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Gesellschaft ohne Bürger

 
     
 
Die Öde auf dem Berliner Schloßplatz ist ein Symptom für die städtische Gesellschaft - es fehlt ihr immer noch an einem Zentrum. Als vor drei Jahren die Frankfurter Allgemeine ihre "Berliner Seiten" einstellte, stöhnte Herausgeber Frank Schirrmacher, er habe doch nicht ahnen können, daß die neue Elite der "Berliner Republik" sich aus einer Fernsehmoderator
in - Sabine Christiansen -, einem Friseur - Star-Figaro Udo Walz - und einem Schweizer Botschafter - Partygänger Thomas Borer-Fielding nebst seiner texanischen Schönheitskönigin Shawn - zusammensetze. Unter diesen Umständen ging die Strategie der FAZ, mit einer Edelfeder-Beilage ein urbanes Bürgertum anzusprechen und die Verkaufszahl in der Hauptstadt auf 80.000 Exemplare zu steigern, ins Leere. Es blieb bei unter 20.000.

Die Entstehung einer "guten Gesellschaft" braucht ihre Zeit. Ein Blick in die Stadtgeschichte hätte Schirrmacher über die besonderen Schwierigkeiten in Berlin, wo diese Oberschicht schon immer besonders schmal war, belehren können. Berlin ist erst spät zu einer bedeutenden Stadt geworden, unter Friedrich dem Großen, wovon das "Forum Friderizianum" zeugt. Die Oper, die Museen, die Universität waren Einrichtungen der preußischen Monarchie, erst später kamen bürgerliche Institutionen hinzu. Großartiger bürgerlicher Reichtum versammelte sich in Berlin ab Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem nach 1871. Seine klassische Verkörperung fand er im Typus des Neureichen, den Theodor Fontane in dem 1892 erschienen Buch "Frau Jenny Treibel", einem - wie es im Untertitel heißt - "Roman aus der Berliner Gesellschaft", schildert. Die Schwiegertochter der Treibels, die aus dem selbstbewußten Hamburger Bürgertum stammt, läßt maliziös anklingen, daß sie ihre Schwiegereltern für ungehobelte Emporkömmlinge, sich selber aber für etwas Besseres hält.

Die bürgerliche Kultur Berlins, die sich herausbildete, wurde großenteils vom jüdischen Bürgertum getragen, wo sich Erwerbssinn mit der jüdischen Gelehrtentradition verband. Dafür steht ein Name wie Walter Rathenau. Hinzu kamen einzelne Vertreter des Adels. Hier ist zum Beispiel Helene von Nostiz (1878-1944) zu nennen, die Nichte des Reichspräsidenten Hindenburg, die mit Gerhart Hauptmann, Hofmannsthal und Rilke befreundet war. Aber auch das war kein Patriziat im ursprünglichen Sinne, sondern eine Mischung aus "altem und neuen Geld", aus Bankiers, Kunsthändlern, Schriftstellern, Verlegern, Architekten.

Das "Dritte Reich" setzte dem ein Ende. Die einen waren zur Emigration gezwungen, die anderen sahen keine Möglichkeit mehr für den freien geistigen Austausch, der die Grundlage gehobenen Gesellschaftslebens ist. Schließlich zerstörten Bomben die großen Häuser im Tiergartenviertel und im Berliner Westen. Danach sorgten Teilung, Berlin-Blockade und der Mauerbau für weitere Aderlässe. Die Westberliner Intellektuellen richteten sich in der Mauerstadt ein und fingen an, der Ästhetik des Fragmentarischen, des Bruchstückhaften einen Reiz abzugewinnen. Bezugspunkt war jetzt nicht mehr die Stadt, sondern der Kiez. Vergleichbares gilt für den Ostteil, wo die jüngeren Intellektuellen und Künstler die Tabula rasa, die sich in der alten Mitte vollzog, als Zeichen einer neuen Gesellschaft deuteten. Die Debatte um Schloß oder Palast (der Republik) wird bis heute davon geprägt. Der Einsatz für das Schloß ist innerhalb Berlins eine Sache von Einzelkämpfern geblieben.

Andererseits wird die Abwesenheit einer städtischen Gesellschaft seit Jahren als Manko empfunden. Um dieses Vakuum zu füllen, gibt es zahlreiche Versuche, die alte Salonkultur wiederzubeleben. Wie schwierig ihre Etablierung ist, läßt sich am Beispiel des Unternehmers Uwe Fenner ablesen, bei dem sich Politiker, Unternehmer, Offiziere, Anwälte, Künstler versammelten. Unbegründete Gerüchte über Subventionsbetrug reichten aus, Fenner um sein geschäftliches und privates Vermögen zu bringen, und sämtliche Politiker, die seine Gäste gewesen waren, wandten sich umgehend von ihm ab. Der Vorgang zeigt, daß die potentiellen Eliten Berlins noch genauso unsicher sind wie die Stadt als Ganzes.

 
     
     
 
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