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Vergewaltigung des Rechts

 
     
 
Stefan von Raumer ist ein findiger Advokat. Ohne juristische Tricks hätte er nie und nimmer in so vielen Fällen die Eigentumsrechte von Restitutionsgeschädigten wiederherstellen können.

Als er nach Hamburg zog, hat ihm ein Freund gesagt, er würde nie einen Prozeß in einem „45/49er Fall“ gewinnen. Man wettete damals um einen Kasten „Schampus“. Warum nicht Sekt? hat Raumer gefragt. Er würde sowieso niemals gewinnen, erhielt er als Antwort. „Inzwischen schuldet mir mein Freund 36 Champagner-Kästen“, strahlt Raumer.

Der Restitutionsexperte nahm vergangene Woche an einer Konferenz des Göttinger Kreis
es (GK) im Berliner Marriott-Hotel am Potsdamer Platz teil. Diese Initiative hat sich die Revidierung des Enteignungsunrechts durch die Sowjets in deren Besatzungszone von 1945 bis 1949 auf die Fahnen geschrieben. Neben von Raumer nahmen der frühere UN-Beamte Alfred de Zayas und der Historiker Ulrich Kluge teil.

Beatrix von Oldenburg eröffnete als Vertreterin der GK die Veranstaltung mit einer gepfefferten Attacke auf die Dreistigkeit der Regierenden in Deutschland, die sich „nicht zu schade“ seien, „in einem geraubten Schloß (Genshagen, Anm. d. Verf.) zu tagen und hohe Politik zu zelebrieren“

Laut Geschichtsprofessor Ulrich Kluge haben die Sowjets und ihre deutschen Handlanger nur politische Ziele mit den Enteignungen verfolgt, keine wirtschaftlichen oder sozialen. Die Folgen seien denn auch nicht höhere Erträge gewesen. Mittelfristig habe die DDR-Landwirtschaft dramatisch an Substanz verloren. Dorfstrukturen seien zerstört, Leistungsträger zur Flucht in den Westen veranlaßt worden, so Kluge.

Für den US-Amerikaner Alfred de Zayas, eigentlich Experte für Vertreibungsverbrechen, ist die Bodenreform „eine Vergewaltigung des Rechts“. Er geißelt deren Fortdauer nach 1990: „Von einem Rechtsstaat erwartet man Rehabilitierung. Für mich als ausländischen Beobachter ist es nicht nachvollziehbar, wie die Bundesrepublik so viel Unrecht beibehalten konnte.“

De Zayas war Sekretär des Menschenrechtausschusses und Chef der Beschwerdeabteilung im Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. Er arbeitete also für eine der letzten Instanzen all derjenigen, die im eigenen Land kein Recht erhalten. Ihnen eröffnen sich mehrere Optionen: Klage beim Europäischen Gerichtshof, „Sammelklagen“ vor US-Gerichten oder eben der Gang zu Uno-Institutionen.

Optimistisch gab sich der inzwischen in den Ruhestand getretene de Zayas hinsichtlich der Chancen einer Beschwerde von Enteigneten auf internationaler Ebene. „Die Willkür deutscher Gerichte, diese neue Diskriminierung, wird die Beschwerde bei der UN möglich machen.“

Jedoch: Selbst wenn der UN-Menschenrechtsausschuß ein Land rüge, so könne es dies ignorieren – siehe Tschechien, das trotz Unvereinbarkeit der Benesch-Dekrete mit dem Völkerrecht in die EU aufgenommen worden sei. „Deutschland hat dem Völkerrecht einen Bärendienst erwiesen“, so de Zayas, indem es die Aufnahme Prags bedingungslos gefördert habe, statt auf dem Recht zu beharren. Sein Fazit zu den 45/49er Enteignungen fällt kaum weniger erdrückend aus: „Es ist ein Skandal, daß der Bundestag die eklatanten Ungerechtigkeiten nicht gleich rückgängig gemacht hat.“

Stefan von Raumer berichtete den mehr als 200 Zuhörern von seinen 36 Siegen vor Gericht (darunter zwei für seine Mandanten sehr vorteilhafte Vergleiche, wie er betonte). Er habe sich bei seinem Vorgehen vor allem auf bereits erfolgte Rehabilitierungen gestützt: Manchmal hätten die Russen einen Deutschen zunächst bloß formal rehabilitiert, manchmal sei dies auch durch deutsche Verwaltungsgerichte geschehen. Sei diese Voraussetzung erst erfüllt, dann erhalte ein sogenannter Junker (Adliger) oder Großagrarier (bürgerlicher Herkunft) seinen Boden zurück. „Was ich mache, das sind Winkelzüge“, räumt er offen ein.

Vor allem der in der Schweiz wohnende US-Amerikaner de Zayas war auch im Anschluß an die Podiumsdiskussion noch immer umringt von Interessierten. Die positive Stimmung unter den Referenten teilten indes nicht alle Zuhörer. Der Grund ihrer Skepsis: Letztlich sind in nur ganz wenigen Ausnahmefällen Enteignete tatsächlich noch entschädigt worden. Und auch in Zukunft werden Gerichte wohl nur in Einzelfällen für die Opfer und gegen den jetzigen Besitzer der Grundstücke entscheiden, so die Befürchtung einiger Betroffener, die ins Mariott gekommen waren. Dieser Besitzer sei zumeist der deutsche Staat selbst, der sich Haus und Hof 1990 raffgierig unter den Nagel gerissen habe. Nachdem ein Zuhörer in der anschließenden Diskussion trotz aller tristen Erfahrungen darauf bestand, daß „der deutsche Rechtstaat unabhängig ist und sich nicht reinreden läßt“, war der Saal von schallendem Gelächter erfüllt. Die da lachten, hätten das Vertrauensbekenntnis zum deutschen Rechtsstaat vor einigen Jahren vermutlich noch ohne Wenn und Aber unterschrieben. Es ist etwas kaputtgegangen in der Republik.
 
     
     
 
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