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Am 3. Dezember 1998 teilte die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) mit, daß die Beratungen über das sogenannt "Multilaterale Abkommen über Investitionen" (MAI) offiziell eingestellt worde sind. Das Ende der Beratungen über dieses umstrittene Abkommen zeichnete sich bereits in Oktober letzten Jahres ab, als Frankreich sich von den Verhandlungen zurückzog. Es is aufschlußreich, wie die (rotgrüne) Bundesregierung das Ausscheiden Frankreichs in ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS (Bundestagsdrucksache 14/173) erklärt: "Di französische Regierung begründete ihren Rückzug" aus den bei der OEC "geführten Verhandlungen", so die Bundesregierung, "insbesondere mit de Befürchtung, daß ein multilaterales Abkommen für Investitionen in der bis dahi diskutierten Form der Souveränität der Französischen Republik durch Beschneidung de gesetzgeberischen Freiheit in unakzeptabler Weise einschränke". Und "Schließlich wendet sich die französische Regierung gegen das Abkomme zugrundeliegende Prinzip der Liberalisierung des Marktzugangs für Investoren in alle Wirtschaftssektoren". Auch hierdurch "werde die Souveränität de französischen Staates in unzumutbarer Weise (!) eingeschränkt". Den französische Befürchtungen mochten sich weder die christlich-liberale noch die rotgrün Bundesregierung anschließen. Überraschenderweise unterstützt auch die neue rotgrün Bundesregierung "jede Initiative zu einer Einigung über ein multilaterales Regelwer für Investitionen". Diese Haltung muß vor dem Hintergrund der Kritik, die de derzeitige Minister an den deregulierten Finanzmärkten übt, befremden.
Mit dem Rückzug der Franzosen scheint zunächst der Versuch, so etwas wie ein "Verfassung der Weltwirtschaft" bzw. ein "GATT für Investitionen" zu schaffen, gescheitert zu sein. Als "Verfassung der Weltwirtschaft" bezeichnet der Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO, Ruggiero, das MAI, das ursprünglic im April 1998 ratifiziert werden sollte. Es ist aber keineswegs auszuschließen, daß die Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden. Denn auch im Fall des MAI gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Der Kern des MAI ist in dem Ziel zu suchen, die unzähligen bestehenden bilaterale Investitionsabkommen durch ein einziges Abkommen zu ersetzen. Hier liegt aber gleichzeiti das Hauptproblem dieses Abkommens begründet. Bei Direktinvestitionen sollen nämlic transnational agierende Unternehmen mit nationalen Unternehmen gleichgestellt werden Diese Gleichstellung soll durch ein "Diskriminierungsverbot" sichergestell werden: Sowohl beim Markteintritt als auch im operativen Geschäft sollen ausländisch Unternehmen in den Unterzeichnerstaaten mindestens so gut wie einheimische Unternehme behandelt werden. Nach Auffassung der Befürworter eines derartigen Abkommens würden au diese Weise ausländische Investoren besser vor Enteignungen geschützt. Darüber hinau müßten aber auch vorgegebene Exportquoten wegfallen, was einem Verlust staatliche Steuerung gleichkäme.
Hält ein Unterzeichnerstaat dennoch an einer Ungleichbehandlung zwische ausländischen und heimischen Unternehmen fest, haben multinationale Konzerne aufgrund de Vertragsgrundlagen des MAI die Möglichkeit, diese Staaten per Gerichtsentscheid in die Schranken zu weisen. Des weiteren müssen die Unterzeichnerstaaten damit rechnen, mi Schadensersatzforderungen konfrontiert zu werden, wenn sich ein multinationaler Konzer "benachteiligt" fühlt. Dabei ist zu beachten, daß im Falle von Streitigkeite das geltende nationale Recht keine Bedeutung hat. Statt dessen soll ein Schiedsgerich eingesetzt werden. Wer dann letztlich Recht bekommt, wird entscheidend von den jeweilige Anwälten abhängen. Eine Regelung, die auch die auf Schadensersatzforderunge spezialisierten US-Anwälte erfreut, die nun auf satte Provisionen hoffen dürfen Beispiele für derartige Rechtsstreitigkeiten liefern die Investitions-Regeln im Rahme des Freihandelsabkommens NAFTA, das in vielem dem MAI als Vorbild dient. Nach einer Klag der US-amerikanischen "Ethyl Corporation" mußte die kanadische Regierung ei Importverbot, das aufgrund eines Umweltgesetzes erlassen wurde, aufheben und dem Kläge darüber hinaus Schadensersatz bezahlen.
Doch damit sind die weitreichenden Folgen des MAI, das auf eine weitgehende Aushöhlun nationalstaatlicher Kompetenzen hinausläuft, bei weitem noch nicht erfaßt. Im erste Kapitel des Vertrages, das mit "Allgemeine Übereinkünfte" überschrieben ist wird festgelegt, das die Arbeitsschutzbedingungen ausschließlich durch die International Arbeitsorganisation (ILO) festgelegt wird. Nationale Richtlinien, die über die Mindestbedingungen der ILO hinausgehen, mußten diesen angeglichen werden, will ei Unterzeichnerstaat nicht Gefahr laufen, wegen "Diskriminierung" angeklagt zu werden. Stutzig machen müssen die in Kapitel 2 definierten "schutzwürdige Investitionen", unter die z. B. auch indirekte Beteiligungen wie Aktienanteile Schuldverschreibungen, Werksverträge, Leistungszusagen aller Art und sonstige materiell und immaterielle Besitztümer und Recht auf Besitztümer wie Mietverträge und Hypotheke fallen. Dieser Begriff von "Investition" geht weit über da Allgemeinverständnis hinaus. Entsprechend extensiv kann die Schutzgarantie ausgeleg werden. Die Interessen der Staaten, in denen Investitionen getätigt werden, spielen vo diesem Hintergrund so gut wie keine Rolle mehr. Kapitel 3 regelt den Umgang mit Investore und Investitionen: Alle in einem Land gewährten Rechte gelten uneingeschränkt für all Investoren der Unterzeichnerstaaten. Auch, daß Investoren von allen Gesetzen unterrichte werden müssen (!), die deren Investitionen betreffen. Geschieht dies nicht, werde Schadenersatzansprüche fällig. Gesetze und Verordnungen, die ausländische Investore benachteiligen, sind entsprechend zu novellieren.
Von Bedeutung ist auch die in dem Unterabschnitt (Kap. 3) "Aufenthaltserlaubni und Arbeitserlaubnis für Investoren und deren Personal" avisierte Regelung, da Investoren und deren Mitarbeiter unbegrenzte Zuzugs- und Aufenthaltsrechte in de MAI-Unterzeichnerstaat, in dem sie investieren, haben. Eine Begrenzung des Personals is nicht definiert. Das Zugangs- und Aufenthaltsrecht gilt automatisch auch für Ehegatten die Kinder und sonstigen Familienmitglieder des Personals. Weitreichend auch die in de Unterabschnitt (Kap. 3) aufgeführten "Monopole, Staatsbetriebe un Konzessionen". Ein bestehendes Monopol darf seitens eines Unterzeichnerstaates nich zerschlagen werden. Doch damit nicht genug: Der Monopolist darf auch in verschiedene Gebieten für ein und dasselbe Produkt unterschiedliche Preise erheben!
Warum das MAI insbesondere durch die USA vorangetrieben wurde, zeigen die Regelunge über Rohstoffe und Bodenschätze. Hier sind insbesondere Entwicklungs- un Schwellenländer betroffen, die bezeichnenderweise bei den Verhandlungen außen vo bleiben. Auch hier sollen heimische Investoren den ausländischen gleichgestellt werden obwohl Rohstoffe und Bodenschätze für viele Staaten der sogenannten "Dritte Welt" von existentieller Bedeutung sind. Doch es kommt noch besser Entwicklungsprogramme zur Förderung strukturschwacher Regionen sind im Rahmen des MAI ga nicht oder nur noch sehr begrenzt möglich. Die Wirtschaftsförderungsprogramme in de Staaten der Dritten Welt müßten also erheblich beschnitten werden.
Es verwundert bei diesem Hintergrund nicht, daß bei Ende der Beratungen über das MA 600 Ausnahmeanträge eingereicht worden sind. Die Amerikaner bestanden darauf, auc weiterhin ausländische Unternehmer nach den Regelungen des Helms-Burton- bzw dAmato-Gesetzes für ein eventuelles Engagement in Iran, Kuba oder Libyen bestrafe zu können. Auch wollten sie Ausländer bei Subventionen und im öffentliche Auftragswesen schlechter behandeln dürfen als heimische Unternehmer. Daß eine derartig Ausnahmeregelung für die USA im Grunde das ganze MAI ad absurdum führt, versteht sic von selbst, zeigt aber sogleich die eigentliche hintergründige Triebkraft an.
Den Franzosen ging es insbesondere um den Schutz ihrer Filmindustrie, die sie durch die amerikanischen Filmkonzerne bedroht sehen. Während Franzosen und Amerikaner erbittert u Ausnahmeregelungen stritten, sah die damalige christlich-liberale Bundesregierun bemerkenswerterweise keinen Handlungsbedarf. So führte die Regierung Kohl auf eine Klein Anfrage der SPD (Bundestagsdrucksache 13/9549) aus, daß die "Grundsätze de demokratischen Rechtsstaates durch das MAI nicht berührt" werden. "Di einzelnen Vertragsstaaten behalten grundsätzlich ihre Souveränität in der Ausgestaltun ihrer nationalen Wirtschafts-, Sozial-, Arbeits- und Umweltpolitik". Und: "Da MAI zielt im wesentlichen darauf ab, Diskriminierungen gegenüber ausländische Investoren zu verhindern. Die im MAI enthaltenen Verpflichtungen erfordern kein Änderungen der deutschen Gesetze." Diese Antwort, die im krassen Gegensatz zu Pari steht, läßt im Grunde nur den Schluß zu: die Bundesregierung hat bewußt die Folge heruntergespielt.
Wäre das MAI rechtsgültig geworden, wären folgende Konsequenzen zu gewärtige gewesen: Die makroökonomischen Steuerungsmöglichkeiten der beteiligten Staaten wäre weiter geschwächt worden. Vor allem durch die Einbeziehung der oben angesprochene Portfolioinvestitionen in die Definition von Investitionen wäre die Position de Finanzmärkte weiter gestärkt, aber die Zins- und Wechselkurshoheit der Nationalstaate weiter herabgesetzt worden. Mit dem Verlust des Zinsinstrumentes fällt aber die Möglichkeit, arbeitsmarktpolitische Ziele zu verfolgen. Zur Erläuterung: Unte Portfolioinvestitionen werden die Wertpapierkäufe von Inländern im Ausland zu Kapitalanlage verstanden. Im Gegensatz zu den Direktinvestitionen stellen die Portfolioinvestitionen eine indirekte Form der Auslandsinvestition dar. Von dem Verlus staatlicher Steuerungsmöglichkeiten sind insbesondere die Entwicklungs- un Schwellenländer betroffen. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, da z. B. die südostasiatischen "Tigerstaaten" ihren Aufstieg intensive staatlicher Steuerung verdankten. Diese Politik wäre im Rahmen des MAI nicht meh möglich. Da insbesondere die Entwicklungsländer auf Investitionen angewiesen sind, wir ein Vertrag wie das MAI, der von vornherein auf dem baldigen Beitritt de Entwicklungsländer zielte, ohne diese freilich an den Verhandlungen zu beteiligen, daz führen, daß Entwicklungs- und Schwellenländer "investitionsfeindliche" Regelungen abbauen müssen oder gar nicht erst einführen. In diesem Zusammenhang sin insbesondere Staaten wie China, Mexiko, Brasilien, Malaysia, Indonesien, Thailand Argentinien, Indien oder Chile von Interesse, die einen Großteil der private Finanzströme auf sich vereinigen. Zwischen 1990 und 1996 wuchsen die private Finanzströme in die betreffenden Staaten von ca. 44 Milliarden auf 243 Milliarden Dollar.
Der Druck, Arbeits- und Investitionsbedingungen zu deregulieren, hätte seine Wirkun auch auf jene Staaten entfaltet, die dem MAI nicht beigetreten wären. Wenn diese für da internationale Kapital hätten attraktiv bleiben wollen, hätten diese wohl oder übe Investitionshindernisse weiter abbauen müssen. Nicht wenige Kritiker des MAI befürchte daher, daß das MAI, sollte es jemals zu einer Umsetzung kommen, zu einer rasantere Anpassung sozialer oder ökologischer Mindeststandards nach unten führen wird ("rac to the bottorn"). Das vorläufige Scheitern der Verhandlungen ist keinesfalls ei Grund, Entwarnung zu geben. Die Tatsache, daß die OECD die MAI-Verhandlungen unte Ausschluß der Öffentlichkeit führen wollte, sollte Warnung genug sein.
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