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Unterdrückte oder Unterdrücker?

 
     
 
von Prof. Dr. Küssner

Daß die Hamas erfolgreich sein würde, war risikolos vorauszusagen. Daß sie aber eine komfortable absolute Mehrheit erreichen würde, dürfte kaum jemand zu prophezeien gewagt haben? Kein Wunder, daß auch in den Wahlanalysen wichtige Aspekte ausgeblendet blieben.

Die Hamas hält nun 76 der 132 Parlamentssitze, die bisher regierende Fatah nur noch 43. Bei 1,3 Millionen Wahlberechtigten und einer Wahlbeteiligung von 77 Prozent heißt das, daß praktisch nur die rund 100000 „Beschäftigten“ der Fatah-dominierten Autonomie-Behörde
samt Familienangehörigen die Fatah wählten. Niemand hatte mit einer solchen Niederlage gerechnet, und vielleicht auch deshalb war es zu keiner ernsthaften Wahlbehinderung oder gar zu Wahlbetrug gekommen. Demokratische Wahlen also. Doch für „democracy“ reicht das noch lange nicht – wenn bestimmten Leuten das Ergebnis nicht paßt! Wie war das damals mit Österreich? Natürlich waren die „Sanktionen“ Kindereien im Vergleich zum Schick-sal der Palästinenser, doch das Prinzip ist dasselbe.

Das Wählerverhalten bedeutet keineswegs, daß die Palästinenser jetzt mehrheitlich Fundamentalisten sind, sondern daß der Kontrast zwischen den zwei Hauptkontrahenten allzu augenfällig war. Die 1959 von Jassir Arafat als Befreiungsbewegung gegründete Fatah – seit 1968 auch bestimmende Kraft in der 1964 gegründeten Dachorganisation PLO – hat sich nämlich nach Errichtung der Palästinensischen Autonomie-Behörde 1993 gewandelt: Die Bewegung wurde zur Partei, und die „alten Kämpfer“ wurden zu Bonzen. Vetternwirtschaft und Korruption an sich sind im Orient zwar „normal“ – sie sind die Kehrseite eines Familien- und Stammesbewußtseins, wie es im Abendland derart ausgeprägt nie existierte. Doch manches geht eben zu weit.

Ob die Hamas solche Fehler vermeiden kann, bleibt abzuwarten. Für die Wähler jedenfalls war sie eine glaubhafte Alternative. Denn sie sehen in ihr primär eine religiös-karitative Organisation. Hervorgegangen ist die Hamas aus der nur lose organisierten Muslim-Bruderschaft. In ihren Anfängen in den 1980er Jahren wurde sie zumindest indirekt auch von Israel unterstützt, um damit Arafat und der „weltlichen“ PLO zu schaden. Kämpfend trat die Hamas erst seit der Intifada in Erscheinung. Und was die berüchtigten Selbstmord-attentate betrifft, so sieht man da keinen Unterschied zum Helden- oder Märtyrertod, wie er auch andernorts erlaubt ist.

Unterbelichtet bleibt leider, wieviel das Ausland zum Hamas-Sieg beigetragen hat. Man muß sich nur wieder in die Wähler hineinversetzen: Indem Israel und die USA jedwedes Gespräch mit den „Terroristen“ vorweg ablehnten – wie sie das einst auch mit der PLO taten – gaben sie eine klare Wahlempfehlung gegen die „willfährige“ Fatah und für die Hamas.

Uns sollte aber auch klar werden, wieviel wir zum weltweiten Vormarsch der Islamisten beitragen. Denn wir liefern deren Predigern jede Menge an Argumenten und „Anschauungsmaterial“: In-dem wir uns außenpolitisch für fremde Ziele einspannen lassen! Indem wir durch kultische „Vergangenheitsbewältigung“ heutigem Unrecht Vorschub leisten! Indem wir in islamischen Ländern korrupte Regierungen stützen! Indem wir im eigenen Land jeder Perversität Tür und Tor öffnen! Indem wir jede Schmähung unserer Religion zulassen! Indem wir Zeugungs- und Gebärverweigerung betreiben! Und indem wir zu feige sind, uns gegen Unterwanderung zu wehren! Wir alle haben der Hamas zum Sieg verholfen.

 

von Maria Klausner

Vor einigen Jahren schrieb der israelische Politiker und heutige Likud-Chef Benjamin Netanjahu ein Buch mit dem Titel: „Ein Platz an der Sonne“. Das einzige überlebende Gründungsmitglied der Hamas, Machmud Al Zahar, schrieb daraufhin ein Gegenbuch: „Nirgends unter der Sonne“. Wer die Ziele der Hamas kennenlernen will, sollte dieses Buch lesen. Natürlich reicht es auch, die Charta der Hamas zu lesen. Sie ist leicht und in mehreren Sprachen im Internet zu finden. Nach dieser Lektüre stellen sich dann manche Fragen. Eine lautet: Ist die Hamas, die durch freie, demokratische Wahlen völlig legal an die Macht gekommen ist, auch demokratiefähig? Würde sie den nahöstlichen Platz unter der Sonne mit Israel teilen und sich damit einen Platz in der Demokratie sichern?

Das Beispiel Hamas zeigt zunächst, wie schon vor 15 Jahren das Beispiel Algerien, daß demokratische Verfahren in islamischen Ländern den Radikalen zur Macht verhelfen können, auch wenn die Strukturen und Ziele der Radikalen nicht immer demokratisch sind. Ein Maßstab ist die Rolle der Frauen im Herrschaftsgebiet der Hamas. Wenn Demokratie von der Gleichheit des Rechts für alle, also auch für die Frauen, ausgeht, dann ist die Hamas nicht demokratisch. Den Frauen der palästinensischen Bourgeoisie und vor allem den christlichen Frauen in Jerusalem lief ein Schauer über den Rücken, als sie die Freudendemonstrationen sahen – eine für die Männer und eine weitere für die Frauen, verhüllt von Kopf bis Fuß.

Die Frauenfrage wirft auch die Frage nach der Demokratiefähigkeit islamischer Gesellschaften auf, Demokratie jedenfalls verstanden als Raum der Menschenrechte gemäß der Charta der Vereinten Nationen und nicht nur als mechanistische Methode der Mehrheitsfindung. Die Frauenfrage ist der Hebel, der Dosenöffner, um islamische, nach der Scharia lebende Gesellschaften einer Aufklärung und den universalen Menschenrechten näher zu bringen. Aber man kann Islamisten nicht zu einem Wandel im Denken zwingen. Schon Ernest Renan sprach in diesem Zusammenhang vom eisernen Ring um das Denken der Muslime. Aber man kann manche Grundsätze doch infrage stellen. Die Hamas, die ja nun in Palästina völlig legal durch freie demokratische Wahlen an die Macht gekommen ist, begrenzt die Rolle der Frau auf ihre Gebär- und Erziehungsfunktion im Befreiungskrieg. So steht es jedenfalls in der immer noch gültigen Charta. Wäre die Emanzipation der Frau nicht ein Hebel, um diesen eisernen Ring zum Wohl der Frau im Islam zu sprengen?

Ähnlich verhält es sich mit der Justiz und damit mit der Gewaltenteilung. Die Angst vor der Hamas ist weit verbreitet. Es ist fraglich, ob die Richter in der palästinensischen Autonomie frei von Druck – auch von psychologischem Druck – Recht sprechen können. Das setzt den Primat des Rechts voraus. Aber welchen Rechts? Wenn es das Recht der Scharia ist, dann hat es mit den demokratischen Rechten wenig gemein. Ein anderes Recht aber akzeptiert die Hamas heute nicht. Die Scharia ist ihr Lebensgesetz. Sie will sie überall einführen. Auch davon müßte sie Abschied nehmen, wenn sie halbwegs demokratisch sein will.

Das vorige Jahrhundert war voll von politischen Religionen. Das Wort Demokratie gibt es in den arabischen Sprachen nicht. Abwandlungen fanden erst im vergangenen Jahrhundert Eingang in das Vokabular, am Verhalten und den sozialen Strukturen hat sich wenig geändert. Die Schwierigkeit des Dialogs besteht heute auch darin, daß der Islam eine politische Religion ist mit faschistoiden Zügen und daß die Frauenfrage in ihr ungeklärt ist.

Es wäre ein Wunder, wenn die Hamas, der palästinensische Zweig der Muslimbrüder, jener geistigen Brüder der Al Kaida, auch nur einen Handbreit von den Vorschriften des Koran und der Sprüche des Propheten abwiche. Allerdings ist gerade das Heilige Land ein Land voller Wunder, auch politisch. David Ben Gurion, der legendäre erste Staatschef Israels, meinte einmal: „Nur wer an Wunder glaubt, ist ein Realist.“ Dieser Realismus der dritten Art ist jetzt wieder gefragt im Vorderen Orient, aber nicht in blinder leutseliger Erwartung, so wie es den Europäern jahrelang zu eigen war, als sie Arafat vertrauten. Auch damals ging es oft darum, den PLO-Chef davon zu überzeugen, der PLO-Charta abzuschwören. Er tat es in Europa und widerrief im Nahen Osten. Auch die Hamas hat in ihrer Charta, ein Leitfaden ihrer Politik und ihres Handelns, die Vernichtung Israels als Ziel vorgegeben. Nun muß sie als Regierung mit Israel irgendwie zurechtkommen, sie kann sich nicht mehr hinter der Fatah verstecken, die vor allem wegen ihrer auch für orientalische Maßstäbe märchenhaften Korruptheit – schon unter Arafat – abgewählt worden ist. Es geht heute um den Realismus, den die Bundeskanzlerin schlicht einfordert im eigentlich selbstverständlichen Gewaltverzicht und der Anerkennung Israels. Das sind die Minima. Wer mehr Demokratie sehen will, der sollte auch nach dem Primat des Rechts und den Rechten für die Frauen fragen. Aber dafür sitzt der Schock des Wahlsiegs wohl noch zu tief.

Der Wahlschock traf auch die Hamas selbst. Ihr Schweigen in den ersten Tagen war beredt. Die Hamas, eine Terrororganisation mit sozialem Antlitz, in Israel wegen des Bombenterrors verrufen, bei vielen Palästinensern dagegen wegen ihrer Sozialarbeit geachtet, muß nun in der Regierungsverantwortung zeigen, wie ernst ihr die Worte von der Vernichtung Israels und dem Brot für die Armen sind. Beides wird nicht gehen. In der ersten Botschaft appellierte sie an die Welt, die finanzielle Hilfe nicht zu unterbinden. Aber das reicht nicht. Auch in Israel wird gewählt und zwar in knapp zwei Monaten. Die Wahl der Palästinenser hat schon ihre Auswirkungen. Sicherheit zuerst, signalisieren die meisten israelischen Politiker. Sie werden den Bau der Mauer weitertreiben und abwarten. Vor der Wahl in Israel ist mit israelischen Aktionen nicht zu rechnen, es sei denn mit Vergeltungsaktionen nach Terroranschlägen. Die Wahrscheinlichkeit für solche Anschläge ist gestiegen. Aber nicht von Seiten der Hamas, sondern von seiten der Al Aqsa-Brigaden, der elitären Kampftruppe der Fatah. Denn Terror würde die Hamas diskreditieren und, so das Kalkül der Verlierer, baldige Neuwahlen erzwingen. Es reicht aber, daß die Hamas dieses Treiben durchschaut, und schon werden sich die Spannungen auch intern entladen. Deshalb sind, so traurig das klingt, bürgerkriegsähnliche Zustände in den palästinensischen Autonomiegebieten nach Lage der Dinge heute am wahrscheinlichsten.

Demokratie bedeutet gleiches Recht für alle – auch für Frauen!
 
     
     
 
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