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: Herr Admiral, glauben Sie, daß dem europäischen Kontinent neue Kriege drohen nach den Balkankriegen und angesichts der Situation in Serbien?
Admiral Duval: Ich glaube vor allem, daß man im Falle von Bosnien und im Kosovo nicht eigentlich von "Kriegen" sprechen kann, eher von Operationen, die die Ordnung aufrecht erhalten. Ich glaube, man hätte sich nicht in diese Angelegenheiten einmischen dürfen und daß es vorzuziehen gewesen wäre, wenn man in dieser Krise nicht interveniert hätte. Ich bemerke außerdem, daß man heutzutage keinen Frieden mehr abschließt, ebensowenig, wie man einen Krieg erklärt. Dieser Begriff von "Krise" ist vollkommen neu. Früher war alles durch das international e Recht geregelt; so kam es, daß selbst ein Begriff wie "Blockade" der gewissen, ziemlich genauen internationalen Regeln unterlag, ersetzt wurde durch denjenigen des "Embargos", der die Interpretation den beteiligten Mächten überließ. Ich glaube, daß diese Interventionen nicht die Probleme regeln und oft genug eine völlige Unkenntnis der Geographie und der Geschichte verraten, nämlich dessen, was man Geopolitik nennt.
Kann man also von einer Gefahr neuer Kriege in Europa sprechen?
Das hängt davon ab, ob man sich einmischt oder nicht. Was den Balkan anbelangt, so handelt es sich um ein unlösbares Problem. In jedem Falle bin ich über die amerikanische Politik in dieser Zone nicht genau orientiert.
Glauben Sie, daß die europäischen Nationen sich genügend um ihre Verteidigung sorgen?
Da muß man wissen, was man mit Verteidigung meint. Der Begriff Verteidigung bedeutet für mich zweierlei. Erstens: die Verteidigung einer "Macht" auf dem eigenen Territorium und zweitens die virtuelle Macht eines politischen oder diplomatischen Staates. Europa ist keine "Macht". Europa war für mich das, was die "Europäische Verteidigungsgemeinschaft" ursprünglich vorsah. Mit seiner Erweiterung setzt das jetzige Europa alles aufs Spiel. Ich bemerke übrigens, daß wenn man beispielsweise Polen integriert, man damit Rußland kitzelt. Alles in allem glaube ich, daß die Erweiterung der EU uns nur in Abenteuer führen kann.
Was halten Sie von der Erweiterung der NATO und verstehen Sie die Einwände Rußlands dagegen?
Ich muß Ihnen zunächst sagen, daß ich es ablehne, antiamerikanisch zu sein. Das wäre zu einfach. Ohne die NATO hätten wir in Europa Katastrophen erlebt. Die Entwicklung dieses Organismus ist schwierig zu erkennen. Die NATO mischt sich heute in alles ein. Ich sehe beispielsweise nicht die masiven Vernichtungswaffen, die Europa direkt bedrohen, wie dies auf dem Washingtoner Gipfel von 1999 anläßlich des 50jährigen Bestehens des Bündnisses gesagt wurde. Was die Erweiterung der NATO nach Osten angeht, habe ich bereits angemerkt, daß Rußland durch die polnische Frage gekitzelt wurde. Jede Annäherung der NATO an die Ukraine wäre offen gesagt gefährlich, weil dies in Rußland Angst erzeugen muß. Und in dem Moment, in dem ein Land Angst bekommt, wird es gefährlich.
In diesem Sinne: Glauben Sie, daß eine Achse MoskauBerlinParis mit einer möglichen Erweiterung um Tokio möglicherweise das wäre, was sich die Russen wünschen?
Das ergibt keinen Sinn. Das ist die russische Propaganda, um den amerikanischen Raketenschild entgegenzuwirken, indem man einen internationalen Schutzschild fordert. Dagegen bleibt das Problem RußlandChina sehr delikat und wird möglicherweise noch eine Wende erleben. Falls Japan Angst bekommen sollte, könnte es sich mit einer gewissen Verzögerung von ungefähr zwei Jahren Zugang zu Nuklearwaffen verschaffen.
Muß man nicht irgendwann einmal Rußland in das NATO-System aufnehmen?
Das ist nicht seriös.
Welche Konsequenzen könnten die amerikanischen Pläne, die einige den "Krieg der Sterne" nennen, für den Alten Kontinent haben? Gibt es in den USA selbst Vorbehalte gegen eine solche Politik?
Der "Krieg der Sterne" war das System von Präsident Reagan. Dieses aber entspricht nicht den gegenwärtigen Plänen der Amerikaner. Man muß das Problem etwas emporheben. Sowohl das Reagan-Projekt wie der gegenwärtige Plan eines Anti-Raketen-Schutzschildes verstießen oder verstoßen gegen den amerikanisch-sowjetischen ABM-Vertrag der Denuklearisierung des Weltraums. Der ABM-Vertrag von 1972 hat das ungeheure Verdienst gehabt, die russische Strategie in eine Strategie der Abschreckung zu ändern, die vorher beherrscht war von der Theorie eines effektiven Einsatzes von Nuklearwaffen. Ich merke an, daß Rußland das einzige Land ist, daß eine Antiraketenverteidigung rund um seine Hauptstadt bereits besitzt, die aus den 70er Jahren datiert und deren Einrichtung den Ursprung der Einrichtung der nuklearen Arsenale in Frankreich und Großbritannien bedeutet haben. Man muß zwei verschiedene Probleme auseinanderhalten. Auf der einen Seite die Abschreckung, auf der anderen Seite die Gleichheit der Bewaffnung. Seit Reagan hat sich die amerikanische Doktrin weiterentwickelt. So kam es, daß Präsident Bush, als er Reagan nachfolgte, den Akzent auf ein Anti-Raketen-Szenario setzte. Zur Zeit ist das Programm in einer technischen Sackgasse, was erklärt, daß Präsident Clinton es abgelehnt hat, sich darüber zu äußern und den Ball an seinen Nachfolger im Weißen Haus zurückgespielt hat. Ich glaube, daß die Europäer die Probleme, die das Anti-Raketen-Projekt der Amerikaner aufwirft, sehr genau erkennen. Dieses Projekt könnte den Rüstungswettlauf erneut aufleben lassen, es könnte außerdem eine Abkoppelung zwischen den beiden Seiten des Atlantik provozieren. Dennoch bedaure ich die in Frankreich oft zu beobachtende Schärfe gegenüber den Vereinigten Staaten. Für die amerikanischen Regierenden stellt sich das Problem China, das sein Waffenarsenal entwickelt. Und hier vor allem die Mehrfachsprengkopfwaffen. Kurzfristig noch brisanter ist die Beziehung ChinaJapanTaiwan.
Glauben Sie, daß die Globalisierung auch in der nuklearen Rüstung fußt und daß nunmehr unser Planet in eine Periode von Bürgerkriegen eintreten wird?
Die Globalisierung ist ein wirtschaftliches und kein nukleares Phänomen. Das amerikanische Verteidigungssystem wird dominiert von der Sorge um die Marktwirtschaft. Für die Amerikaner ist beispielsweise die Ölwaffe das Mittel für die Steuerung der Weltwirtschaft. In Frankreich und anderswo spricht man von der Globalisierung im antiamerikanischen Sinne, der die wirklichen Probleme verdunkelt. Und man spricht nicht mehr von den Atomwaffen, als ob es etwas Peinliches wäre.
Wird es, in diesem Sinne, eine Art "Strategie-Revolution" geben, wie die Lektionen aus dem Kosovo dies vermuten lassen könnten?
Die gegenwärtige Strategie ist charakterisiert durch zwei verschiedene Begriffe: "Readiness" (Bereitschaft) und "Projection rapide" (schneller Schlag). In diesem Sinne war der Kosovo-Krieg nicht sehr beweiskräftig. Ich würde sogar sagen, daß nach einem gut dokumentierten belgischen Bericht, den ich gelesen habe, dieser Krieg militärisch ein vollkommen gescheitertes Unternehmen gewesen ist.
Haben Sie das Gefühl, daß die französische Strategie durch die kürzlichen französisch-italienischen und französisch-britischen Übereinkommen, besonders im Bereich der Luftwaffe und der Marine, verändert worden ist?
Das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Die französische Strategie wurde durch die wachsende Professionalisierung der Armeen verändert. Ich erinnere mich noch an den Ersten Weltkrieg, den ich als Kind miterlebt habe. Es gab zwei Völker, die sich erhoben, um ihr eigenes Territorium zu verteidigen. Die Professionalisierung der Armeen hat dem einen endgültigen Schlußpunkt gesetzt. Was das französisch-britische Abkommen von Saint-Malo angeht, so glaube ich, daß es nur "heiße Luft" ist. Die britische Schaukelpolitik zwischen Frankreich und Deutschland hat es schon immer gegeben und so wird es auch bleiben. In jedem Falle glaube ich, daß Großbritannien ein wichtiges Bindeglied zu den USA ist und daß man sich seiner als Brücke über den Atlantik bedienen sollte.
Im Hinblick auf Ihre militärische Erfahrung in den letzten Jahrzehnten, was bleibt auf dem französisch-deutschen Gebiet zu tun?
Ich habe stets, soweit ich es vermochte, für eine französisch-deutsche Versöhnung gekämpft. Ich fürchte, daß die Notwendigkeit meiner Bemühungen nicht allein der Vergangenheit angehören. Wie die Erklärungen von Jean-Pierre Chevènement gezeigt haben, kehren die alten Dämonen zurück. Es besteht ein französisch-deutsches Problem bezüglich der Nuklearwaffen. Zur Zeit hat man Angst, darüber zu sprechen. Ohne Zweifel wegen der Grünen. Die USA waren schon immer davon besessen, die Verbreitung dieser Waffen zu verhindern und sie dirigieren die ganze Weltpolitik in diese Richtung. Alles in allem glaube ich, daß Frankreich das französisch-deutsche Kernwaffenproblem angehen wird und anschließend das der europäischen Nuklearwaffen, indem es bezüglich deren Verbreitung die Initiative übernimmt.
Herr Admiral, wir bedanken uns für dieses Gespräch.
Viersterne-Admiral Marcel Duval gilt als Spezialist für Nuklearwaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte er der Ständigen Nato-Gruppe ("Standing Group") an, die aus Mitgliedern Frankreichs, Großbritanniens und den USA zusammengesetzt waren. In dieser Eigenschaft befaßte er sich insbesondere mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Anschließend wurde er auf dem Gebiet der interalliierten Beziehungen für die Nuklearstrategie tätig. Er kommandierte die Hochschule für Seekrieg (École Supérieure die Guerre Navale) und stellte General de Gaulle die ersten Versuche für die Anwendung unterseeischer Waffen vor. Nachdem er 1972 die Marine verlassen hatte, um in die "Delegation für Bodenplanung" einzutreten, stand er gleichzeitig dem Komitee zum Studium der nationalen Sicherheit vor.
Das Interview führten Francisco Lozaga und Müller. Übersetzung: Antonia Radelbeck.
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