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Das von Erich Reiter herausgegebene Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001 ist nicht nur mit 1,6 Kilogramm ein gewichtiges, sondern auch ein wichtiges Buch. Sein Herausgeber, Leiter des Büros für Sicherheitspolitik im Wiener Verteidigungsministeriums und Strategischer Berater des Ministers, hat erneut ein Kompendium vorgelegt, das die "security community" mit Spannung erwartet hat. 55 Experten haben in 50 Aufsätzen das gesamte weltweite Spektrum von Sicherheitsfragen aufgefächert und erörtert. Thematisch spannt sich der Bogen von grundsätzlichen Aufsätzen (zum Beispiel Staatssekretär a.D. Lothar Rühl, "Das Weltgeschehen zur Jahrtausendwende ...") über europäische Sicherheitsprobleme (Klaus Naumann, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, "Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik - Torso oder erster Schritt Europas zu globaler Handlungs- fähigkeit"), politische Grundsatzfragen (Werner Weidenfeld, Universität München, "Europäische Finalität oder Erosion Europas?") bis hin zu den Problemen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), im transatlantischen Verhältnis, im Mittelmeerraum, im Nahen Osten, in Afrika, Asien und zuletzt "zuhause" in Österreich und der Schweiz.
Egon Bahr schreibt über "Europas Aufgabe der Einbindung Rußlands", Wolf Oschlies erkennt "Serbiens Wiedergeburt", Michael Rühle, Leiter des Planungsreferats in der Politischen Abteilung der Nato, diskutiert die "Transatlantischen Aspekte der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik", und der Israeli Mark A. Heller von der Universität Tel Aviv stellt und beantwortet zum Teil die Frage: "Gibt es eine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt?", wohingegen der Palästinenser Mahdi Abdul Hadi von der Palästinensischen Wissenschaftlichen Gesellschaft in Jerusalem eher skeptisch und besorgt die "aktuellen und zukünftigen Szenarien" dieser Tragödie bewertet. Südafrika wird von Trutz von Trotha (Universität Siegen) bearbeitet, der Chefredakteur der Wiener "Presse", Andreas Unterberger, faßt noch einmal die österreichische Haltung zur EU "nach den Sanktionen" zusammen. Ja, selbst das Thema der wieder gefährlich gewordenen Piraterie in Südostasien (Autor ist der Hamburger Japanologe Manfred Pohl) wird nicht vergessen. Enzelsbergers Essay "Die Schweiz und die Nato" ist gerade jetzt lesenwert und scheint dem Autor prophetische Gabe zu bescheinigen, was den Beitritt der Eidgenossen zur Weltorganisation betrifft. Auch Korea, Taiwan, der Iran, die Türkei und Burma sind Thema dieses Sammelbandes.
Niemand wird die 1005 Seiten "am Stück" lesen, aber allein die Lektüre des Vorwortes von Reiter und der Kurzfassungen (Seite 17 bis 58) bringen Erkenntnisgewinn.
Die Welt ist eben nach 1989 nicht sicherer geworden, Friedensdividende gibt es leider nicht. Die USA überlegen gegenwärtig offenbar die Entwicklung und den Einsatz von Kleinatombomben gegen sieben sogenannte Schurkenstaaten. Die Atomschwelle sinkt. 2010 wird ganz Europa in Reichweite von ballistischen Waffen sein, die weit außerhalb des Kontinents stationiert sein werden. Mehr als 25 Staaten sind schon gegenwärtig im Besitz oder bei der Entwicklung nuklearer, biologischer und chemischer Waffen. Weltweit existieren 500 Millionen Kleinwaffen, die in 49 Konflikten seit 1990 zum Tod von mehr als vier Millionen Menschen "gedient" haben. Die internationale Eindämmung dieser Waffen haben die USA gerade verhindert. Dabei - auch das bedenkt Reiter - sind die Probleme des Streits um Wasser, die Anfälligkeit der Infosysteme ("cyberwar") und des Terrorismus und der internationalen Kriminalität noch fast gar nicht "im Griff". Zum Grundproblem des Terrorismus hatte sich schon Gustav Däniker im Jahrbuch 1999 ausführlicher geäußert.
Bis 2025 werden mehr als drei Milliarden Menschen unter Wasserknappheit leiden, an den weltweit 240 internationalen Flußsystemen leben 40 Prozent der Weltbevölkerung. Und 80 Hacker können mehr zerstören als 80 Panzerdivisionen. Und in mehr als 80 Staaten auf dieser Welt gibt es schwerste Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Mord.
Fazit: Reiters Jahrbuch ist einem umfassenden Sicherheitsbegriff verpflichtet, die Lektüre oder doch das "Benutzen" dieses Werkes, das im deutschsprachigen Raum einmalig dasteht, ist ein Muß, neudeutsch "must", für alle, die sich mit Sicherheitsproblemen beschäftigen.Peter Meier-Bergfeld
Erich Reiter (Hrsg.), "Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2001", Verlag E. S. Mittler & Sohn GmbH, Hamburg-Berlin-Bonn 2001, 1005 Seiten, 36 Eur |
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