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Aus einer gewissen historischen Distanz betrachtet, stellt sich der Konflikt, der zwischen Frankreich und Deutschland einerseits und den USA andererseits um die Frage des Irak-Krieges ausgebrochen ist, als einen Versuch der beiden europäischen Hauptmächte dar, zum ersten Mal Unabhängigkeit und Handlungsspielraum gegenüber den Amerikanern zu gewinnen. Das betrifft in besonderem Maße die Bundes- republik und ihren Kanzler Gerhard Schröder .
Der SPD-Chef - ohnedies durch die Kalamitäten der Wirtschafts- und Finanzlage schwer gebeutelt - ist wegen seiner Haltung gegenüber den USA ins Feuer der Kritik geraten - und zwar ausgehend von jenen publizistischen und medialen Kräften, die ihm, solange Schröder noch die ihm zugedachte Rolle des klassischen "Linken" spielte, ungehemmt Blumen streuten. Jetzt mit einem Male ist der rote Kanzler ein "neuer Wilhelm II." (so die ihm früher wohlgesinnte Süddeutsche Zeitung). Schlimmer noch: Er ist ein diplomatischer Versager, ein Elefant im Porzellanladen der internationalen Politik, der leichtfertig die hervor- ragenden deutsch-amerikanischen Beziehungen aufs Spiel gesetzt und sein Land außerdem außenpolitisch "isoliert" habe. In den Berliner Couloirs hält sich schon seit Wochen das Gerücht, die Regierung Bush wolle den deutschen Regierungschef auf mehr oder weniger elegante Weise loswerden. In diesem Sinn waren diverse Äußerungen des US-Verteidigungsministers Rumsfeld, die in der Gleichsetzung Deutschlands mit sogenannten "Schurkenstaaten" wie Kuba oder Libyen gipfelten, mehr als nur Entgleisungen. Hier wurde ein politischer Rubikon überschritten und bewußt in Kauf genommen, daß nach solchen Qualifizierungen nichts mehr sein würde, wie es vorher war.
Die britische Sonntagszeitung Observer zitierte dieser Tage zwei hohe Beamte des Pentagon, also des US-Verteidigungsministeriums. Der eine sagte wörtlich: "In unseren Planungen geht es nur um eines: Herauszufinden, wie man der deutschen Wirtschaft Schaden zufügen kann." Und ein anderer Pentagon-Funktionär sagte: "Wir wollen auch den deutschen Handel treffen. Es geht nicht nur um den Abzug von (amerikanischen) Truppen und Ausrüstung. Wir wollen kommerzielle Verträge kündigen, ebenso wie Vereinbarungen, die mit Verteidigungsangelegenheiten zu tun haben." Ziel des Pentagon sei es, "ein Exempel zu statuieren". Alle sollten sehen, was mit einem Land passiert, das sich den Vorgaben der amerikanischen Führungsmacht nicht unterwirft. In diesem Sinne ist die in den USA verbreitete Aufforderung, keine deutschen Autos und keinen französischen Wein mehr zu kaufen, vielleicht doch mehr als Theaterdonner.
Im Zentrum des Geschehens aber steht ein Mann, dem man bis vor kurzem gar nicht zugetraut hätte, eine solche Götterdämmerung dies- und jenseits des Atlantik auszulösen: Gerhard Schröder. Bis vor kurzem galt er als eher ahistorisch, ohne Sinn für Geschichte oder gar geschichtliche Tragik, scheinbar ein Exponent der Spaß-Generation, ein Genosse der Bosse und so weiter. Jetzt, gewissermaßen über Nacht, ist er zu einer tragischen deutschen Gestalt geworden. Er steht mit dem Rücken zur Wand, weil er es gewagt hatte, einen "deutschen" Weg zur Diskussion zu stellen - und das implizierte doch wohl, daß es kein amerikanischer oder sonstiger Weg sein sollte. In seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag sprach Schröder plötzlich von (deutschen) Interessen. Er benutzte Vokabeln, die man von der Tribüne des deutschen Parlaments schon lange nicht mehr gehört hatte: Worte wie "souverän" und "selbstbewußt". Er sprach von der Notwendigkeit "multilateraler" Entscheidungsprozesse (eine deutliche Absage an Bush, der im Bedarfsfalle - das heißt wenn der Sicherheitsrat nicht so abstimmt, wie es Washington erwartet - auch "unilateral" gegen den Irak losziehen will). Das Ausmaß an antideutscher Wut, das sich gegen ihn entlud - im eigenen Lande ebenso wie außerhalb -, läßt interessante Schlußfolgerungen zu. Offenbar war und ist es mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen schon vorher nicht ganz zum Besten bestellt gewesen, wenn bei der ersten Meinungsverschiedenheit alle Sicherungen durchbrennen.
Es kann hier nicht darum gehen, Schröder unkritisch zu glorifizieren. Seine Finanz- und Wirt- schaftspolitik ist ein anderes, durchaus kritikwürdiges Kapitel. Aber in der "nationalen Frage" hat der SPD-Chef - das muß der Neid ihm lassen - ein gewisses Format und auch Courage an den Tag gelegt. Nun haben manche Beobachter der Berliner Szene schon früher festgestellt, daß Gerhard Schröder - in all seinen Widersprüchen als Produkt seiner Zeit - doch etwas in sich trägt, was sich nicht so mit einer Handbewegung abfertigen läßt: Bekannt wurde das Foto auf seinem Schreibtisch im Kanzleramt: Es zeigt einen Soldaten in Wehrmachtsuniform mit dem damaligen deutschen Stahlhelm: Seinen Vater, der 1944 in Rumänien gefallen ist. Schon als die inzwischen eingegangene linke Woche dieses Foto veröffentlichte, fragten sich manche Auguren, ob ein Mann - dazu noch präsumtiver Staatsmann -, der ein solches Foto in sein Dienstzimmer stellt, wirklich so "geschichtslos" ist, wie man ihm das bisher vorgeworfen hatte.
Zum anderen zeigte sich bei ihm, als der Konflikt mit den Amerikanern losbrach, ein gewisser persönlicher Mut. Er zuckte beim ersten Donnergrollen aus Washington nicht zusammen und er legte nicht den Rückwärtsgang ein. Er blieb bei seinem Standpunkt - und nimmt man den Text seiner jüngsten Regierungserklärung, so gibt es dort kaum etwas, was ein Deutscher und Mitteleuropäer nicht unterschreiben könnte. Der sonst eher als salopp und flapsig geltende Schröder lief sogar zu einer staatsmännischen Diktion und Haltung auf. In dieses Kapitel gehört auch der Auftritt seines Verteidigungsministers Peter Struck, der vor dem Bundestag die Insinuationen seines US-Kollegen Rumsfeld zurückwies und erklärte, man sei unter keinerlei Umständen gewillt, in einem solch deplacierten Ton mit sich reden zu lassen. Das alles waren Übungen in deutschem Selbstbewußtsein. Schröder hat - und das macht ja eigentliche den Staatsmann aus, im Gegensatz zum Nur-Politiker - erkannt oder erspürt, daß sich im Verhältnis zwischen Deutschen - oder Europäern - und Amerikanern etwas geändert hat: Man ist diesseits des Atlantik nicht länger bereit, gewissermaßen bedingungsloser Gefolgsmann (Satellit) zu sein. Zwischen amerikanischen und europäischen (deutschen) Interessen klafft ein Unterschied. Schröder ist der erste in seiner Position, der die Dinge beim Namen genannt hat. Ihn deswegen zu schelten ist genauso töricht, als wolle man - um mit Ernst Jünger zu sprechen - nach dem Erdbeben die Seismographen verprügeln.
Interessant und in gewisser Hinsicht enttäuschend ist die Tatsache, daß die CDU/CSU, die in ihren großen Tagen unter Adenauer, ja sogar bis Kiesinger, die Partei der Außenpolitiker war, auf die neue psychologisch-politische Situation mit uralten Reflexen des kalten Krieges ("Bündnistreue", "kein deutscher Sonderweg") reagierte und der transatlantischen Seite noch die Argumente lieferte, um Schröder auszuhebeln. CSU-Landesgruppenchef Glos ging sogar so weit, die Treuepflicht gegenüber den Amerikanern damit zu begründen, daß die Deutschen das Volk seien, aus dem der Holocaust hervorgegangen sei - und daß es folglich keineswegs selbstverständlich war, daß die Amerikaner uns nach 1945 überhaupt akzeptiert hätten. Eine so unpolitische und geschichtsferne Argumentation wäre weder Franz Josef Strauß (der sich seinerzeit schon gegen die "Sühnedeutschen" gewandt hatte) noch auch Adenauer je über die Lippen gekommen. In diesem Sinne kann man von einer verpaßten Gelegenheit für das "bürgerliche" Lager in Deutschland sprechen.
Daß ausgerechnet die deutsche Linke - genauer gesagt: ihr gegenwärtiger Chef - das Thema der Gleichberechtigung Deutschlands auf die Tagesordnung setzte, mag man mit Hegel als List der Geschichte bezeichnen. Nur ist Schröder, wie es schein, von Tragik - genauer: von deutscher Tragik - umwittert. Von Bismarck ist der Ausspruch überliefert, immer wenn sich jemand finde, der etwas für das Land zustande bringen wolle, finde sich bei den Deutschen stets ein "Loki", der die anderen animiere, dem Betreffenden in den Rücken zu schießen. Schröder kämpft nicht nur einen einsamen Kampf - er hat auch keine Reserven hinter sich. Die Gesellschaft der Bundesrepublik ist weitgehend apolitisch, dem Fernseh-Hedonismus verfallen. Das geschichtliche Bewußtsein ist geschrumpft. Das Bewußtsein der prekären "Mittellage" des Landes ist kaum vorhanden.
Eines der Argumente der Schröder-Gegner lautet, die Deutschen müßten den Amerikanern "dankbar" sein und (was einigermaßen seltsam klingt) sie müßten sich dessen bewußt sein, daß "wir die Amerikaner mehr brauchen als die Amerikaner uns". Aber aus solchen Prämissen lassen sich gleichberechtigte Beziehungen und auch "Freundschaft" (soweit dieser Begriff zwischen Nationen überhaupt Anwendung finden kann) nicht entwickeln. Im Grunde wird also von den Deutschen verlangt, auf dem Niveau der Niederlage von 1945 zu verbleiben. Alles andere ist ketzerisch, gefährlich, ja sogar nationalistisch. Vielleicht mußte jemand kommen, der aus einer Nach-kriegsgeneration stammt und nicht von Schuld und Sühne belastet ist, um sich unbefangen der "Normalität" zu stellen. Wie das für Schröder ausgeht, ist ungewiß. Nur eines ist sicher: nach den Irak-Tagen wird nichts mehr so sein, wie es früher war. Die Deutschen werden erwachsen - auch wenn es manchen (von ihnen) nicht passen sollte.
Ende der deutschen Unterwürfigkeit: Neuerdings fordert Deutschland Gleichberechtigung für sich und Europa gegenüber den Amerikanern Fotos (2): stern, reuters |
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