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Rund 80 Milliarden Euro beträgt der Jahresetat der Europäischen Union. Davon macht alleine die Hälfte der Agrarsektor aus. Zwar wird weltweit die landwirtschaftliche Produktion durch Finanzhilfen unterstützt, doch sind nach Angaben der Welthandelsorganisation WTO die Hilfen in der EU - abgesehen vom Sonderfall Japan - die höchsten und damit die schwerwiegendsten Verstöße gegen den Freihandel. Brüssel fördert die Landwirtschaft mit Subventionen, die mit 49 Prozent fast die Hälfte des Gesamtwertes der Agrarproduktion in den Grenzen der Union ausmachen. Da die Finanzhilfen bei den westlichen OECD-Mitgliedern mit vergleichsweise bescheidenen 40 Prozent und bei den Vereinigten Staaten von Amerika mit gar "nur" 20 Prozent ungleich niedriger ausfallen, kann davon ausgegangen werden, daß sowohl bei der WTO als auch bei der OECD noch viel über die Agrarsubventionen gestritten wird.
Doch nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Grenzen der EU stoßen deren maßlose Agrarsubventionen zunehmend auf Kritik. So will nach Schweden und Dänemark nun endlich auch das stark industrialisierte Deutschland eine Renationalisierung der Agrarhilfen durchsetzen, wenn man denn Bundesverbraucherministerin Renate Kü- nast beim Wort nehmen darf und ihre entsprechenden Äußerungen nicht nur für den bundesdeutschen Wähler bestimmt sind, der in der Regel als Angehöriger des Industrie- oder des Dienstleistungssektors eben nicht Empfänger von EU-Agrarsubventionen ist, sondern nur als Steuerzahler über die EU-Mitgliedsbeiträge seines Staates und als Verbraucher über die hohen Importzölle auf landwirtschaftliche Produkte aus dem EU-Ausland für sie aufkommen muß. Nicht umsonst ist es nicht zuletzt die Landwirtschaftspolitik der EU, die die Bundesrepublik Deutschland zum Hauptzahlmeister der Union macht. Der "Figaro" formuliert es wie folgt: "Deutschland will nicht weiter für Frankreich zahlen."
Angesichts dessen rechnet Paris bereits ab nächstem Juni mit einer Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU. Daß westlich des Rheins der Wunsch nach Veränderung geringer ist, ist verständlich. Die französischen Bauernverbände bestehen auf einer strengen Anwendung des Berliner Abkommens, das die gegenwärtige EU-Agrarregelung bis zum Jahre 2006 festgelegt hat, und die französischen Unterhändler bei der EU preisen die gemeinsame EU-Agrarpolitik als einen Erfolg der europäischen Integration und des Aufbaus eines vereinten Europas mit der Begründung, daß die EU-Mitglieder durch die gemeinsame Subventionierung der Landwirtschaft "zugunsten des gemeinsamen Wohls" auf die nationale Souveränität verzichtet hätten.
Ebenso wie für Frankreichs Bauernverbände und seine Unterhändler bei der EU zeigen sich auch seine Präsidentschaftskandidaten Jacques Chirac und Lionel Jospin an einer Debatte über eine Reform der EU-Agrarpolitik wenig interessiert. Das Thema scheint ihnen einfach zu brisant im aktuellen Wahlkampf um das Spitzenamt der Französischen Republik. Doch auch nach der Präsidentenwahl darf von der französischen Politik wenig Reform- freudigkeit in diesem Punkte erwartet werden, denn das Weiterbestehen der gemeinsamen Agrarpolitik der Gemeinschaft scheint für die französischen Politiker eine Prestigefrage, sozusagen eine Errungenschaft der Fünften Republik zu sein.
Wenn auch der Geldfluß ohne Gegenleistung von Deutschland nach Frankreich über eine gemeinsame EU-Agrarpolitik im objektiven Interesse Frankreichs liegt, so läßt sich selbiges hinsichtlich des vornehmlichen Eintretens der französischen Politiker für die Interessen der Landwirtschaft inzwischen nicht mehr behaupten, denn das Land ist kein Agrarstaat mehr. So exportiert das kleine Dänemark mehr Schweine als die Grande Nation. Im Jahre 1999 beispielsweise exportierten die insgesamt rund 21 Millionen Dänen und Niederländer in der Union landwirtschaftliche Produkte in einem Werte von über 45 Milliarden US-Dollar, während der Gesamtwert der von der Französischen Republik mit ihren immerhin um die 60 Millionen Einwohnern ausgeführten Agrarerzeugnisse nicht einmal die Höhe von 35 Milliarden Dollar erreichte.
Auch hinsichtlich der Beschäftigtenzahlen spielt der Agrarsektor in Frankreich nicht mehr die primäre Rolle. So beträgt der Anteil der in der Landwirtschaft einschließlich Forstwirtschaft und Fischerei beschäftigten Arbeitnehmer nur noch 4,3 Prozent der Beschäftigten. Alleine in den letzten zwölf Jahren ist der Anteil der im Primärsektor Tätigen um 35 Prozent gesunken. Ein Grund für diese Entwicklung ist in der EU-Agrarpolitik sowie der "Crédit Agricole" und den anderen genossenschaftlichen Banken zu sehen, die dazu geführt haben, daß allein die größeren Agrarbetriebe rentabel bleiben. Im Jahre 2000 beispielsweise war in Frankreich die Fläche eines Agrarbetriebes um durchschnittlich 14 Hektar größer als noch zwölf Jahre zuvor.
Insofern scheint das Thema Landwirtschaft in der Französischen Republik eher ein politisches als ein ökonomisches zu sein. Die französischen Großagrarier sind halt stets ein treuer Sukkurs der Europapolitik der Fünften Republik gewesen.
Gesamtvolkswirtschaftlich betrachtet irrationales Handeln und die unverhältnismäßige Vertretung der Interessen vergleichsweise kleiner Minderheiten durch die politische Klasse ist allerdings leider keine französische Spezialität, sondern dürfte dem bundesdeutschen Beobachter auch von anderen Demokratien her hinlänglich bekannt sein. P. C. / M. |
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