen die Spaltung: Von Ausplünderung ist frech die Rede, von Ausgrenzung, Bevormundung un Chancenungleichheit.

Die Rede von einer fehlenden "inneren Vereinigung" bezieht sich meist auf die wirtschaftlichen Verhältnisse. Gegen dieses Bild einer ökonomisch geteilten Natio stehen jedoch Fakten. Für den "Aufbau Ost" sind seit 1990 immense Leistunge vollbracht worden. Dieser Aufbau zählt zu den beeindruckendsten Solidarleistungen unsere Jahrhunderts. Die neuen Bundesländer sind sichtbar aufgeblüht.

Trotz des riesigen finanziellen Aufwandes, mit dem Bund und Länder die Folgen de Teilung und des deutschen Kommunismus zu tilgen versuchen, trotz des realen Aufschwung hat sich ein gesamtdeutsches Selbstbewußtsein in zehn Jahren nicht vollständi ausgebildet. Dafür mag es reale Gründe geben: Von der Arbeitslosigkeit sind im Oste bestimmte Berufs- und Altersgruppen betroffen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist zu hoch. Doch "Ostalgie" kann erst entstehen, wenn Vergangenheit vergessen wird die DDR als obskures Objekt der politischen Verklärung erscheint. Nicht nur das groß Verzeihen wird gefordert, sondern Beschönigen, Banalisieren und Leugnen sind link angesagt. Das sei, so will man uns einreden, die Voraussetzung für die "inner Einheit".

Nun darf man sich von "Ostalgie"-Phänomenen nicht täuschen lassen Hunderttausende Leistungsträger, besonders jüngere Facharbeiter und Fachkräfte, sin noch aus der eingemauerten DDR ausgereist, im Spätsommer 1989 geflohen oder nach dem 9 November in den Westen übergesiedelt. Viele ehemals Westdeutsche arbeiten seit Jahren in den neuen Ländern. Vor allem aber, die meisten früheren DDR-Bürger haben ihr Leben nac den gravierenden Umbrüchen gelassen, selbstbewußt und selbstbestimmt neu gestaltet. E sind zwar lautstarke Gruppen, es sind gleichwohl Minderheiten, die Stimmung gegen die Vereinigung und "den" Westen machen. Die PDS etwa gewinnt allein darauf ihr politische Legitimation, aber nicht wenige SPD-Politiker stoßen in das gleiche Horn, un auch Bürgerliche lassen sich anstecken: Von "Anerkennung der Lebensleistung" ist schmeichlerisch die Rede, aufklärerische Ablehnung des politischen Systems der DD wird unsachlich mit dem Angriff auf "DDR-Biographien" gleichgesetzt. So bedien man die gleichen Affekte wie die Ewiggestrigen auf der Linken.

Seit 1953 hatten sich wichtige Voraussetzungen für die Herstellung der deutsche Einheit in Freiheit allerdings auch verschlechtert: Der Glaube der politischen Klasse in Westen an die deutsche Einheit war stark zurückgegangen. Und so gab es auch im Weste starke Widerstände gegen die Vereinigung, viele hatten den Status quo begrüßt oder sic mit ihm abgefunden. Die deutsche Teilung galt als Quintessenz der Geschichte. Der Oste hatte zu büßen, um westdeutschen Intellektuellen ein reines Gewissen gegenüber de vorgeblich nur düsteren nationalen Geschichte zu verschaffen "Entspannungs"-Parolen wurden bereitwillig übernommen. Vaclav Havel schrieb "Ich erinnere mich noch, wie zu Beginn der 70er Jahre einige meiner westdeutsche Freunde und Kollegen mir auswichen aus Furcht, daß sie durch einen wie auch imme gearteten Kontakt zu mir, den die hiesige Regierung nicht gerade liebte (...) die zerbrechlichen Fundamente der aufkeimenden Entspannung bedrohen könnten (...). Nicht ic war es, sondern sie, die freiwillig auf ihre Freiheit verzichteten."

Erklärtes Ziel der deutschen Linken war und ist die "postnational Gesellschaft" (Jürgen Habermas). Eine Bewegung, die sich die Losung "Wir sin ein Volk!" auf die Fahnen schrieb, mußte auf diese "progressiven" Geschichtsphilosophen verstörend wirken. Der intellektuelle Siegeszug der Ideologen wurd jäh unterbrochen durch den nationalen Aufbruch 1989. Eine freiheitliche Gesellschaf bedarf patriotischer Bindekräfte. Sie benötigt die einheitstiftende Geschichte. Ei bürgerliches Gemeinwesen ist eine Schicksalsgemeinschaft und kein abstraktes Gebilde. De Herbst 1989 hat gezeigt, daß das spezifische nationale Pathos den Deutschen noch eige ist.

Der Kommunismus war der Versuch, von einem sich heilsgeschichtlich legitimierende Zentrum her Staat, Wirtschaft, Kultur, die ganze Gesellschaft einer totalen Säuberung zu unterziehen. Seine Dynamik gewann er daraus, daß er sich als Verwirklichung uralte Menschheitsträume, der paradiesischen Nachgeschichte darstellte. Die theoretisch Gleichheit zählte mehr als die geliebte Freiheit und Vielfalt. Und der Wahn lebt noch in mehr oder weniger radikaler Form. Und dort, wo – wie im Westen – die Unfreihei langehin abwesend ist, pflegen die Vorteile der Freiheit zu verblassen. Dies Gleichgültigkeit gegenüber den Freiheitswerten ist die größte Gefahr für die "innere Einheit" Deutschlands.

Die DDR war natürlich nie so, wie sie heute beschönigt auftaucht. Sie is zwangsläufig verschwunden. Der Verschleißgrad in sensiblen Bereichen der Industrie, s wurde 1989 von obersten SED-Volkswirtschaftlern eingeschätzt, lag bei 50 Prozent, be landwirtschaftlichen Anlagen bei 65 Prozent. "Allein das Stoppen der Verschuldun gegenüber dem NSW (dem nicht sozialistischen Wirtschaftsgebiet) würde", so de SED-Planungschef Schürer im Oktober 1989, "eine Senkung des Lebensstandards um 2 – 30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen."

Es gab Fehler im Vereinigungsprozeß. Die schnellen Entscheidungen waren von de Straße gefordert worden. Und es sollte eine Vereinigung werden, die keinem weh tu durfte. Es erfolgte kein einschneidender Appell an die nationale Solidarität Besitzstände wurden letztlich nicht angetastet. Die Deutschen wurden mit der ganze Wahrheit des historisch gerechtfertigten Lastenausgleichs, mit einer radikale (wirtschaftlichen) Bilanz der DDR nicht ernsthaft konfrontiert.

Die sogenannten Protestwähler in den neuen Ländern sind ohnehin keineswegs die einzigen, die infolge der Wiedervereinigung "Benachteiligung" schmerzt. Vie realer ist: Die Entscheidung der Bundesregierung, das zwischen 1945 und 1949 in de Sowjetzone geraubte Gut zu verkaufen, statt den rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben, hat mehr als nur materielle Bedeutung. Es ist vorenthaltene Gerechtigkeit Auch die zögerliche finanzielle Entschädigung der Opfer von Stalinismus und Kommunismu ist unverständlich. Die Wirkungen der sich aus solchen Entscheidungen ergebende Veränderungen im Wesen des Staates wirken langfristig. Die Bevorzugung des politisc Opportunen zu Lasten dessen, was die Gerechtigkeit gebietet, trägt zur innere Entfremdung der Bürger von ihrem Gemeinwesen erheblich bei.

Auch wenn die Überwindung der Folgen von 40 Jahren Teilung und Sozialismus mehr Zei in Anspruch nimmt, als viele vor zehn Jahren erwartet haben, ein vereintes und geeinte Deutschland wird seinen Platz in der Welt einnehmen als souveräne, demo kratische un selbstbewußte Nation
 
     
     
 
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