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Am 21. Januar wurde die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und jetzige CDU-Politikerin Ver Lengsfeld zur Vorsitzenden der deutschen Sektion der EKMS gewählt. Ihr Antrittsrede dokumentiert Das leicht gekürzt:
Anläßlich des 50. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurden die weltweiten Erfolge im Bewahren und Durchsetzen de grundsätzlichen Menschenrechte in zahlreichen Reden gewürdigt. Aber wenn die Zustimmun zu einem politischen Problem bei uns so allgemein, beinahe ritualisiert ist, besteht dan nicht Grund zur Skepsis? Offensichtlich ist das Objekt der weitverbreiteten Zufriedenhei so beschaffen, daß sich jeder ohne Schwierigkeit dazu mahnend bekennen kann, es erreg keinen wirklichen Anstoß mehr. Ist das Eintreten für Menschenrechte zur Routin verkommen? Haben wir unser Anliegen den Phraseologen überlassen?
Wir müssen uns über unsere Aufgabe immer neu verständigen. Wir müsse Menschenrechte nicht nur vor Sonntagsreden, sondern auch vor ideologischer Vereinnahmun beschützen. ...
Die moderne Bestimmung der Menschenrechte ist eng mit dem Begriff der Kritik verbunden Ich weise deshalb darauf hin, weil "Menschen- und Bürgerrechtler" sich zu leicht angewöhnt haben, die Ankläger zu sein, weil sie glauben, stets auf der richtige Seite zu stehen. ... Wir müssen die eigenen Ansprüche, ... immer wieder befragen. Fü welche Menschenrechte treten wir ein? Sind alle Menschenrechte gleichwertig?
Für "die Menschenrechte" wurden während der Französischen Revolutio Hunderttausende ermordet. Wir buchen diese Opfer wie selbstverständlich als unvermeidlichen Zoll für den geschichtlichen Fortschritt ab. Die kommunistische Terrorregimes schrieben ihr ungeheuerliches Schwarzbuch im Namen "de Menschenrechte" und auch die Nationalsozialisten verteidigten das Blut- un Bodenrecht als Menschenrecht. Menschenrechte waren und sind nicht vor totalitäre Ausnutzung gefeit! Ich erinnere auch an die vielen Schriftsteller, die sich als "Humanisten" verstanden und zugleich Elogen auf Stalin dichteten, die im Weste die DDR als Alternative rechtfertigten, auch nach 1990, auch heute noch. Und nicht zuletz die PDS behauptet heute frech, sie vertrete die Rechte unterdrückter Menschen, wahre ihr Menschenwürde.
Die Bestimmung der Menschenrechte ist gebunden an die Menschenwürde. Menschenwürde, Dignitas, das ist der Rang einer Person, ih Ansehen in einer Gemeinschaft. Würde läßt sich offensichtlich nach politischem Ermesse festlegen. Auch die Verfassung der DDR kannte die "Menschenwürde" als zentrale Gebot. Das heißt, unser Eintreten für bestimmte Menschenrechte setzt eine politische weltanschauliche Entscheidung, setzt ein gewisses Menschenbild voraus. Wir dürfen un durch einen entgrenzten Menschenrechtsbegriff keine grundsätzlich Übereinstimmung vortäuschen, uns nicht politisch "einlullen" lassen.
Jede Definition der Menschenrechte ist an eine Bestimmung des Menschen selbst gebunden Der Mensch aber kann keinen Standpunkt jenseits seiner selbst gewinnen. Jede Aussage übe den Menschen ist eine Aussage über sich selbst und von Vorurteilen behaftet, die wir aus unserer Geschichte, Kultur, aus unserem gesellschaftlichen Umfeld aufnehmen. Un unser Menschenbild ist ein modernes, das unverwechselbar in der europäischen Traditio und ihrem Begriff der Freiheit wurzelt. Freiheit ist das primäre Menschenrecht. I Zeitalter der Aufklärung ... ist Freiheit neu, und zwar primär politisch und nu als Freiheit vom Staat definiert worden. Das Menschenrecht wurde als politische Partizipationsanspruch bestimmt und an das Postulat der Gleichheit gekoppelt. Wie abe passen diese beiden Rechte zusammen?
Zugrunde liegt den modernen Menschenrechten und also unseren Vorstellungen vo Menschenwürde der Allgemeinheitsanspruch der bürgerlichen Individualität. Nun steck vielleicht in den Forderungen nach universalen Menschenrechten ... auch ein Wille zu Macht. Verbirgt sich im allgemeingültigen Postulat der Menschenrechte nicht ein subtile Totalitarismus? Ich spreche diesen Punkt an, um daran zu erinnern, daß wir, wenn wir da Selbstbefragen vergessen, schnell dort angelangt sind, wo mittels abstrakte Menschenrechte selbst Gewalt ausgeübt wird, individuelle Menschenrechte ignoriert werden Ein Beharren auf Menschen- und Bürgerrecht, das sein kritisches Movens aufgibt, läuf Gefahr, freie Meinung zu unterdrücken und in bequemen Denkschablonen zu verharren.
Wie selbstverständlich etwa ist uns das Urteil geworden, die "Dritte Welt" werde von der "Ersten Welt" ausgebeutet. Gibt es dafür Belege? Warum sollte wir die sogenannten Entwicklungsländer aus der Konkurrenzwirtschaft suspendieren? I Namen der Gerechtigkeit? Was heißt Gerechtigkeit? Freiheit zumindest bedeutet auc Freiheit, Fehler zu machen, aus diesen Fehlern zu lernen, dafür aber zugleic geradezustehen. Ich verweise weiterhin auf die Political Correctness, die im Namen de Rechts auf Gleichartigkeit fundamentale Freiheitsrechte außer Kraft setzt, mittels Quote und Verboten eine gleichförmige Gesellschaft schaffen will. In Deutschland wurde dadurc ein bedrückendes geistiges Klima erzeugt.
Unter dem Anschein, die Meinungsvielfalt zu sichern, wird die Freiheit des Denkens un Redens gerade eingeschränkt, wird alles, was neben der herrschenden und also zu Zeit linken Meinung liegt, pauschal diffamiert. Für Menschenrechte eintrete heißt in erster Linie, die Bedingungen für das freie Denken sichern, für den offene Diskurs eintreten, für eine Streit-Kultur, die diesen Namen auch verdient.
Freiheit ist alles andere als selbstverständlich. Sie wird auch gefährdet vo utopistischer Unterhöhlung. Wenn ... der "Mensch" vom "Bürger" getrennt wird, wenn die Rechte des Menschen bloß abstrakt und universal formulier werden, dann droht die Verwirklichung des Idealstaates, dann droht Totalitarismus und zu welchen realen Ergebnissen das führt, muß ich nicht erläutern. ...
Das bedeutet: Menschenrechte dürfen nicht ideologisch überhöht werden, sonder müssen an die Conditio Humana gebunden bleiben. Freiheit ist sehr konkret: Konkrete lebendige Demokratie ist das Gegenteil von Ideologie und profanisierter Heilslehre Skeptisches Verteidigen der Menschenrechte ... verlangt also, Ideale nicht als dogmatisch Maßgaben für Handeln aufzufassen und Menschenrechte nicht zu überindividuellen übergeschichtlichen Normen zu erklären.
Grundlage unseres demokratischen Wirkens und freiheitlichen Denkens kann nur die grundsätzliche Anerkennung der ... Unvollkommenheit des Menschen sein. Menschenrecht sind kein bloßes Gedankengut, sondern müssen die Bindung an die konkrete Lebenswelt, a das Allzumenschliche behalten. Das Abwägen, die "Klugheit" schon be Aristoteles das Kriterium politischen Handelns und unterschieden von wissenschaftliche Denken sollte uns auszeichnen. Der individuelle "Mensch" muß vor de "Menschheit", vor jeder "wissenschaftlichen Weltanschauung" und ihre Rechten stehen.
Beispiele, wie selektiv Menschenrechte behandelt und in die Öffentlichkeit gebrach werden, wie sie vereinnahmt und historisch zurechtgerückt werden, wie star Menschenrechte den Tabus der politischen Feigheit unterworfen sind, gäbe es aus de Gegenwart sehr viele zu nennen. Ich möchte aber ein Beispiel aus der Geschicht erwähnen, das eigentlich noch nicht Geschichte ist. Am Ende und nach dem Zweite Weltkrieg wurden aus dem Osten Deutschlands mehr als zwölf Millionen Menschen durch keine historische Theodizee (Rechtfertigung Gottes hinsichtlich des von ihm in de Welt zugelassenen Übels) gerechtfertigt vertrieben. Fast eine halb Million Zivilisten kam dabei ums Leben, mehr als Hunderttausend wurden direkt und meis willkürlich ermordet darunter viele Kinder. Etwa 500 000 Menschen wurden au Ost- und Westpreußen, aus Pommern, Schlesien und dem Sudetenland, aber auch au Siebenbürgen und dem Banat zur Zwangsarbeit verschleppt vor allem Frauen.
Die wenigen Zurückgekehrten haben nie Entschädigung erhalten. Weil sie nich offiziell verurteilt wurden, sind sie bis heute nicht rehabilitiert worden. Ich möcht dieses Thema zu unserer nächsten Tagung im Herbst in den Mittelpunkt stellen. Wir könne Opfer nicht danach auswählen und ihrer gedenken, ob ihr Sterben dem heutigen Zeitgeis entspricht. Wie wollen wir gegen Vertreibung protestieren, wenn wir schon Angst vor de Geschichte und ihrer Ambivalenz haben?
Es gibt aber nicht nur keine absolute Gerechtigkeit, es gibt auch keine universal Vorstellung von Menschenrecht. Wir europäischen Menschenrechtler müssen uns gerade weil die Welt enger "zusammenrückt" wieder der Herkunft unsere Begriffe und Ansprüche vergewissern. ... Ich möchte also nicht falsch verstanden werden Ich fordere keineswegs dazu auf, grundlegende Menschenrechte zur Disposition zu stellen nur weil sie "europäisch" geprägt sind und angeblich einem westliche "Imperialismus der Werte" dienen. Im Gegenteil. Ich möchte zwar darau hinweisen, daß uns das Thema von Differenz und Identität in Zukunft stark beschäftige muß. Meine Frage aber lautet: Worin besteht unsere Identität? Kulturelle Differenze werden gegenwärtig immer stärker negiert durch einen universale Gleichheitsbegriff ... Aber ist Gleichheit nicht ein Menschenrecht? Ganz Kulturen verschwinden. Wir müssen also einerseits aufpassen, daß wir nicht de Interessen einer nivellierenden Kultur dienen. Aber andererseits dürfen wir nicht au unsere Vorstellung von Freiheit verzichten.
Haben wir einem pervertierten Postulat der Gleichheit zu viel Raum gegeben? Humanitä als geistiger und sittlicher Boden der Menschenrechte hängt ab von Erziehung, Sprache Tradition, Kultur, von Bildung. Ein abendländischer Kerngedanke ist die Freiheit .. Wenn wir also die kulturelle Differenz und Vielfalt verteidigen, dann haben wir auch da Recht, auf unserer Identität beharren zu dürfen. Dieses Selbstbewußtsein ers ermöglicht das Anerkennen des Anderen. Auch das wird uns also stärker beschäftige müssen: Die Bindung der Menschenrechte an eine bestimmte Bildung und die Gefahre für die Freiheit, die aus der Vernachlässigung unserer Tradition für da Freiheitsdenken entstehen.
Ich kehre zu meiner Frage zurück: Vertragen sich Freiheit und Gleichheit? Da Verweisen auf Menschenrechte ist Mittel in der politischen Auseinandersetzung, im Strei um Werte, im Ringen um die Macht. Wir stehen nicht im unpolitischen Raum, unser Interessen sind nicht rein. Unser freiheitlich-demokratischer Leitgedanke ist der Schut der unverfügbaren Würde der menschlichen Person. Keine staatliche oder gesellschaftlich Macht soll das Recht haben, über das Menschsein des Menschen zu bestimmen. Wir müsse acht geben darauf, daß dieses radikale Freiheitsrecht und mit ihm der Begriff de Demokratie nicht in ein Gleichmach-Recht uminterpretiert wird.
Freiheit und Gleichheit sind Menschenrechte, die nur dann zusammenpassen, wen Gleichheit allein als Chancen- und Rechtsgleichheit gedeutet wird. Gleichheit als Gleichmacherei schränkt Freiheit ein und ist das Gegenteil von Gerechtigkeit. Die Priorität des Freiheitsbegriffs unterscheidet uns von denen, die die Menschenrechte un Menschenwürde immer noch in quasikommunistischen Programmen am besten aufgehoben finden Freiheitliche Demokratie ist agonal, ist Konkurrenz. Sicher hat Freiheit ihre soziale Schattenseiten, aber sie muß unser erstes normatives Regulativ bleiben. Denn das Postula der Gleichheit hat historisch in die Katastrophe geführt.
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