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Vor 25 Jahren traten ihre rund 17.000 Beschäftigten in den Streik für wirtschaftliche und politische Ziele Die Idee, eiserne Schiffe nebst zugehörigen Antriebsmaschinen nicht zu importieren, sondern in Preußen herzustellen, stammte von dem unternehmungsfreudigen Elbinger Kaufmann George Grunau. In dem jungen Maschinenbauer Ferdinand Schichau fand der mutige Geldgeber einen kongenialen Partner; beide wollten der Vorherrschaft der Briten, die bisher alleine in der Lage waren, Dampfschiffe aus Eisen zu bauen, ein Ende bereiten.
Ferdinand Schichau, 1814 in der alten preußischen Ordensstadt Elbing geboren, hatte sich mit 23 Jahren in seiner Vaterstadt selbständig gemacht. Er war nach Absolvierung des Berliner Königlichen Gewerbeinstituts nach England gereist, wo er seine technischen Kenntnisse im damals führenden Land des Maschinenbaus vervollkommnete. In den Elbinger Nachrichten vom 4. Oktober 1837 annoncierte er sein Fertigungsprogramm: Dampfmaschinen, hydraulische Pressen, Wasserräder sowie Anlagen für Sägemühlen und Zuckerfabriken gehörten unter anderem zu seinem Produktionsangebot.
Die preußische Regierung förderte strebsame Gewerbetreibende durch Zuwendung von Geldmitteln zum Ankauf neuer Maschinen. Ferdinand Schichau investierte alle seine Einnahmen in den Betrieb, der 17 Jahre nach der Gründung bereits 100 Arbeiter beschäftigte und mit Gießerei, Schmiede wie Maschinenhalle von der handwerklichen Fertigung langsam zum Industrieunternehmen aufstieg. Nach Ankauf des Aschhofgrabens bestand eine direkte Verbindung zum Elbingfluß, damit konnte Schichau seine ehrgeizigen Pläne zum Bau von Schiffen endlich verwirklichen. Inzwischen existierte auch in Deutschland die erste Schiffbauschule, denn die Herstellung größerer eiserner Dampfschiffe war ohne gründliche theoretische Vorkenntnisse nicht mehr möglich.
In einer kleinen Werft von zirka 4.500 Quadratmetern Fläche begann Ferdinand Schichau vor 150 Jahren mit dem Eisenschiffbau. Das erste Schiff hatte eine Länge von 40 Metern und einen Tiefgang bei voller Ladung von 2,5 Metern. Aus halbzölligen eisernen Platten hergestellt, erbrachte die ebenfalls von Schichau gefertigte Dampfmaschine eine Leistung von 60 Pferdestärken. Anerkennung fanden die gefälligen Formen des Schiffes, das man auf den Namen "Borussia" taufte. Die Bauleitung hatte der Schiffbaumeister G. Fechter, übrigens ein Vorfahre des bekannten Schriftstellers Paul Fechter, der in seinen Lebenserinnerungen "Zwischen Haff und Weichsel" (1954 bei Bertelsmann) den Werftbetrieb eingehend beschreibt. Nach den Probefahrten auf dem Elbingfluß brach die "Borussia" am 28. Oktober 1855 zu ihrer ersten Handelsfahrt mit einer Ladung von Kupfer und Borsten von Königsberg über Pillau nach London auf. Nach 160 Stunden Fahrzeit kam das Schiff am 4. November in London an. Die "Borussia" ging später in den Besitz einer Königsberger Reederei über, für die sie noch bis 1874 einwandfrei ihren Dienst versah.
Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 begann der Aufbau der Kaiserlichen Marine. Als ihr Oberbefehlshaber ernannte Kaiser Wilhelm I. Albrecht v. Stosch zum Chef der Admiralität. Generalleutnant v. Stosch erklärte vor dem Reichstag: "Ohne deutschen Schiffbau ist keine deutsche Marine möglich." Das war ein Signal für Schichau, in den Kriegsschiffbau einzusteigen. So lieferte die Schichau-Werft bis zum Ende des Ersten Weltkrieges unter anderem sechs Kreuzer und acht Linienschiffe an die Kaiserliche Flotte ab.
Doch nicht nur mit seinen Rüstungsaufträgen unterstützte das Reich die Werft. So bestimmte eines seiner Gesetze, daß alle von ihm subventionierten Schifffahrtslinien, das heißt alle Reichspostlinien, nur auf deutschen Werften erbaute Dampfer einsetzen durften. Sehr bald trafen dann auch Großaufträge des Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika-Linie in Danzig ein.
Inzwischen hatte der studierte Maschinenbauer Carl Ziese die Leitung der Elbinger Betriebe übernommen. Er war nicht nur ein ausgezeichneter Kaufmann und Organisator, er hatte auch die jüngste Tochter Schichaus geheiratet. Ziese gab seinem Schwiegervater den Rat, eine weitere Werft im Danziger Hafengebiet zu errichten, da die geringe Wassertiefe des Elbingflusses an seiner flachsten Stelle nur den Bau kleiner Schiffe zuließ. So entstand auf einem Sumpf- und Brachland an der Toten Weichsel, sozusagen aus dem Nichts, keine drei Kilometer von der Weichselmündung entfernt, ein moderner Industriebetrieb, der es gestattete, größte Kriegs- und Handelsschiffe herzustellen. 1914, im Jahre des Beginns des Ersten Weltkrieges, wurde der große Hammerkran errichtet, der es erlaubte, schwerste Maschinenanlagen in Schiffe einzusetzen. Mit 60 Metern Höhe und 250 Tonnen Hubkraft beherrschte er das Hafenbild und wurde zum industriellen Wahrzeichen Danzigs.
Nach dem Ersten Weltkrieg waren die wirtschaftlichen Folgen des Versailler Diktats für die ostdeutsche Industrie von verheerender Wirkung. Schichau mußte nicht nur 72 Schiffe ausliefern, sondern auch wertvolle Turbinen, Dieselmotoren, Kessel, Werkzeugmaschinen und vieles andere vernichten. Schwer traf die Werft der Ausfall an Marineaufträgen. Internationale Militärkommissionen schnüffelten überall herum und kontrollierten jede Tätigkeit. Überaus nachteilig wirkte sich auch der künstliche Korridor aus, lebenswichtige Verkehrs- und Wirtschaftsverbindungen wurden durch die fatale Grenzziehung im Osten zerschnitten.
Ab 1925 geriet die Firma finanziell in Schwierigkeiten. Das Auftragsvolumen verringerte sich, immer mehr Arbeiter und Angestellte mußten entlassen werden. Preußen und das Reich stellten Staatskredite zur Verfügung, denn für die Freie Stadt Danzig und das abgetrennte Ostdeutschland hätte die Schließung des größten Industrieunternehmens des Ostens unübersehbare wirtschaftliche und politische Folgen gehabt, dem Deutschtum wäre schwerster Schaden entstanden. Der Reichstag genehmigte daher folgendes Gesetz: "Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Sanierung und Fortführung der F. Schichauwerke in Elbing und Danzig auf dem Wege der Gründung einer Kapitalgesellschaft zu betreiben, die dazu nötigen Verträge abzuschließen und zu diesem Zweck einen einmaligen Barbetrag von elf Millionen Reichsmark und, falls erforderlich, einen laufenden Zuschuß aufzuwenden ..." Die Erben erhielten eine einmalige Abfindung. Von dem Gesellschaftskapital der neuen Firma "F. Schichau G.m.b.H." entfielen auf das Reich nicht ganz zwei Drittel, auf Preußen etwa ein Drittel und auf Danzig der Rest.
Als Geschäftsführer wurde Direktor Hermann Noé bestellt, er hatte in Karlsruhe Maschinenbau studiert, vor seiner Berufung nach Elbing war er technisches Vorstandsmitglied einer großen Textilmaschinenfabrik in Chemnitz. Dank Noés Zielstrebigkeit konnte das Auslandsgeschäft wieder in Schwung gebracht werden. Zu den großen Kunden zählten die Russen, die deutsche Wertarbeit von jeher zu schätzten wußten. Gestützt auf den alten Schichaugeist weitete man die Produktpalette aus, lieferte Brücken jeder Größe, Schöpfwerkanlagen sowie Apparate für ortsfeste Kraftwerke und Dampfwalzen.
Nach 1933 häuften sich die Aufträge für Schiffsneubauten: Motorfrachtschiffe, Eimerbagger, Flußschiffe, Tanker, der Eisbrecher "Ostdeutschland" und der Hochseeschlepper "Danzig" konnten unter anderem abgeliefert werden. Neue Arbeitskräfte mußten eingestellt werden, ein gewaltiger Schaffensdrang beflügelte die Menschen - da brach nach 21 Friedensjahren der Zweite Weltkrieg aus.
Nach der Eingliederung Danzigs in das Deutsche Reich wurden die Werften sofort in das Flottenbauprogramm der Seekriegsleitung einbezogen. Die Schichau-Werft sollte pro Jahr 18 U-Boote bauen, tatsächlich lieferte man 1941 nur neun U-Boote ab. Der Grund lag in der nicht zu überwindenden Rohstoffknappheit, denn nur fünf Prozent der gesamten Stahlproduktion erhielt das Marinebauprogramm zugeteilt. Noch im Januar 1945 gelang es, sechs U-Boote in Dienst zu stellen, dann wurde alles, was noch einigermaßen schwimmfähig war, beladen mit Flüchtlingen, nach Westen in Marsch gesetzt. In den Konstruktionsbüros hatte man die wichtigsten Unterlagen verbrannt, bevor die ersten Rotarmisten am Morgen des 27. März 1945 die Werft besetzten.
Danzig war von den Russen erobert worden, sie betrachteten alles als ihre Beute. Nur widerwillig übergaben sie nach drei Monaten den verbündeten Polen die Werftanlagen. Zwar hatten die Russen das meiste bewegliche Gut weggeschleppt, doch trotz Bomben- und Artillerieschäden blieben Kaimauern, Hafenbecken, Gleisanlagen und Werkstättengebäude weiterhin verwendbar. Die Schichau-Werft wurde mit der ehemaligen Kaiserlichen Werft zur "Stocznia Gdanska" vereinigt, dort begann zwei Jahre später der Bau von Fischfahrzeugen. 1967 änderte man den Namen in "Lenin-Werft" um. In der Gesamtplanung des Ostblocks spielte der polnische Schiffbau eine wichtige Rolle, der größte Teil der gefertigten Einheiten mußte an die Sowjetunion abgeliefert werden.
Polens labile politische Lage führte in den Hafenstädten Danzig und Stettin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Die Lenin-Werft, ein Zentrum der Arbeiteraufstände, hatte infolge des Warschauer Schießbefehls zahlreiche Tote zu beklagen. Als 1980 die wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Unruhen und Streiks einem neuen Höhepunkt zustrebten, sah sich die Regierung gezwungen, die erste freie Gewerkschaft "Solidarnosc" zuzulassen. Damit läutete man das Ende der kommunistischen Herrschaft ein. Lech Walesa, Werftelektriker und Führer der "Solidarnosc", konnte den Niedergang der Stocznia Gdanska nicht verhindern. Heute werkeln noch rund 2.500 Beschäftigte auf dem teils stillgelegten Gelände, wo hauptsächlich Containerschiffe gefertigt werden. Die Warschauer Postkommunisten zeigen wenig Interesse an der Danziger Werft, die als Symbol der "Solidarnosc"-Bewegung gilt. R. Ruhnau
Streik auf der Schichau-/Lenin-Werft: Am 14. August 1980 begannen die Arbeiter mit dem Ausstand, der dann zur Gründung der unabhängigen Gewerkschaft "Solidarnosc" führte. Foto: Corbis
"Borussia": Nach vorausgegangenen Probefahrten auf dem Elbingfluß brach das erste in Preußen gebaute Eisenschiff am 28. Oktober 1855 zu seiner ersten Handelsfahrt auf. |
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