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Die Ereignisse faßte die "Königsberger Hartungsche Zeitung" vom 10. November zusammen: "Beim stellvertretenden Generalkommando trat gestern abend der Volksbeirat zusammen, den die Königsberger Behörden zur Mithilfe bei der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung hinzugezogen haben. Er besteht
aus sechs Vertretern der beiden sozialdemokratischen Parteien und aus fünf Vertretern der fortschrittlich en und der nationalliberalen Partei. Durch Wahlen der Unteroffiziere und Mannschaften der Königsberger Besatzung werden dem Volksbeirat heute fünf Vertrauensmänner der Soldaten beigegeben werden.
Die Sozialdemokraten unterbreiteten der Militärbehörde vier Forderungen der Soldatenschaft, die angenommen wurden:
1. In den Volksbeirat werden fünf Soldatenvertreter hinzugewählt. Jede Kompanie wählt ihren Vertrauensmann, diese Vertrauensmänner wählen ihren fünfgliedrigen Ausschuß.
2. Die Soldaten haben das Recht, an öffentlichen Versammlungen teilzunehmen.
3. Verhaftete Soldaten, die wegen militärischer Gehorsamsvergehen bestraft waren, werden freigelassen.
4. Die Grußpflicht außerhalb des Dienstes fällt fort.
Als der vor dem Generalkommando angesammelten Abordnung der Soldaten bekanntgegeben wurde, daß diese vier Punkte bewilligt seien, zerstreute sich der Auflauf, und es trat völlig unbehinderter, geordneter Verkehr ein, der übrigens auch in der Zwischenzeit nicht unterbrochen war." Soweit die "Königsberger Hartungsche Zeitung".
Man könnte fast meinen, es sei eigentlich gar nichts passiert. Die "Hamburger Nachrichten" werden da schon deutlicher: "In der verflossenen Nacht (vom 9. zum 10. November) ging hier (in Königsberg) die Vollzugsgewalt in die Hände des provisorischen Soldatenrates über. Das stellvertretende Generalkommando, das Gouvernement und die übrigen militärischen Kommandostellen wurden besetzt, ebenso das Polizeipräsidium, der Bahnhof und das Haupttelegraphenamt. Der stellvertretende kommandierende General und der Gouverneur sind zurückgetreten, desgleichen Oberbürgermeister Koerte. Die bürgerliche Verwaltung und die Polizeibehörde setzten ihre Tätigkeit fort. Nachmittags erfolgt die Wahl des endgültigen Soldatenrates, auf den die vollziehende Gewalt übergehen wird.
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Noch in der Nacht zum 10. November hatte also die Königsberger SPD-Spitze mit dem Chef des Stabes des I. Armeekorps, Oberstleutnant Hahn, weitere Maßnahmen zur Eindämmung einer Revolution nach Sowjetvorbild vereinbart. Hahn wurde noch in der gleichen Nacht zum Stadtkommandanten von Königsberg ernannt und übernahm damit den Oberbefehl über die in Königsberg stationierten Truppen.
Nun begann eine über mehrere Wochen andauernde Episode in der der Arbeiter- und Soldatenrat und später, seit Januar 1919, die berüchtigte Volksmarinedivision, von der noch zu erzählen sein wird, die Macht übernahm. Insgesamt sollen sich in Königsberg damals etwa 40 000 geflohene Soldaten zusammengefunden haben. Es waren nicht nur Angehörige ostdeutscher Garnisonen, sondern auch viele Deserteure aus dem Baltikum, die nun ein erhebliches Unruhepotential innerhalb der Stadt darstellten.
Mit Oberst Hahn wurde am folgenden Tag, am 10. Januar um 4 Uhr morgens, vereinbart, daß alle Truppenteile sofort einen Soldatenrat wählen sollten, was am kommenden Vormittag um 10 Uhr geschah. Dieser Soldatenrat, auch Siebener-Ausschuß genannt, ließ sich im Königsberger Schloß zum Teil häuslich nieder und zwar in den Schloßräumen, die nach vorn zum Münzplatz hinausgingen. An seiner Spitze stand ein Mann namens Schöpper, Leiter des vormaligen "Odeon-Musikhauses", der im Laufe der kommenden Wochen zum besonderen Skandal für die Königsberger Bevölkerung wurde und der vor allem deshalb in Erinnerung blieb, weil seiner Frau, die auch ins Schloß einzog, das Bett der Kaiserin im Schloß zu hart war, und die es daher hinauswarf und durch eine Patent-Sprungfedermatratze ersetzte. Dieser Siebener-Ausschuß sollte nun praktisch die neue Regierung von Königsberg bilden.
Der währenddessen ebenfalls am 10. November in Berlin gegründete "Rat der Volksbeauftragten" unter Friedrich Ebert, der die neue Reichsrgierung bildete, zeigte sich daran interessiert, daß das tägliche Leben erst einmal möglichst ungestört weiterlief. "Alle Behörden in Stadt und Land" wurden angewiesen, ihre Dienstgeschäfte weiterzuführen. Ostdeutschlands Oberpräsident, Adolf v. Batocki, entschloß sich, bis auf weiteres, seine Stelle nicht zu verlassen. Er forderte am 10. November, im selben Sinne wie Ebert, auch alle Staatsbediensteten auf, im Interesse des Vaterlandes auf ihrem Posten zu bleiben. Die örtlichen Arbeiter- und Soldatenräte sollten sich in Verwaltungssachen nicht einmischen. Amtsenthebungen von Staatsbeamten durch die örtlichen Räte wurden von Berlin verboten.
Die Wirklichkeit sah freilich, besonders in den ersten Revolutionstagen, oft anders aus. Da beherrschten Willkür, Machtexzesse und unbeglichene private und politische Rechnungen aus der Vergangenheit das Bild.
Bereits in den ersten Tagen scheint es zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen dem Soldatenrat Königsberg und dem Generalkommando gekommen zu sein. Der Königsberger Soldatenrat beschwerte sich am 3. Dezember beim Berliner Vollzugsrat des Berliner Arbeiter- und Soldatenrates darüber, daß das Generalkommando gefordert habe, nicht vom Arbeiter- und Soldatenrat kontrolliert zu werden. Aus Berlin kam daraufhin sofort die telegraphische Bestätigung, daß das Generalkommando keineswegs mit dem Arbeiter- und Soldatenrat gleichberechtigt sei, sondern der Arbeiter- und Soldatenrat "Kontrollinstantz" auch für das Generalkommando sei.
Oberpräsident Batocki sah sich jedoch zunächst mit der akuten Gefahr eines Vorstoßes der sowjetrussischen Roten Armee ausgesetzt, die, nachdem sie Estland erobert hatte, sich nun auf die ostdeutsche Grenze zubewegte.
Die gerade erst seit Oktober 1917 bestehende russische Sowjetrepublik unter Lenin und Trotzki sah im noch kaiserlichen Deutschen Reich die Schlüsselstellung für die Verwirklichung ihrer Träume von der Weltrevolution. Deutschland sollte als "entwickeltstes und technisch fortschittlichstes Land" Europas ebenfalls einen Umsturz im Sinne der russischen Bolschewiki organisieren, um sodann als Sowjet-Deutschland neben Rußland die Mitführung der Weltrevolution zu übernehmen. Bei einer Revolutionierung Deutschlands gedachte man einer deutschen Räteregierung "brüderliche Hilfe" zu leisten.
Hier sollte das strategisch für die Sowjets besonders wichtige Ostdeutschland eine besondere Rolle spielen. Heimliche Missionen wurden bereits früh von Rußland dorthin geschickt, um eine "revolutionäre Situation" vorzubereiten. Die Unabhängigen (USPD) machten sich bei ihrer Politik aber auch durchaus berechtigte Stimmungen zunutze. So hielt sich insbesondere unter einigen Landarbeitern der Unmut über die Besitzverhältnisse des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens. Der spätere preußische Landwirtschaftsminister, der Sozialdemokrat Otto Braun, erhielt einen Brief von "20 Feldgrauen" offenbar Landarbeitern oder Dorfhandwerkern aus Ostdeutschland , in dem es hieß: "Aber wenn wir nicht einmal Kartoffelacker bekommen sollen, dann werden wir auch zu Bolschewisten." Sie kannten noch nicht das erbärmliche Schicksal, das die russischen Kleinbauern in den kommenden Jahren und Jahrzehnten millionenfach hinwegraffen sollte. Die Weltrevolution stand ihnen sicherlich fern. Das war bei der linken Mehrheit der USPD-Parteifunktionäre, die inzwischen in Königsberg mitregierten, ganz anders.
Berliner Genossen von der USPD und später auch von der KPD wurden dazu ermuntert, Ostdeutschland bei ihrer Agitation und der militärischen Vorbereitung auf die Weltrevolution besonders zu berücksichtigen. So soll sich auch Karl Radek, der extra zur Gründung der KPD in Berlin am 30. Dezember 1918 illegal nach Deutschland eingereist war (er war der wichtigste Ratgeber Lenins in deutschen Angelegenheiten), angeblich zwischenzeitlich mehrfach zu diesem Zwecke illegal in Ostdeutschland aufgehalten haben.
Es wurde die Tätigkeit von politischen Agitatoren aus Sowjetrußland in Ostdeutschland festgestellt. Diese agitierten aber auch für die in Berlin ansässige "Proletarische Auswanderer-Organisation nach Sowjet-Rußland".
Zu jener Zeit befand sich August Winnig, Batockis späterer Nachfolger als Oberpräsident Ostdeutschlands, als Beauftragter und Kommissar der Reichsregierung für das Baltikum in Riga. Während des Ersten Weltkrieges gehörte Winnig zu derjenigen Gruppierung innerhalb der SPD, die sich strikt gegen jede Bestrebung innerhalb der deutschen Linken wandte, die den Widerstandswillen der Arbeiterschaft durch Defätismus zu brechen versuchte. Winnig reorganisierte die Baltische Landwehr zur "Eisernen Division" unter dem Kommando von General v. d. Goltz. Unter dem neuen Befehlshaber der 8. Armee, General Ludwig v. Estorff, gelang es, die Rote Armee von der ostdeutschen Grenze nach Norden zurückzudrängen.
Doch die Gefahr war noch nicht gebannt. Die Sowjets, das war klar geworden, hielten sich nicht an geschlossene Verträge. Die im Friedensvertrag von Brest-Litowsk getroffene Vereinbarung, nach dem deutsche Stellungen nicht angegriffen werden sollten, war bei der ersten günstigen Gelegenheit für die Sowjets gebrochen worden. War denn zu erwarten, daß sich die Bolschewisten dann an die von ihnen gegebene Zusage halten würden, die deutsche Grenze und das hätte ja zunächst einmal geheißen die Grenze nach Ostdeutschland nicht anzugreifen? Sowohl bei der Armee als auch bei der Reichsregierung hatte man da so seine Zweifel. Sicherlich zu Recht, denn das Hauptziel der bolschewistischen Regierung war ja die Weltrevolution.
Schon hatten sich auch bei den deutschen Truppen im Baltikum Auflösungserscheinungen breitgemacht. Die deutschen Truppen im Baltikum wurden, als die ersten Nachrichten von der Revolution in Deutschland eintrafen, unruhig. Viele Truppenangehörige wollten sofort nach Haus. Manche Verbände lösten sich selbst auf, andere erzwangen ihre Abbeförderung ins Reich. Ungeheure Mengen an Heeresgut wurden veruntreut, an die Zivilbevölkerung verkauft oder der Roten Armee überlassen. Widerstand wurde den vorrückenden Sowjets praktisch nicht mehr entgegengesetzt. An einigen Abschnitten hatten deutsche Soldaten bereits mit Sowjettruppen fraternisiert. Die ostdeutschen Grenzen waren nun ernstlich in Gefahr.
Mit der Spitze der Sowjetarmee standen auch die ostdeutschen Arbeiter- und Soldatenräte vor allem in Königsberg zwecks baldmöglichster Verbrüderung in ständigem Kontakt. Das veranlaßte auch die gemäßigten Sozialdemokraten, etwas zu unternehmen.
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