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Ein Bund von Sternen - Johann Gottfried Herder

 
     
 
Johann Gottfried Herders umfangreiches  und  ungemein  vielgestaltiges Werk gehört zu den großen Leistungen der Menschlichkeitskultur, er selbst zu den bedeutendsten Anregern der Literatur und des wissenschaftlichen Denkens des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Als Philosoph der Geschichte und Kunst ist es hervorgetreten, als Sprachtheoretiker
, als protestantischer Prediger und Pädagoge, als Dichter, Übersetzer, schließlich als bedeutender Sammler und Herausgeber von Volksliedern. Die dem zugrundeliegende Weite und Breite der Interessen mag eine der Ursachen dafür sein, daß selbst aus heutiger Perspektive eine geistesgeschichtliche Standortbestimmung des Autors Schwierigkeiten bereitet, ganz zu schweigen von seiner sehr komplexen und oft widersprüchlichen Wirkungsgeschichte. Schon bei den Zeitgenossen gab es Irritationen. Bekannt ist eine Bemerkung Jean Pauls, wonach Herder "kein Stern erster oder sonstiger Größe" sei, sondern vielmehr "ein Bund von Sternen, aus welchem sich dann jeder ein beliebiges Sternbild buchstabiert".

Geboren wurde Herder vor 250 Jahren am 25. August 1744 in dem ostdeutschen Ackerstädtchen Mohrungen, das zu jener Zeit etwa 1800 Einwohner zählte. Sein Vater, ein lutherischer Küster und Landschullehrer, lebte in ärmlichen Verhältnissen und war nicht in der Lage, dem Sohn eine wissenschaftliche Ausbildung zu ermöglichen. Erst durch die Unterstützung eines russischen Regimentsarztes, dem der Wissensdurst des Knaben ausgefallen war, konnte Herder die Universität Königsberg besuchen, um auf Anraten seines Gönners Medizin zu studieren. Nach der ersten anatomischen Sektion (die der Studiosus mit einem Ohnmachtsanfall quittierte) gab er das Medizinstudium auf und trat in die theologische Fakultät der Universität ein. Hier interessierte er sich hauptsächlich für Philosophie und Literatur. Bevorzugter Lehrer wurde der "vorkritische" Kant, der den Hochbegabten unentgeltlich an seinen Vorlesungen teilnehmen ließ. Rousseaulektüre wie auch die Freundschaft mit dem pietistischen Philosophen Johann Georg Hamann machten den jungen Herder mit freiheitlichen Ideen, mit dem Volkslied, der Sagenwelt des Ossian, der englischen Sprache und mit Shakespeares Hamlet vertraut.

Von 1764 an war Herder als Lehrer, Kritiker und Domprediger in Riga tätig, wo er vor allem wegen seiner hinreißenden Beredsamkeit geschätzt wurde. Hier begann auch seine intensive schriftstellerische Tätigkeit. Neben zahllosen kleineren Artikeln und Kritiken entstanden die ersten umfangreichen Werke, die – obwohl zunächst anonym erschienen – den Verfasser schnell berühmt machten: die Fragmente "Über die neueste deutsche Literatur" und die "Kritischen Wälder".

1769 verließ Herder Riga. Nach einer Seereise, die ihn in mehrere europäische Länder führte, trat er ein Jahr später in den Dienst des Fürstbischofs zu Lübeck, dessen Sohn, den Erbprinzen, er auf Reisen begleitete. Nachdem er sich in Darmstadt, wo er Caroline Flachsland, seiner späteren Frau, begegnete, von der Reisegesellschaft getrennt hatte, verbrachte er den Winter 1770/71 in Straßburg. Hier fand die bedeutungsvolle Begegnung mit Goethe statt. Goethe verdankte Herder – wie die gesamte Sturm-und-Drang-Bewegung – wesentliche Anregungen. Nicht akademische Bildung und pedantisches Regelwerk, so das Herdersche Credo, sondern tiefe Empfindung, Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit mache den Dichter wie überhaupt die Poesie. Herders eigene Sammlung von "Volksliedern.  Nebst  untermischten Stücken" (erst 1807 erschien sie unter dem berühmten Titel "Stimmen der Völker in Liedern") sollte gleichsam vor Augen führen, daß Dichtung in allen Weltgegenden ebenso wie in allen Ständen und Schichten der Gesellschaft zu Hause sei …

Im Frühjahr 1771 nahm Herder die Stelle eines Hofpredigers in Bückeburg an, eine der  zahlreichen  Zwergresidenzen Deutschlands. Anders als in der neuen Ideen gegenüber aufgeschlossenen patrizischen Hansestadt Riga stieß der freigeistige Theologe –wie später noch oft in seinem Leben – auf den Widerstand der lutherischen Orthodoxie, litt er unter der Enge der Verhältnisse, denen er unter allen Umständen zu entkommen trachtete. Seine wiederholten Bemühungen um eine Professur in Göttingen scheiterten am Mißtrauen der konservativ eingestellten kirchlichen Behörde …

Da kam ein Angebot Goethes gerade recht, der seinen Mentor aus der Straßburger Zeit nach Weimar holte. Fast drei Jahrzehnte war Herder nun in dem thüringischen Herzogtum in höchsten – dennoch schlecht bezahlten – geistigen Ämtern tätig: 1776 wurde er Generalsuperintendent, Oberhofprediger, Vizepräsident, dann Präsident des Oberkonsistoriums. Hier bot sich durchaus Raum für eine erzieherisch-praktische Tätigkeit; Herder erwarb sich Verdienste um die Verbesserung des Schulwesens, einige kirchliche Reformen wurden durchgeführt.

Zweifellos war Herders Weimarer Periode – fast identisch mit seiner zweiten Lebenshälfte – die bei weitem produktivste und ertragreichste. Neue Verbindungen wurden geknüpft, neue Freundschaften geschlossen; es fehlte nicht an Ehrungen und Anerkennung. So arbeitete der Vielbeschäftigte an Wielands "Teutschem Merkur", später an Schillers "Horen" mit. Auf einer Hamburgreise machte er die Bekanntschaft Klopstocks; Jean Paul verkehrte im Hause Herders. Er war Mitglied der Berliner Akademie geworden. Von den weitgefächerten publizistischen Aktivitäten sind vor allem die "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" hervorzuheben, Herders Opus magnum, ein großartiger Versuch, die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft anhand von Untersuchungen über Natur und Geschichte, über Kunst, Religion und Sitten als einen naturgeschichtlichen Prozeß darzustellen … Und als unabgegolten in ihrem Ideengehalt haben sich auch die "Briefe zur Beförderung der Humanität" erwiesen. In ihnen hat Herder die klassische Humanitätsauffassung am eindrucksvollsten dargelegt …

Gleichwohl blieben die Weimarer Jahre nicht ungetrübt. Querelen mit den Amtskollegen, die Gleichgültigkeit des Hofes gegenüber seinen kirchenreformerischen und volkserzieherischen Ambitionen, ständige finanzielle Nöte, die immer wieder zu schriftstellerischen "Brotarbeiten" zwangen – all das verbitterte den ehrgeizigen, zugleich ehrempfindlichen und reizbaren Mann …

Die letzten Lebensjahre Herders waren von Krankheit, materiellen Sorgen um seine kinderreiche Familie und fast vollständiger Zurückgezogenheit gekennzeichnet. Dennoch ist er weiter unermüdlich tätig gewesen, er blieb aufgeschlossen für alles menschlich Bedeutsame und Wertvolle. Kurz vor seinem Tode am 18. Dezember 1803 hat er noch eine Nachdichtung des spanischen Nationalepos "Der Cid" herausgegeben. Klaus Berthel

*In Auszügen entnommen aus "Ostdeutsche Gedenktage 1994", Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn

 
     
     
 
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