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Am 23. August 1999 jährt sich zum sechzigsten Mal der Abschluß des Pakts der beiden Diktatoren in Berlin und Moskau im Jahr 1939, der das To öffnete für die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und des deutsch-sowjetischen Kriege ab 1941.
Die Motive beider Seiten zu diesem Pakt sind heute deutlich: Hitler suchte die sowjetisch e Rückendeckung für seinen Angriff auf Polen und zugleich dessen Begrenzun ohne ein Eingreifen Englands und Frankreichs. Stalin wollte zunächst einmal Zeitgewin zur Aufrüstung der Roten Armee, deren Führung er zwei Jahre zuvor brutal dezimier hatte. Das geheime Zusatzprotokoll des Paktes ermöglichte ihm auch beachtliche Raumgewinn nach Westen durch die Annexion Ostpolens und der baltischen Staaten.
Der Mann im Kreml kalkulierte jedoch überlegener als sein Gegenspieler in Berlin. E war überzeugt, daß sich der Angriff Hitlers auf Polen nicht lokalisieren lassen werde daß vielmehr durch den Kriegseintritt der beiden Westmächte jener "zweit imperialistische Krieg" entstehen würde, auf den er schon seit zwanzig Jahre gehofft hatte und der seine potentiellen Gegner dann derart schwächen sollte, daß die Partie schließlich durch das Eingreifen der Sowjetunion im Sinne eines neuen Schubs fü die Weltrevolution entschieden werde.
Beide Diktatoren schlossen diesen Pakt aus der Perspektive ihrer jeweilige weitgreifenden politisch-ideologischen Ziele: Hitler mit der Perspektive seine "eigentlichen Krieges" zur Gewinnung deutschen "Lebensraums im Osten" , wie er schon in "Mein Kampf" angekündigt hatte. Stalin verstand ihn als Vorbereitung des nächsten Stadiums des "revolutionären Weltprozesses", de 1923 zum vorläufigen Stillstand gekommen sei und dem ein zweiter Weltkrieg de "imperialistischen" Mächte den Weg bereiten sollte.
Mit Recht konnte Stalin am Abend des 23. August, wie Chruschtschow in seinen Memoire berichtet, im engen Kreis sagen: "Ich habe Hitler überlistet." Sein Meisterleistung bestand darin, Hitler als "Eisbrecher" (Viktor Suworow) de Status quo von 1919 die Eröffnung des Krieges zuzuschieben und der Sowjetunion die scho von Lenin entworfene Rolle des "lachenden Dritten" zuzuweisen.
Die im Pakt des 23. August anvisierten Gewinne hat Stalin in der Folgezeit rasc eingeheimst. Schon am 17. September marschierte die Sowjetunion in Vollzug de Geheimprotokolls in Ostpolen ein. Am 30. November griff sie das alleinstehende Finnlan an. Im Sommer 1940, als die Masse der deutschen Armeen in Frankreich gebunden war annektierte die Sowjetunion die drei baltischen Staaten, und, vom Abkommen nicht gedeckt auch Bessarabien und die nördliche Bukowina von Rumänien. Das brachte sie näher an die rumänischen Ölfelder heran.
Zwischen September 1939 und August 1940 hatte die Sowjetunion also alle ihre sech westlichen Nachbarstaaten, mit denen durchweg Nichtangriffsverträge bestanden hatten angegriffen. Wenn auch ohne formelle Kriegserklärungen war sie damit faktisch bereits in den Zweiten Weltkrieg eingetreten.
Wenn die sowjetamtliche Geschichtsschreibung von dieser Zeit als de "Vorkriegsperiode" (vor dem 22. Juni 1941) sprach, diente dies de propagandistischen Verhüllung der tatsächlich aggressiven Politik Moskaus und ihrem Bil vom deutschen "Überfall" auf die friedliebende und nichtsahnende Sowjetunion Bis heute wird dieses Bild nicht zuletzt von deutschen Historikern kolportiert.
Dieser Mythos bröckelt freilich seit einiger Zeit. Deutsche Autoren wie Erns Topitsch, Ernst Nolte, Joachim Hoffmann, Walter Post und der in den siebziger Jahren in den Westen gegangene sowjetische Militärhistoriker Wladimir Resun, der unter de Pseudonym Viktor Suworow schrieb, haben jene Sicht während des vergangenen Jahrzehnt erschüttert.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben dann auch russische Historiker an de Demontage der stalinistischen Legende von der friedliebenden Sowjetunion gearbeitet. De deutsche Rußlandexperte Wolfgang Strauß dokumentierte dies jüngst in seinem Buc "Unternehmen Barbarossa und der russische Historikerstreit". Wichtig war dabe die Rede Stalins im Politbüro am 19. August 1939, wo der rote Diktator den bevorstehende Paktabschluß mit Hitler begründete. Diese Rede war lange auch von deutschen Historiker als "antikommunistische Fälschung" abqualifiziert worden. Nachdem sie bereit im November 1939 von der amtlichen französischen Nachrichtenagentur "Havas" veröffentlicht worden war, beteuerte kein Geringerer als Stalin selbst in einem Schreibe an "Havas" ihre Unechtheit. Nun haben Historiker der Universität Nowosibirs den Redetext im Geheimfundus des Sonderarchivs der Sowjetunion gefunden, und die Historikerin T. S. Buschujewa hat ihn in der Moskauer Literaturzeitung "Now Mir" veröffentlicht.
Kurz darauf erschienen "Materialien des Geschichtswisenschaftlichen Seminars" der Universität Nowosibirsk mit dem Titel "1. September 1939 9. Mai 1945. Au Anlaß des 50. Jahrestages der Vernichtung des faschistischen Deutschland im Kontext de Beginns des Zweiten Weltkrieges".
In einem der Beiträge befaßte sich der Historiker W. L. Doroschenko mit de Stalinrede vom 19. August. Er nennt den Redetext "eines der grundlegenden Dokument zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges", das beweise, daß Stalin den Pakt mit Hitle in der Absicht geschlossen habe, "den Krieg zu entfachen, einmal mit dem allgemeine Ziel der Machteroberung in Europa, zum anderen mit einem unmittelbaren Gewinn, der sic aus der Vernichtung Polens und der Eroberung Galiziens ergab ... De Nichtangriffspakt machte die Hände Hitlers frei, provozierte Deutschland zu Kriegsauslösung. Als Stalin den Pakt schloß, stand für ihn fest, das Abkommen zu brechen, beabsichtigte er doch von Anfang an, zu einem für ihn vorteilhaften Zeitpunkt in den Krieg direkt einzugreifen!"
Hitler hatte sich mit dem Pakt des 23. Augusts 1939 und durch den nur für ih unerwarteten englisch-französischen Kriegseintritt am 3. September bereits in die Roll des von Moskau jederzeit Erpreßbaren begeben. Das wurde besonders deutlich in de Gesprächen mit dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow im November 1940 in Berlin. Es ging hier nicht nur um die Frage der weiteren für den Krieg Hitlers wichtige sowjetischen Rohstofflieferungen, besonders Öl und Getreide.
Da England noch immer militärisch aufrecht stand, enthüllte sich nun da Damoklesschwert des Zweifrontenkrieges für Deutschland. Unter dem Eindruck der Gespräch mit Molotow und in der hochmütigen Hoffnung, auch die Sowjetunion in wenigen Monaten mi den Methoden des Blitzkrieges niederwerfen zu können, traten nun die Angriffsvorbereitungen Hitlers gegen die Sowjetunion in ihr konkretes Stadium.
Aber auch die sowjetischen Kriegsvorbereitungen hatten bereits am 1. September 1939 mi der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht begonnen. Am 26. Juni 1940 erließ da Präsidium des Obersten Sowjets die Verordnung "Über den Übergang zu achtstündigen Arbeitstag und zur siebentätigen Arbeitswoche" sowie das Verbot de eigenmächtigen Verlassens der Betriebe und Büros. 1941 erreichte der Anteil de Militärausgaben am sowjetischen Staatsbudget dreiundvierzig Prozent. Am 7. Mai übernah Stalin selbst den Vorsitz im Rat der Volkskommissare, also das Amt des Regierungschefs Die auf den Krieg vorbereitende sowjetische Propaganda gegen Deutschland hatte schon 194 begonnen und wurde im Frühjahr 1941 erheblich gesteigert, unter anderem auch mi deutschlandkritischen Filmen wie "Professor Mamlock" (nach Friedrich Wolf, de Vater von Markus Wolf) oder "Familie Oppenheim" (nach Lion Feuchtwanger).
Im Zusammenhang mit diesen Kriegsvorbereitungen ist auch die Rede Stalins vor de Absolventen der sowjetischen Militärakademie am 5. Mai 1941 zu sehen, in der der Diktato offen die deutsche Wehrmacht als potentiellen Feind nannte. Als 1989 das Buch Vikto Suworos, "Der Eisbrecher. Hitler in Stalins Kalkül", erschien, waren Historike und veröffentlichte Meinung besonders in Deutschland vielfach bemüht, die Darlegunge des Autors über den offensiven Aufmarsch der Sowjetarmee gegen Deutschland im Frühjah 1941 unter Verschluß zu halten.
Obwohl Suworow sich fast ausschließlich auf die sowjetischen militärischen Dokument und die Memoiren der sowjetischen Spitzenmilitärs im Zweiten Weltkrieg stützte, wurde die Schlußfolgerungen des Autors angezweifelt, daß nämlich der Angriff Hitlers in ei bereits weit fortgeschrittenes Stadium des sowjetischen Offensivaufmarsches un nicht etwa sowjetischer Defensivmaßnahmen hineinstieß, woraus sich nicht zuletz die deutschen Erfolge des Sommers 1941 erklärten. Noch immer herrsche die eigentümlich Palmströmlogik vor, "daß nicht sein kann, was nicht sein darf".
Da nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch die russischen Militärarchive zunehmen offener werden, haben russische Militärhistoriker die sowjetischen Pläne des Frühjahr 1941 ausgewertet und teilweise veröffentlicht, welche die früheren Ergebnisse Suworow und anderer westlicher Autoren voll bestätigen. Der Historiker und Oberst a. D Valij Danilow hat die Pläne des sowjetischen Generalstabs aufgefunden und publiziert, die seit dem März 1941 entwickelt und am 15. Mai von Stalin gebilligt wurden. Nachdem noc die Moskauer "Militärhistorische Zeitschrift" 1996 versucht hatte, die sowjetischen Angriffsvorbereitungen gegen Deutschland 1941 zu leugnen, kam die "Unabhängige Militärrundschau" in ihrem Februarheft 1998 zu entgegengesetzte Ergebnissen.
Danilow zitiert auch aus den Notizen, die der Teilnehmer an einer Absolventenfeie über die Stalinrede am 5. Mai angefertigt hatte mit der "Prognose Stalins, daß wi den Kampf mit Deutschland beginnen ... einen gewaltigen Krieg mit dem Faschismus gegen den gefährlichsten militärischen Nachbarn, im Namen der Revolutionierung Europa und natürlich auch Asiens".
Danilow ordnete sodann die militärstrategischen Pläne, die in den Generalstabspläne mehrfach als "Überraschungsschlag" und "Präventivschlag" bezeichne wurden, in die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen der sowjetischen Führung ein "Es ging also nicht nur um die Abwehr einer ausländischen Aggression, sondern um die Verwirklichung weitgesteckter kommunistischer Ziele einschließlich de Weltrevolution."
Deshalb habe man sich für einen "Krieg mit dem Faschismus" entschieden un dabei die Verteidigung völlig vernachlässigt. Stalin "wollte einfach nicht glauben daß Hitler die Initiative ergreifen und ihm zuvorkommen könnte. Dabei hatte Stalin in der Tat die Ratio für sich, nicht zu erwarten, daß Hitler selbst sich in den für ih tödlichen Zweifrontenkrieg stürzen könne". Danilows Fazit lautet: "Di Außenpolitik der Sowjetunion der Vorkriegszeit (also vor dem 22. Juni 1941) bestand nich darin, den Frieden mit allen nur denkbaren Mitteln zu bewahren. Im Gegenteil. Dokument und praktische Maßnahmen der Sowjetregierung wie auch des Verteidigungsministerium sprachen davon, daß die sowjetische Außenpolitik auf Angriff ausgerichtet war."
Ein weiterer Autor des Sammelbandes der Universität Nowosibirsk, der Historike Michail Nikitin, kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie Danilow mit den Hinweisen au die gigantischen Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion in der ersten Hälfte des Jahre 1941, als Panzer und Flugzeuge des modernsten Typs produziert wurden. Im Zeitraum zwische 1939 und Juni 1941 seien der Roten Armee weiter zweiundneunzigtausend Geschütze un Granatwerfer, siebentausendvierhundert Panzer und siebzehntausendsiebenhunder Kampfflugzeuge zugeführt worden.
"Aus den Dokumenten geht eindeutig hervor, daß die sowjetische Führung in Frühjahr 1941 Deutschland als den Hauptfeind betrachtete. (...) Ein Kompromiß kam nich mehr in Betracht, beide Seiten bereiteten sich darauf vor, ihre Ziele mit militärische Mitteln zu erreichen. (...) Das Hauptziel bestand in der territorialen Ausdehnung de ,sozialistischen Welt Richtung Westen, im Idealfall die Eroberung ganz Europas (... Die Zersplitterung der Wehrmacht an vielen Fronten im Westen erschien Moskau als einmalig Chance, ,in einem Überraschungsschlag Deutschland zu vernichten."
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