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Die Selbstabwicklung des Sozialen

 
     
 
Es begann mit der Vision zweier Männer. Nachdem etwa 80000 Beamte Monate gebraucht hatten, um 15000 Menschen Arbeit zu verschaffen, sollte der Arbeitsmarkt effektiver werden. Eine Kommission kreiste, entwarf "Innovationsmodule" und geboren war Hartz, die Reform schlechthin. Das Projekt hob 2002 als ehrgeiziger Gesetzes-Überflieger zur Verschlankung von Artbeitslosen- und Sozialhilfe ab. Es beflügelte mit der Aussicht auf Halbierung der Arbeitslosenzahl
- nun ist das Verwaltungsobjekt, benannt nach einem später skandalumwitterten Manager mit Kontakten zum Rotlichtmilieu und zur rot-grünen Regierung Gerhard Schröders, unsanft gelandet.

Es hat die Bewährungsprobe in der Realität nicht bestanden. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Arbeitslosengeld II (ALG II), bekannt als Hartz IV, ist nicht mehr nur umstritten, sie ist gescheitert. Die vorherigen Hartz-I bis III-Reformen werden von Experten sogar als wirkungslos eingestuft. Sichere Hinweise des Scheiterns sind nicht nur die Kritik aus Verbänden und von Betroffenen wie Ämtern und Empfängern staatlicher Mittel - inzwischen sind sogar die Urheber des Gesetzes vom Fehlschlag überzeugt. So ziehen vermehrt SPD-Politiker eine Negativ-Bilanz.

4400 Betroffene befragte die "Stiftung Warentest" Anfang des Jahres zum Arbeitslosengeld II und dem flankierenden Sozialgesetzbuch II. 60 Prozent der Befragten gaben an, seit dessen Einführung empfindliche Einbußen zu haben. Statt Mittel gerecht zu verteilen und aus einer Hand übersichtlich zu verwalten, ist das Gegenteil eingetreten: Billigjobs sowie noch unverständlichere Bürokratie. Hauptkritikpunkt: Die finanzielle Gleichstellung längerer Arbeitslosigkeit mit Sozialhilfe deklassiert besonders die, die ein Leben lang gearbeitet haben und sich auch weiter um Arbeit bemühen. Denn wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, bezieht Leistungen auf Sozialhilfeniveau, befindet sich auf einer Stufe mit denen, die ein Leben lang keinen Finger gerührt haben.

Paradoxerweise hat jedoch auch die Geberseite, kurz der Staat, wenig von den Sozialgesetzen nach der Idee des Peter Hartz. Die "Frankfurter Allgemeine" rechnet unter Berufung auf Koalitionskreise allein für dieses Jahr mit 530 Millionen Euro Mehrausgaben. Entstanden sind die Kosten durch Verschwendung, verursacht durch plumpe handwerkliche Mängel der in wenigen Wochen zur Gesetzesreife gepeitschten Hartz-Regeln. Die erhofften Spareffekte sind vollends aus dem Ruder gelaufen.

Überblickt man anläßlich der einsetzenden Reform des Großkonzepts seine Wirkung, so sind noch höhere Kosten zu erwarten - fast vier Milliarden Euro zusätzlich im nächsten Jahr. Vor allem durch die Absenkung von Rentenbeiträgen, aber auch durch die umfangreiche Mißbrauchsbekämpfung entstehen ausufernde Kosten. Handlungsbedarf ist überall: "Die Hartz-Gesetze müssen weg", fordert Arbeitnehmerexperte und SPD-Bundesvorstandsmitglied Ottmar Schreiner. Anders als vor zwei Jahren vertritt er damit in der Partei keine Außenseiterposition mehr. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck will ebenfalls Grundlegendes ändern, Vizekanzler Müntefering mauert dagegen.

Sogar die Gebühreneinzugszentrale "GEZ" leidet unter den Folgen der Hartz-Regeln. Auf 756 Millionen Euro beläuft sich der Ausfall durch Gebührenbefreiungen, 75 Millionen Euro mehr als vor zwei Jahren. Über solche Randerscheinungen können die vielen Arbeitslosen, die bei Einführung des Reformprogramms oft Monate auf ihr Geld warten mußten, nicht lachen. Probleme mit den Hartz-Projekten gibt es weit mehr als positive Auswirkungen.

Die zu Mißbrauch einladenden Bestimmungen zeigen sich im Bereich der 2003 eingeführten Ich-AG (Hartz II) besonders drastisch. Wem die Arbeitslosenunterstützung zu niedrig ist, der startet noch bis zum Auslaufen des AG-Modells am 1. Juli gern in die scheinbare Selbständigkeit. Erst in der Spätphase der Ich-AG mußten die behördlich frisch gebackenen Unternehmer nachweisen, daß sie zumindest einen Hauch von Geschäftsidee hatten oder vorzutäuschen bereit waren. Die Agentur berät dabei gern. "Selbständig als Journalist - oh, kein Problem, da brauchen sie auch nur nen formlosen Schrieb, wie ihr Geschäftsmodell aussehen soll - aber nur grob", beruhigte im April eine Fachkraft der Arbeitsagentur Hamburg. Ob die Geschäftsidee etwas taugt, hätte dann pro forma auch gern der Berufsverband, sprich die Gewerkschaft bestätigt - "uns reicht das", so die Vermittlerin.

Horrende staatliche Mehrausgaben für offiziell Eigenständige entstehen - eine echte Starthilfe ist die AG nur in Ausnahmefällen, die Zahl gescheiterter Fälle zeigt dies. Rückzahlungen drohen nicht, der Zusammenbruch einer Ich-AG interessiert bestenfalls den Betroffenen. Fragen nach zusätzlichen unternehmerischen Fortbildungsmöglichkeiten lösen sogar Verwunderung bei Agenturmitarbeitern aus. Bisher skurrilster Fall einer wahren Ego-AG: Eine "Hartz-IV-Tanzcompagnie" trat mit 44 Teilnehmern zwar kein einziges Mal auf, kassierte aber mit ihren Ein-Euro-Jobbern gern staatliche Stütze. Diese Ein-Euro-Jobs, weitere Errungenschaft der neuen Sozialgesetze, führen bisher nur wenige auf den realen Arbeitsmarkt, schaffen dafür einen Markt für Tätigkeiten, die so früher zu Recht niemand angenommen hätte. Öffentliche Träger, zum Beispiel Kommunen, wandeln außerdem reguläre Stellen in Ein-Euro-Jobs um. Dem "ersten", dem echten Arbeitsmarkt gehen so dank Hartz Stellen verloren.

Mit dem nun beschlossenen Nachfolge-Modell der Ich-AG sollen die Ausgaben für die Existenzgründung von Arbeitslosen von derzeit 3,2 Milliarden Euro im Jahr (eine Milliarde über dem Soll) auf zwei Milliarden Euro sinken, so die Hoffnung der Großen Koalition. Mehr Nachweispflichten, Prüfungen, Verrechnung von ALG mit Förderungsgeldern sind die Stichworte. Aber auch diese Form verfehlt, wie der Ein-Euro-Job, das erklärte Ziel. Sozialversicherungspflichtige Arbeit nimmt weiter ab.

Die fehlerhaften Strukturen der Hartz-Gesetzgebung bleiben nämlich über Regierungs-Prüfungen hinaus bestehen. Die Agentur für Arbeit hat beispielsweise bei der Ich-AG keine Prüfungskompetenz. Ein Rechtsanspruch des Antragstellers auf Förderung, egal ob aussichtsreich für den Neubeginn, bleibt. Auch weist die Zusammenarbeit von Kommunen und Agenturen für Arbeit zu viele Reibungsverluste auf, zu viele Arbeitslose pro Mitarbeiter im Job-Center, zu viel Leerlauf in den Agenturen durch ständig neue Fortbildungsveranstaltungen zum Erwerb der komplexen Verwaltungskenntnisse. Parallelwelten tun sich auf. Ich-AG oder Überbrückungsgeld? - Fachleute sind überfordert, Arbeitslose mangels Durchblick vom guten Willen der Ämter abhängig.

"Wenn Sie Ihr Journalistenbüro eingerichtet haben, denken Sie bitte an mich - vielleicht brauchen Sie noch eine Sekretärin", verabschiedet sich die Ansprechpartnerin der Agentur. Einen persönlichen Ansprechpartner, den die Agenturen dem Arbeitsuchenden zusagten, suchen viele bis heute vergebens. Dafür gibt es Streichungen nebst einem Zumutbarkeitswettlauf. Die einmaligen Hilfen, gerade für Familien mit Kindern wichtig, gibt es seit der großen Zusammenlegung zu ALG II nicht mehr. Vom Staat bezahlte Extra-Anschaffungen wie Waschmaschinen wurden zu oft und nach Sympathiewert bewilligt, so der Vorwurf. Auch schickte die Regierung im Sinne der "Aktivierung" bisherige Mittelempfänger in Arbeit, die durch Krankheit oder soziale Situation nicht in der Lage waren, ihren amtlich vorgegebenen neuen Posten anzutreten. Weigern sie sich, streichen die Ämter die Unterstützung. Selbst in Großstädten wird von Hartz-Empfängern bundesweite Mobilität gefordert. Gerade für den Osten der Republik bedeutet das in der Praxis Verödung sowie die Lösung familiärer Bindungen.

Ein Verteilungskampf ist dank ALG II auf allen Ebenen im Gange. Vermeintlich zu große Wohnungen mußten tausendfach gekündigt und neue angemietet werden, um Mittel zu erhalten. Teils wurden Einzimmerwohnungen gemietet, die nicht genutzt wurden. Der Steuerzahler hat den Schaden. Unter 25jährige zogen dank Hartz vermehrt bei den Eltern aus und in eine eigene Wohnung ein. Schon war eine "Bedarfsgemeinschaft" entstanden und somit der Zugriff auf die hartzigen Geldquellen möglich.

Ein weiterer Hartz-Gau sind die völlig fehlerhaften Computerprogramme. Zur Verwaltung untauglich, da viele Vorschriften nicht erfassend, sorgten sie 2005 für eine Geldvernichtung von mindestens 300 Millionen Euro. Dieser Betrag wurde zu viel an Krankenkassen überwiesen, weil Beitragssätze zur Krankenkasse für ALG-II-Empfänger rückwirkend gesenkt worden waren. Bei der Rücküberweisung behielten die Kassen 60 Millionen Euro Verwaltungskosten gleich ein. "Erhebliche datenschutzrechtliche Probleme" gibt es laut Bundesdatenschutzbeauftragten ohnehin.

Die Liste der Miseren ließe sich lange fortführen. Eines der größten Übel: Die Anrechnung von Zuverdienst motiviert nicht. Sie erstickt jede Eigeninitiative. Wer über zusätzliche Beschäftigung zum ALG den Wiedereinstieg in den Beruf sucht, wird finanziell bestraft. Die Zuverdienstregeln bevorzugen gemeinnützige Tätigkeiten gegenüber Beschäftigungsverhältnissen im ersten Arbeitsmarkt, kritisiert das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH).

Die späten Nachbesserungen der Regierung legen derzeit das Ausmaß des Versagens offen. So sieht dieses Jahr Schwarz-Rot im Bundeshaushalt Ausgaben für das Arbeitslosengeld II von 24,4 Milliarden Euro vor. Im letzten Jahr überzog die Koalition ihre Kalkulation um zwölf Milliarden Euro. Grund dafür ist die schlechte Datengrundlage. Der Erfolg von Kontrolleuren sowie die Größenordnung von Sanktionen gegen Hilfeabzocker bleiben weitgehend unbekannte Größen. So wird auf Hartz IV Hartz V folgen. Eine gerechte Hilfe zwischen Fordern und Fördern scheint die Phantasie der Politiker zu überfordern.

Hartz IV bringt kaum Menschen in Arbeit

Die Liste der ALG II Miseren ist lang

Augen zu und durch: Wolfgang Clement, verantwortlich für die Umsetzung von Hartz IV, zeigte Beratungsresistenz.
 
     
     
 
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