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Die Fusionswut von - zumeist durchaus erfolgreichen - Konzernen hat irrationale Züge angenommen. In ihrer Mehrheit sind diese Zusammenschlüsse nicht von zusätzlichem Erfolg gekrönt, in vielen Fällen sogar kontraproduktiv. Man denke nur an den kerngesunden Automobilhersteller BMW, der sich von der Fusionseuphorie mitreißen ließ, den britischen Rover-Konzern schluckte und nach einiger Zeit feststellte, daß er sich buchstäblich überfressen hatte. So spuckte er die ungeliebte britische Tochter wieder aus. Aktuelles Beispiel ist auch DaimlerChrysler. Offensichtlich hat die Stuttgarter Unternehmensführung sich Mitsubishi vor der Übernahme zu wenig angeschaut, sonst hätte sie sich überlegt, das marode japanische Unternehmen bei sich einzugliedern. Hat man doch mit Chrysler schon genügend Probleme.
Die Mehrheit der Fusionen fördert weder die internationale Wettbewerbsfähigkeit noch die Leistungsfähigkeit. Daß durch sie bemerkenswerte technologische, innovative Durchbrüche erfolgen, kann niemand ernsthaft behaupten. Nur selten kann registriert werden, daß Fusionen wirklich zu neuer Wertschöpfung führen, fast nie führen sie zur Einstellung neuer Arbeitskräfte. Für den kleineren Fusionspartner ist oft sogar das Gegenteil der Fall.
Walter Adams, Präsident der Michigan State University und Professor für Wirtschaftswissenschaften, schrieb bereits 1986, als die Fusionswelle begann: "Die große Mehrheit dieser Superfusionen ist eine Art Unternehmertum auf dem Papier, ein Mittel, bestehende Vermögenswerte umzugruppieren, eine Übung in finanziellem Trara, die den Fusionshebammen der Wallstreet nützt." Das gilt auch für die europäischen "Fusionshebammen".
Wenn auch irrationale Elemente bei der gegenwärtigen Fusionitis überwiegen, so gibt es doch auch einige rationale Hintergründe, die allerdings wenig diskutiert werden:
• das Ziel der Marktbeherrschung - sie befreit von Wettbewerb und garantiert riesige Gewinne;
• das Interesse der Gewerkschaften - wo Unternehmen ein Monopol, Oligopol oder Kartell bilden, können sie höhere Löhne und zusätzliche Sozialleistungen anbieten, mehr als im freien Wettbewerb;
• das Interesse von Nationalstaaten, sich im Globalisierungsprozeß in einzelnen Branchen als Branchenführer zu behaupten;
• das persönliche Interesse des Managements des jeweils übernommenen Konzerns an horrenden Mil- lionenabfindungen.
Bei der soeben vollzogenen Übernahme des Pharmakonzerns Aventis durch Sanofi spielten alle diese Punkte eine Rolle, wenn auch in unterschiedlicher Intensität.
Zum Verständnis der Fusion ist ein Blick in die jüngste Vergangenheit von Nutzen. Es war am 15. Juli 1999, als die Aktionäre des deutschen Traditionsunternehmens Hoechst AG mit über 99 Prozent die Eigenständigkeit ihres Unternehmens aufgaben. Der Konzern mit Sitz in Frankfurt am Main verschmolz mit dem französischen Chemie- und Pharma-Unternehmen Rhône-Poulenc SA zur Aventis SA. Neuer Sitz der Firma wurde Straßburg. Mit rund 75.000 Mitarbeitern in fast 100 Ländern war damit einer der größten Pharma-Anbieter der Welt geboren. Mit Jürgen Dormann wurde zwar ein Deutscher Konzernchef, aber in Deutschland wurden nur noch sechs Prozent des Konzernumsatzes erzielt.
Jürgen Dormann, Hoechst-Chef seit 1994, hat durch eine Vielzahl von Transaktionen die AG "schlank" gemacht. Sie war in ihrer alten Größenordnung zu mächtig für eine Fusion mit Gleichen, weshalb zum Beispiel die Kosmetikunternehmen ebenso verkauft wurden wie die Beteiligungen an Messer Griesheim, Wacker-Chemie und Dystar. Die Hoechst AG trennte sich von einem Umsatz von rund 30 Milliarden DM. "Mit dem Namen Hoechst schmeißt Dormann eine Megamarke deutschen Ursprungs einfach auf den Müll. Aventis bedeutet die Vernichtung von Vertrauen gigantischen Ausmaßes", resümierte Euro am Sonntag im Dezember 1998. Und die Süddeutsche Zeitung urteilte, daß die Hoechst AG nur ein "heimatloses Konglomerat" darstelle. Juristisch ein Teilkonzern von Aventis mit der Funktion einer Zwischenholding.
Noch vor Monaten sah alles so aus, als würde der Schweizer Konzern Novartis - entstanden aus der Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz - die Ehe mit Aventis eingehen. Über längere Zeit war dieser Zusammenschluß, aus dem der zweitgrößte Pharma-Konzern der Welt hervorgegangen wäre, für Branchenkenner schon fast perfekt. Aber die französische Regierung stemmte sich dagegen. Nikolas Sarkozy, in Paris mächtiger Doppelminister für Wirtschaft und Finanzen, kämpfte für einen rein französischen Weltkonzern aus Sanofi und Aventis. Dabei waren das bis dahin keine denkbaren Partner gewesen, denn Sanofi hatte zuvor eine feindliche Übernahme von Aventis versucht. Igor Landau, Aventis-Chef und Franzose, hatte sogar Anzeigen in französischen Zeitungen gegen eine feindliche Übernahme durch Sanofi schalten lassen. Doch der politische Druck aus Paris und ein besseres Angebot an die Aktionäre ließen ihn einknicken. Ihm wird der Abgang vergoldet. Der Spiegel: "Sorgen um seine Zukunft muß sich Landau nicht machen. Bei vorzeitigem Ausscheiden, ganz egal, unter welchen Umständen, kassiert der Aventis-Chef, so bestimmt es sein Anstellungsvertrag von 1996, 40 Monatsgehälter oder rund 10,5 Millionen Euro. Ein bereits seit zwei Jahren fälliges Aktien-Optionspaket sowie weitere Päckchen aus jüngster Zeit, deren Ausübungspreis allerdings bei einem nur noch schwer zu erreichenden Aktienkurs von 80 Euro liegt, versüßen zudem den Abgang."
Dagegen werden viele tausend Arbeitnehmer wahrscheinlich ihren Arbeitsplatz verlieren. Bei einer gelungenen feindlichen Übernahme von Aventis durch Sanofi sollten mindestens 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Jetzt werden es wahrscheinlich - entgegen so manchen öffentlichen Bekundungen - noch mehr sein. Erfahrungsgemäß erfolgt der Arbeitsplatzabbau in Schritten nach einer Schamfrist von eineinhalb bis zwei Jahren. Daß Sanofi-Chef Jean-François Debecq den deutschen Standort als "gesichert" bezeichnete, bedeutet wenig. Zu oft wurden ähnliche Versprechungen bei Fusionen nicht eingehalten.
Bundeswirtschaftsminister Clement kritisierte die "interventionistische Politik" seines französischen Kollegen. Sarkozy verteidigte die französische Position: "Unsere Vorstellung von politischem Handeln und nationalem Interesse lautet nicht, daß wir unter dem Vorwand, man sei in einer Marktwirtschaft, mit verschränkten Armen dastehen." Deutschlands rot-grüne Regierung hingegen sieht den Begriff des "nationalen Interesses" als weitgehend überholt an. Die Quittung erhalten leider nicht Schröder und Fischer, sondern immer mehr deutsche Arbeitnehmer.
Faktum ist, daß mit Boehringer, Knoll und Hoechst innerhalb eines Jahrzehnts drei der bedeutendsten deutschen Pharmaunternehmen in ausländischen Besitz übergegangen sind. Schrittweise verschwinden damit Forschungskapazitäten und Know-how aus Deutschland. Einst stärkstes Pharma-Land, "Apotheke der Welt", degeneriert Deutschland zum Nischen-Anbieter. Da der Abstieg auch hier schleichend ist, bleibt die konsequente Reaktion aus.
Deutschland braucht dringend eine eigene Industriepolitik. Doch die rot-grüne Regierung hält Fusionen für eine Privatsache der Unternehmen.
Daß die französischen Gewerkschaften die Vereinigung von Aventis und Sanofi begrüßten und förderten, muß nicht betont werden. Wenn Arbeitsplatzabbau angesagt ist, wird er jedenfalls nicht erstrangig in Frankreich stattfinden.
Nicht zuletzt muß die Tatsache alarmieren, daß immer größere globale Firmeneinheiten kraft ihrer Finanzmacht immer stärkeren Interessendruck auf Regierungen ausüben können. Kommt aber ein solcher Wirtschaftsgigant ins Wanken, dann hängen an seinem Wohl und Wehe so viele Arbeitsplätze, daß er sich direkter Regierungssubventionen sicher sein kann. Damit haben die Großkonzerne für sich die Regeln der wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft weitgehend außer Kraft gesetzt. Sie genießen deren Vorteile, sind deren Risiken aber immer weniger ausgesetzt. Leidtragende sind die mittelständischen Unternehmen aller Art, die mit ihren Steuern "die Großen" im Notfall auffangen müssen. Wer noch Gespür für Entwicklungen hat, sieht von Jahr zu Jahr, wie sich die soziale Marktwirtschaft - nicht nur in Deutschland - von den Grundsätzen ihrer Begründer entfernt. Ludwig Erhard würde im Grabe rotieren, wenn er sähe, wohin die von ihm durchgesetzte wirtschaftliche Ordnungsidee driftet.
Aktie der Hoechst AG: Wie so viele andere Aktiengesellschaften hat auch dieser Produzent von Arzneimitteln, Kunststoffen, Farben, Lacken, Chemiefasern und Düngemitteln seine Selbständigkeit inzwischen verloren. Foto: Hoechst
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