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Es gibt sie, die blühenden Landschaften in Afghanistan: leuchtend rote Mohnfelder. Über drei Viertel der weltweiten Opiumproduktion stellt Afghanistan, rund 95 Prozent des in Mitteleuropa verbrauchten Heroins stammt aus dem Land am Hindukusch. "Laß uns zu einem Teehaus fahren", schlägt mein Begleiter vor. Teehaus? Warum? Ich habe heute schon bei mehreren Treffen literweise grünen Tee getrunken, es ist bereits dunkel und ein Bier wäre mir jetzt wesentlich lieber. "Es ist ein spezielles Teehaus."
Wir landen in einem mit Lehm und Stroh verputzten Backsteinhaus, verschanzt hinter etwa drei Meter hohen Ziegelmauern, dem traditionellen Schutzwall der Afghanen, irgendwo am Ortsrand der rund 50000 Einwohner zählenden nordafghanischen Provinzhauptstadt Kunduz. In dem Haus hocken ein Dutzend Männer auf einem großen, dunkelroten Teppich - sieben Kalaschnikows zwischen sich liegend und kleine Gläser gefüllt mit grünem Tee vor sich.
Süßlicher Rauch wabert durch den Raum. Mirwais, der Inhaber des Hauses, wird mir vorgestellt. Sein Gesicht wirkt wie eine gebogene Axt. Vier tiefe Linien zerfurchen die Stirn, die Wimpern stehen so dicht, daß es aussieht, als male er sich Lidstriche aus Kajal. Mit einer Handbewegung bittet er mich zu setzen. "Tor" sagt er lächelnd, als ich auf mehrere aus Plastikflaschen gebastelten Wasserpfeifen blicke. "Tor" - hier kein Fußball-Begriff, sondern der afghanische Ausdruck für hochwertiges Opium.
Im kommenden Frühjahr werden sich viele Bauern wieder voller Sorgfalt um die jungen, grünen, salatähnlichen Blätter der Pflanze kümmern. Gut drei Monate nach der Aussaat beginnt die Schlafmohnpflanze rot zu blühen und läßt nach ihrer Blüte eine hühnerei-große Samenkapsel zurück. Abends wird diese mit einer Klinge angeritzt.
Jede einzelne Kapsel drücken die Bauern mit ihren Fingern aus, so daß über Nacht ein weißer, harziger Pflanzensaft austreten kann - Rohopium. Bis zum nächsten Morgen ist aus dem flüssigen Opium eine kleine, dunkel-rotbraune, klebrige und bitter schmeckende Masse geworden, die dann vorsichtig abgekratzt werden kann.
Dieser Vorgang wird alle paar Tage wiederholt, bis die Kapseln schließlich keinen Saft mehr hergeben. Das Rohopium muß dann noch gereinigt und raffiniert werden, um es in Heroin umzuwandeln. Für diese chemische Umwandlung wird Essigsäure benötigt, die über Zentralasien ins Land geschmuggelt wird. Aus zehn Kilogramm Opium kann schließlich ein Kilogramm Heroin gewonnen werden.
Auf über 300 Quadratkilometern wird in Afghanistan Schlafmohn angebaut. Etwa 2,3 Millionen Menschen leben davon, rund zehn Prozent der Bevölkerung - Tendenz steigend. Auf die Frage, in welchen Gegenden das Problem am größten sei, macht sich in den Augen von Amir Khesi, dem Leiter des UN-Büros gegen Drogen und Kriminalität in Kabul, Verzweiflung breit: "In 26 der 34 Provinzen des Landes."
Es ist nach Einbruch der Dunkelheit bereits empfindlich kühl, Mirwais trägt über der traditionellen afghanischen Pluderhose einen Pullover und Jacke. Ein vor dem Haus ratternder Dieselgenerator spendet elektrisches Licht. Er schenkt mir ein Glas heißen, ungezuckerten Tee ein. Die meisten der zwölf anderen Männer im Raum gehören angeblich einem örtlichen Sicherheitsdienst an. Unzählige davon bewachen im ganzen Land Firmen, öffentliche Gebäude, Restaurants, Hotels, private Häuser. "Wie bereitet man denn nun so eine Opium-Wasserpfeife zu?" frage ich.
In einer bis zur Hälfte mit Wasser gefüllten Plastikflasche wird oberhalb des Wassers ein dünner Schlauch seitlich durch die Wand in die Flasche gebohrt, der später zum einziehen des Rauches genutzt wird. Auf dem Flaschenhals befindet sich ein trichterförmiger Tonkopf. In diesen legt Mirwais ein fingernagel-großes Stück erhitztes Rohopium. Auf das Rohopium kommt eine Aluminiumfolie mit feinen Löchern, auf diese legt er ein Stück glühende Kohle. Das Problem: Opium beginnt erst bei sehr hohen Temperaturen zu qualmen und verflüssigt sich dann sogar. Es ist viel Übung notwendig, um das Opium über einem Gaskocher auf die richtige Temperatur zu bringen.
Die Briten haben die alliierte Führung in der Drogenbekämpfung übernommen. So wie sich Deutschland um den Aufbau der Polizei, Italien um das Justizwesen, Japan um die Entwaffnung der Milizen und die USA um den Aufbau einer neuen afghanischen Armee kümmert. Das britische Konzept, für Anbauflächen, auf denen nicht geerntet wurde, zu zahlen, erwies sich als nicht durchführbar. Denn in der folgenden Saison erhöhten die Bauern die Anbauflächen einfach - in der Hoffnung auf noch mehr Entschädigungszahlungen.
Und die Bauern haben einen guten Grund für den Anbau: Ein Kilo Rohopium bringt ihnen etwa 100 US-Dollar. Das ist achtmal mehr, als mit jedem anderen landwirtschaftlichen Produkt zu verdienen ist. "Die müßten schon Gold anpflanzen, um höhere Profite zu erwirtschaften", urteilt der Leiter des UN-Büros gegen Drogen und Kriminalität Amir Khesi dementsprechend. Dabei erhalten die Bauern weniger als ein Prozent des Gesamtprofits aus dem Opiumhandel. Ungefähr 90 Prozent des Profits stecken sich die Händler in Europa und Amerika in die Tasche.
Natürlich bereichern sich auch die lokalen Herrscher und Warlords. Opiumanbau, Heroinproduktion und Drogenschmuggel: Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Diplomaten schätzen, daß sie 2005 weit über fünfeinhalb Milliarden Dollar einstreichen. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa der Summe, die von der internationalen Staatengemeinschaft für den Wiederaufbau Afghanistans veranschlagt wurde - allerdings für fünf Jahre.
Unter den Augen der westlichen Militärs können bewaffnete Konvois mit 20 oder 30 Lkws ungehindert durch das Land Richtung iranische und pakistanische Grenze fahren, "und in jedem Wagen sind 400 Kilo Heroin", wie ein deutscher Fachmann beschreibt. "Drei Kilometer vorneweg ein schweres Motorrad, der Aufklärer, und dann der ganze Troß. Ab und an bleibt ein Wagen mit Drogen minderer Qualität liegen, den die Polizei sicherstellen darf, um Erfolge vorweisen zu können. Natürlich entkommen die Täter." Die Konvois sind bewaffnet mit Granatwerfern und MGs und bemannt mit Profis aus der russischen oder israelischen organisierten Kriminalität.
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld will das Problem auf seine Art lösen. Wie in Kolumbien sollen von den US-Streitkräften ausgebildete Sicherheitskräfte militärisch gegen die Schmuggler vorgehen, während die Felder mit Pflanzenvernichtungsmitteln aus der Luft besprüht werden. Zwar läßt der Erfolg in den südamerikanischen Land nach wie vor auf sich warten, aber möglicherweise soll es bereits im Frühjahr 2006 erste Versuche im Nordosten Afghanistans geben.
"Damit entfachen die Amerikaner vielleicht einen kleinen Krieg und die Bundeswehr steckt dann mitten drin", befürchtet Heiko Faehnel, Beauftragter für die afghanisch-deutsche Entwicklungszusammenarbeit in der Region Kunduz. Doch schon jetzt sind die Soldaten machtlos. Es ist zu gefährlich, sich in den brutalen Drogenkrieg einzumischen. Außerdem wurde den Deutschen der Kampf gegen die Drogen vom Verteidigungsminister ausdrücklich untersagt. Faehnel sieht selber keine Alternative dazu, dem Land insgesamt zu helfen: Schulen, Krankenhäuser, Brunnen, Kanäle etc. zu bauen. Dann könne man argumentieren, der Rest der Welt hilft euch, hört auf den Rest der Welt zu vergiften.
Mit einem kräftigen Zug über das Mundstück, strömt Luft durch die Löcher der Alufolie, reichert sich im Tonkopf mit Opiumrauch an, gelangt durch den Flaschenhals unten in die Plastikflasche, steigt in Form von Dampfblasen durch das Wasser an den oberen Rand der Flasche und von dort über den Schlauch in meine Lunge. Mehr als einen Zug lehne ich sehr zum Gelächter der anderen dankend und hustend ab. Mirwais reicht mir ein Schälchen mit Pistazien. Es klopft, schnell ist Mirwais an der Türe, ein paar Worte werden gewechselt, aus seiner Hosentasche zieht er ein kleines Säckchen, reicht es aus der Tür. "Haschisch" meint mein Begleiter. Die Käufer kämen teilweise aus 20 bis 30 Kilometern Entfernung - bei den hiesigen Straßenverhältnissen fast eine Tagesreise. Was würde passieren, wenn statt Käufern die Polizei vor der Tür steht? "Kein Problem", meint Mirwais und wieder lachen alle im Raum. Denn schließlich wollen auch die Polizisten ihr Gehalt ein wenig aufbessern.
Drogenboß ist zuständig für "Kampf gegen Drogen"
General Mohammad Daud-Daud, Vize-Innenminister in Kabul und offiziell verantwortlich für den Kampf gegen Drogen in Afghanistan, hat bereits mehrfach vor der Gefahr gewarnt, die Drogenmafia könnte das Land übernehmen. Für ihn ist der Drogenanbau "der größte Destabilisierungsfaktor nach dem Terrorismus".
Ausgerechnet Daud-Daud: der einstige Warlord aus dem Norden, noch immer Herr über Hunderte Milizionäre, ein Mann, der sein Land vertritt bei Empfängen, Diners, Strategie-Meetings. Kürzlich, bei der Jahrestagung der amerikanischen Anti-Drogen-Behörde DEA im kanadischen Toronto, war er persönlicher Gast von DEA-Chefin Karen Tandy. Wenn "ich zum Büro des leitenden Anti-Drogen-Mannes der Regierung ins Innenministerium gehe", sagt ein Rauschgiftspezialist aus der Europäischen Union, "dann begegne ich in den Vorzimmern einem Dutzend Gestalten, die zusammen mindestens 1500 Jahre Knast verdient hätten".
In diesem Sommer schlugen DEA-Fahnder in Kabul zu. Special Agents ließen einen von Dauds engsten Vertrauten festnehmen: Oberst Nader, Chef einer geheimen Einheit von Rauschgiftfahndern im Innenministerium, hatte Heroin an zwei Männer verkauft, 1200 Dollar das Kilo, als Anreiz für einen größeren Deal. Die Käufer waren DEA-Informanten. Die Seriennummern der Geldscheine waren registriert, Nader saß in der Falle.
Präsident Karzai hatte Daud-Daud Ende 2004 das Amt des Vize-Innenministers verschafft, obwohl sein Name auf einer Liste mit den Namen der 14 größten Drogenbosse in Afghanistan stand. Zwei Namen aber sind in Abstimmung zwischen Karzai und der US-Regierung von der Liste gestrichen worden: General Daud-Daud und Ahmed Wali Karzai, ein Bruder des Präsidenten. |
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