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Bei der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wurde den Kommunisten ihre organisierte politische Existenz wie selbstverständlich gesichert. Gerade deswegen sei an die schrecklichen Zustände erinnert, die sie vor nunmehr 50 Jahren, genau am 26. Mai 1952, als deutsche Realität zu verantworten hatten. Damals riegelten die kommunistischen Machthaber ihre "Staatsgrenze-West" hermetisch ab und führten gegen den Willen der Menschen die Teilung Deutschlands praktisch herbei.
Vorausgegangen war am 10. März 1952 die Note Stalins, in der die Sowjetunion einen Friedensvertrag für Deutschland vorschlug. Stalin wollte angesichts der Teilung der Welt in zwei Machtblöcke in letzter Minute die sich abzeichnende deutsche Wiederbewaffnung im westlichen Bündnis verhindern. Der Westen bewertete die Note Stalins nach den Erfahrungen mit der kommunistischen Expansionspolitik, der Errichtung totalitärer Diktaturen im sowjetischen Einflußbereich, der Berlinblockade und der Luftbrücke als Störmanöver und der Westen beantwortete diese Note mit der Forderung nach freien Wahlen in ganz Deutschland als Voraussetzung für Verhandlungen über einen Friedensvertrag. So unterzeichneten am 26. Mai 1952 in Bonn die Außenminister der drei Westmächte, Acheson (USA), Eden (Großbritannien) und Schuman (Frankreich), gemeinsam mit Bundeskanzler Adenauer den "Deutschlandvertrag". Dieser löste das Besatzungsstatut ab, verlieh der Bundesrepublik ihre Souveränität und legte ein Bekenntnis zur gleichberechtigten Eingliederung Deutschlands in die europäische Gemeinschaft als Teil der sich entwickelnden atlantischen Gemeinschaft ab. Gleichzeitig bekannten sich die Mächte zu dem Ziel eines "völlig freien und vereinigten Deutschland" auf friedlichem Wege - "mögen auch gegenwärtig außerhalb ihrer Macht liegende Maßnahmen entgegenstehen", wie es in der Präambel des Vertrages hieß. Genau solche Maßnahmen aber hatten Moskau und die kommunistischen Machthaber in der DDR sorgfältig vorbereitet. Während die alliierten Außenminister von Bonn nach Paris eilten, wo am nächsten Tag der Vertrag zur Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) von sechs europäischen Außenministern unterzeichnet werden sollte, begannen die Kommunisten an diesem 26. Mai 1952 mit der unmenschlichen Teilung Deutschlands. Die Aufhebung der Freizügigkeit innerhalb des eigenen Landes, das Zerreißen von Familien, das Morden an Mauer und Stacheldraht und damit die Zerstörung der Lebenschancen von Millionen deutschen Menschen waren die Folgen der zwangsweisen Errichtung des "real existierenden Sozialismus". Der "Ministerrat der DDR" erließ eine Verordnung über "Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands". Sogenannte "weitere Maßnahmen" folgten wenig später mit einer weiteren Verordnung vom 9. Juni 1952.
Die Kommunisten schufen damals ihr "Grenzregime" mit einem 1,20 m hohen Stacheldrahtzaun und den geeggten "Zehn-Meter-Kontrollstreifen", dessen Betreten mit gezielten Schüssen geahndet wurde. Auf diese Grenzbefestigung folgte binnenwärts der fünfhundert Meter breite "Schutzstreifen", der nur von Personen mit Sonderausweisen und nur bei Tageslicht betreten werden durfte. Der gesamte Grenzraum bis zu einer Tiefe von fünf Kilometern wurde zur "Sperrzone" erklärt.
Diese brutalen Maßnahmen wurden in späteren Jahren mehr und mehr verschärft, mit dem Mauerbau am 13. August 1961 erreichten sie einen weiteren traurigen Höhepunkt. Schritt für Schritt wurde die sogenannte "moderne Grenze" perfektioniert. Dem doppelten 1,50-m-Stacheldrahtzaun und ver- minten Zwischenraum aus dem Jahr des Mauerbaus 1961 mit seinen Holzkastenminen, folgte der doppelreihige 2,40 m hohe, mit Plastikminen versehene Metallgitterzaun und diesem der drei bis vier Meter hohe Metallgitterzaun auf 364 Kilometern Länge mit den Selbstschußanlagen SM 70. Deren Abbau wurde später gegen Milliardenkredite für die marode Zentralwirtschaft der DDR "eingetauscht", obwohl diese automatischen Tötungsanlagen aus kommunistischer Sicht mittlerweile "nutzlos" geworden waren, denn das engmaschige Kontrollnetz im Hinterland der Grenze ließ es gar nicht zu, daß potentielle Flüchtlinge bis zur Grenze vordringen konnten.
Die gesamten Sperrmaßnahmen waren von vornherein gegen die Bevölkerung Mitteldeutschlands gerichtet. Sie dienten dem "Aufbau des Sozialismus" und nicht der Verteidigung gegen einen äußeren Feind. "Diversanten, Spionen, Agenten, Terroristen und Schädlingen" gelte es das Handwerk zu legen, war zwar die offizielle Begründung der Kommunisten, aber niemand in der geschockten Bevölkerung beiderseits der Zonengrenze glaubte ihnen das. Bewies doch die gesamte Struktur dieses Grenzregimes eindeutig, daß es sich gegen die Massenflucht der eigenen Bevölkerung richtete. Zunächst allerdings führten die Maßnahmen des 26. Mai 1952 zu einer Massenflucht aus den von ihnen betroffenen Gebieten. Besonders viele der von den Zwangsumsiedlungen betroffenen Menschen flüchteten mit mehr oder weniger oder ganz ohne Gepäck in das nahe Grenzgebiet der Bundesrepublik. Verstärkungen der Volkspolizei wurden eingesetzt, um diese Flüchtlinge aufzuhalten, die ihnen jedoch dank ihrer genauen Ortskenntnisse in den meisten Fällen entkamen und "den Westen" erreichten, wo man von der Massenflucht völlig überrascht wurde, aber sofort Hilfsmaßnahmen für die Flüchtlinge aus den Nachbargemeinden einleitete, die dann in Notaufnahmelager weitergeleitet wurden. Die DDR-Volkspolizei versuchte den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Sie war angewiesen, den Widerstand der Bevölkerung rücksichtslos zu brechen. Erst nach einigen Tagen wurde der Befehl gegeben, auf Flüchtende zu schießen, was auch geschah.
Fest steht, daß die Maßnahmen des 26. Mai 1952 im Zusammenhang mit der damals bevorstehenden zweiten Parteikonferenz der SED standen, die im Juli 1952 den "planmäßigen Aufbau des Sozialismus" beschließen sollte. Die Kommunisten erwarteten, daß diese Beschlüsse eine neue Massenflucht auslösen würden. Der wollten sie einen Riegel vorschieben, und diesem Ziel sollte der vom 26. Mai 1952 an herrschende Ausnahmezustand entlang der Zonengrenze dienen.
Im Zuge dieser Aktion wurden Tausende von Bürgern aus der sogenannten "Sperrzone" zwangsausgewiesen und in das Innere der DDR deportiert, weil sie den Kommunisten als politisch unzuverlässig erschienen. Häuser wurden gesprengt oder abgerissen, um freies Schußfeld zu gewinnen, Brücken gesperrt und systematisch der Stacheldrahtzaun errichtet. Die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten erhielt Sonderausweise, Versammlungen und Veranstaltungen aller Art mußten um 22 Uhr beendet sein, der Aufenthalt auf Straßen und Feldern innerhalb des Fünfhundert-Meter-Streifens und der Verkehr von Transportmitteln sowie die Ausführung von Arbeiten aller Art außerhalb der Wohnungen war nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gestattet. Ausführungen von Arbeiten in unmittelbarer Nähe des Zehnmeter-Kontrollstreifens wurde nur unter Aufsicht der Grenzpolizei erlaubt. Zum Aufsuchen der Arbeitsplätze außerhalb der Ortschaften durften nur die von der Grenzpolizei vorgeschriebenen Wege benutzt werden. Zum Schluß der kommunistischen Anordnung hieß es: "Verstöße gegen diese Verordnung werden mit aller Strenge des Gesetzes bestraft".
Die Abriegelung der "Staatsgrenze West" verhinderte jedoch nicht die Abstimmung mit den Füßen gegen den Sozialismus. Westberlin wurde zum bevorzugten und für viele einzigem Fluchtziel, auch wenn Reisen nach Berlin von der "Staatsmacht" besser kontrolliert werden konnten, als es an der offenen innerdeutschen Grenze der Fall gewesen war. Insgesamt flüchteten von 1949 bis 1961 über 2,7 Millionen Deutsche aus der DDR. Es wird geschätzt, daß mehr als eine weitere halbe Million vor 1949 die sowjetische Besatzungszone verlassen hatten. Selbst nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 konnten die Kommunisten den Strom der Übersiedler und Flüchtlinge nicht zum Stillstand bringen. Weitere 616.066 Menschen verließen bis Ende 1988 die DDR. Und 1989 beendete das historische Zusammenwirken der Flucht Zehntausender und das trotzige "Wir bleiben hier" der Bürgerbewegung in der friedlichen Revolution die aufgezwungene Herrschaft des menschenverachtenden Kommunismus.
Die DDR-Grenzsperranlagen: 1 Grenzverlauf, 2 Hinweisschild bzw. -pfahl, 3 DDR-Grenzsäule, 4 abgeholzter und geräumter Geländestreifen, 5 einreihiger Metallgitterzaun (3,2 m), 6 Durchlaß, 7 Kfz-Sperrgraben mit Betonplatten, 8 Spurensicherungsstreifen (2-6 m), 9 Kolonnenweg mit Fahrspur (Betonplatten), 10 Lichtsperren/Halogenstrahler, 11 Anschlußsäule für Grenzmeldesystem, 12-14 Beobachtungstürme, 15 Beobachtungsbunker, 16 Hundelaufanlage, 17 Sperr- und Signalzaun (bis 3,2 m), 18 Stromverteilungs- und Schalteinrichtung, 19 Hundefreilaufanlage, 20 Durchlaßtor mit zusätzlichen Hindernissen, 21 Beton-Sperrmauer/Sichtblende/Metallplattenzaun, 22 Kontrollpassierpunkt zur Sperrzone. Aus: Dr. Wilhelm Bernert, Dr. Hans-Henning Borchers, Die Mauer.
Zeitzeugen erzählen
Was tatsächlich vor sich ging, vermitteln viel eher als die nüchternen Zeitungsberichte die Erzählungen der Zeitzeugen. Ein damals Vierzehnjähriger erzählt: "Am Donnerstag wurde ich kurz nach der Mittagspause von der Arbeit heimgerufen. Die Eltern erklärten aufgeregt, daß eben ein Vopo und ein Stasi-Mann dagewesen seien, sie hätten der Mutter den Personalausweis abgenommen und gesagt, die ganze Familie werde evakuiert. Morgen früh um sechs Uhr sollten sie sich auf dem Marktplatz einfinden mit 30 Kilo Handgepäck. Sie kämen nach Sondershausen. Vater hatte schon Ähnliches in der Stadt gehört. Der Entschluß stand sofort fest: Wir gehen über die Grenze. Vater steckte mir noch ein paar Papiere in die hintere Hosentasche, ich sollte mit der kleinen Schwester die Ziegen Richtung Rasdorf treiben und sehen, daß wir über die Grenze kämen. Sie selbst kämen später nach: ,Beim Stark treffen wir uns wieder! Wir beide ließen alles liegen und stehen - das Geschirr stand noch ungespült auf dem Küchentisch -, holten die Ziegen aus dem Stall und gingen wie gewöhnlich rechts von der Straße nach Rasdorf hinauf. Dort kamen wir nämlich bald in den Wald. Keiner hielt uns auf. Als wir auf die Höhe kamen, lagen dort eine Menge gefällter Bäume. Wir trieben die Tiere hinüber, prüften, ob kein Posten in der Nähe war, und liefen schnell über die Grenze. Beim Stark erzählten wir, was geschehen war, sahen aber nur in ungläubige Gesichter. Bald kamen noch mehr Geisaer an. Nun wurden auch die Rasdorfer unruhig, die Aufregung wuchs. Wir kamen in den Saal. Endlich erschienen auch die Eltern. Sie hatten nur eine Tasche, Rechen und Sense bei sich, als ob sie Grünfutter holen wollten. Abends und in der Nacht kamen immer neue Flüchtlinge an. Wer nicht bei Bekannten unterkommen konnte, mußte die Nacht im Saal verbringen. Hier war es sehr unruhig. Die Erwachsenen waren alle aufgeregt, riefen laut durcheinander. Spät in der Nacht wollten einige noch einmal hinunter, um Sachen zu holen. Irgendwann schliefen wir doch ein ..."
Aus der Sicht eines Erwachsenen klingt es schon anders. Ludwig Faber schreibt: "Als wir ... den Saal verlassen konnten, sahen wir draußen bereits Lastwagen stehen, die hoch beladen waren mit fertigen Markierungsschildern: "10-Meter-Kontrollstreifen", "500-Meter-Schutzstreifen" und "Fünf-Kilometer-Sperrzone" ... Nun folgten furchtbare Tage der Ungewißheit. Anordnungen folgten auf Anordnungen. Niemand durfte mehr ohne Sondergenehmigung in die 5-km-Sperrzone. Das Pfingstfest am 1. und 2. Juni glich mehr einem Karfreitag. In Scharen kamen dann die Arbeiter der Betriebe und der Kaliwerke, um die Bäume zu fällen, die auf dem zukünftigen "10-m-Kontrollstreifen" standen, ganz gleich, ob es sich um schlagreife oder Jungbäume handelte. Das Ackerland im Bereich dieses 10-m-Streifens wurde von den Traktoren der Maschinenausleihstationen umgeackert, und die Landwirte mußten zusehen, wie Roggen, Weizen, Hafer, Gerste und Kartoffeln, die sie so notwendig für die Erfüllung ihres Solls brauchten, unter den Schollen verschwanden ... Am 5. Juni, dem Bonifatiustag, an den die meisten von uns in der Aufregung nicht einmal gedacht hatten, also 10 Tage nach dem 26. Mai, erschienen SSD-Leute (Staatssicherheitsdienst) und verlangten unseren Personalausweis. Sie gaben uns dafür ein Ersatzpapier und erklärten uns: "Wir müssen Sie hier an der Grenze vor den Amerikanern schützen. Deshalb werden Sie umgesiedelt. Sie können alles mitnehmen, auch Ihr Vieh. Beginnen Sie mit dem Einpacken. Morgen früh um sechs Uhr werden Sie mit Ihrer Habe von LKW s abgeholt." Es war für uns unfaßbar, daß wir mitten im Frieden, an den wir schon wieder geglaubt hatten, die Heimat verlassen sollten. Deshalb lief ich schnell zum Rathaus, um vielleicht das Unheil noch abwenden zu können. Aber das Blut stockt mir noch heute in den Adern, wenn ich an die Unterredung mit einem maßgeblichen Herrn denke. Wir sollten ruhig mitgehen, es würde uns schon nichts geschehen ... Das Erlebnis im Rathaus gab mir die Gewißheit, daß uns nur noch die Flucht retten konnte ... Daheim wurde dann alles für die Flucht vorbereitet. ... Mit alten Kleidern angetan, um nicht verdächtig zu erscheinen, auf dem Handwagen einen Sack mit etwas Unterwäsche für die Kleinen, so begann unsere Flucht aus der Heimat. Als wir mühsam den Hang erklettert hatten, kamen wir an die frischgefällten Bäume. Die Kinder waren von der Hetzjagd atemlos und vor Aufregung nicht mehr fähig, das letzte Hindernis zu überwinden. So mußte ich die Kinder und Handwagen einzeln darübertragen, um dann den letzten Sprung über den neuen Kontrollstreifen zu tun. Mit ängstlichen Blicken nach rechts und links liefen wir nun, als gelte es, das Leben zu retten. So erreichten wir die Rasdorfer Flur, wo die Leute nichtsahnend friedlich auf dem Felde arbeiteten, während nicht weit von ihnen sich Tragödien abspielten. n
Aus: Klaus Hartwig Stoll, "Das war die Grenze: Erlebte Geschichte an der Zonengrenze". Verlag Parzeller, Fulda, 1998, ISBN 3 7900 0281 |
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