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Die Ostpreußin Gräfin Dönhoff war eine erfolgreiche und europaweit anerkannte Journalistin mit guten Kontakten zu einflußreichen Kreisen in den USA. Als politische Kommentatorin, langjährige Chefredakteurin und Herausgeberin der Hamburger linksliberalen Wochenzeitung Die Zeit hat sie sowohl das Profil dieses Presseorgans geprägt als auch über ihre Zeitung dazu beigetragen, daß linksliberale Positionen über Jahrzehnte die Meinungsführerschaft bei den gesellschaftlich relevanten Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland behaupten konnten.
Zu ihrem Freundeskreis zählten bekannte Politiker, Schriftsteller, Künstler und Unternehmer, die entweder unpolitisch oder dem linken beziehungsweise linksliberalen Lager zuzurechnen sind. Besonders eng war sie den ehemaligen Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt sowie dem früheren Bundespräsidenten Richard v. Weizsäcker verbunden. Nicht von ungefähr nannte man die Dönhoff "Rote Gräfin".
Marion Dönhoff war bis zu ihrem Tode eine Person mit immensem Einfluß. Für Die Zeit fungierte sie bis zum letzten Atemzug als Mitherausgeberin. Ebenfalls bis zu ihrem Tode war sie im Stiftungsrat der "Deutschen Stiftung Friedensforschung" tätig; Bundesministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hatte sie wie auch Egon Bahr berufen. Noch in den letzten Jahren wurden der Hochbetagten einige Ehrendoktorhüte zuerkannt, und die Hansestadt Hamburg verlieh ihr 1999 die Ehrenbürgerwürde.
Zahlreiche ehrende Nachrufe sind anläßlich des Ablebens der Gräfin Dönhoff für sie verfaßt worden. Wir wollen das verdienstvolle Wirken der Ostpreußin nicht schmälern, haben aber allen Grund, Anmerkungen zu dem über sie veröffentlichten Persönlichkeitsbild vorzunehmen.
Nicht selten ist sie schon zu Lebzeiten als NS-Gegnerin und Mitverschwörerin der Widerstandskämpfer des 20. Juli bezeichnet worden. Tatsache ist, daß Marion Dönhoff im Dritten Reich kein einziges Mal durch besondere Distanz zu den NS-Machthabern aufgefallen ist. Man wird nicht zur Widerstandskämpferin, wenn man zufällig mit dem einen oder anderen Akteur des Widerstandes verwandtschaftlich verbunden oder auch nur bekannt war. Um der Ehre der preußischen Widerstandskämpfer willen muß dies festgehalten werden.
Die Verstorbene ist in Nachrufen - so auch vom Bundeskanzler - als moralische Autorität gewürdigt worden. Was ist eine moralische Autorität?
Welche Kriterien muß eine Person erfüllen oder nach welchen Maßstäben muß sich das persönliche Handen ausrichten, um als moralische Autorität gelten zu können? Zumindest für die Vergangenheit war dies klar: Das christliche Sittengesetz, Rechtsstaatlichkeit, Humanität und das Gemeinwohl sind Fixpunkte für moralisches Handeln.
Gräfin Dönhoff stellte bereits 1977 in einem Leitartikel in der Zeit erstaunliche Veränderungen des moralischen Klimas fest: "Ohne daß wir es recht bemerkt haben, sind Grenzen verwischt, Kate- gorien vertauscht worden, Grauzonen sind entstanden." Unbegreiflich sei ihr dies, und man müsse nach den Ursachen des Verfalls fragen. Ihre Antwort: Die Nazis, das Fernsehen und unser aller rasche Anpassung an die veränderten moralischen "Maßstäbe".
Die "Rote Gräfin" hätte es schon damals besser wissen müssen. Wo bitteschön, las man denn im Oktober 1968 das ergebene Eingeständnis einer Redaktion: "Wir, die wir wohl zugeben müssen, daß gegen Gewalt letztlich nur Gewalt hilft?" Wo antwortete in einem Lehrstück auf die Frage des Revolutionärs: "Glaubst du, daß innerhalb der spätkapitalistischen Systeme wirkliche Demokratie möglich ist?", der gemäßigte Skeptiker: "Nein"?
Wo wurde denn noch im Juni 1972 die These vertreten (die später die Baader-Meinhof-Anwälte zur Verteidigerlinie machten), daß die Bombenangriffe in Vietnam und die Bombenanschläge hierzulande "ursächlich zusammenhingen"? Wo war denn das Forum, in dem Drogen zum harmlosen Gesellschaftsspiel deklariert und Gewalttäter zu Reformern verharmlos werden konnten? Wo wurden denn führende Repräsentanten der Verfas- sungsorgane in den späten sechziger Jahren verächtlich gemacht? Es war in der Zeit, und zwar in jenen Jahren, als Marion Dönhoff laut Impressum die Verantwortung für das Blatt trug.
Bei den Osterunruhen 1968 durfte der Redakteur Krippendorf in der Zeit schreiben, daß "Gewalt in Form von Sachbeschädigung um des demokratischen Zwecks willen" richtig sei. Die Wochenzeitung Die Zeit war immer dabei, wenn die Apo-Szene idealisiert und die alte Moral heruntergeputzt wurde. Dönhoffs Nachfolger in der Chefredaktion und besonderer Vertrauter, Theo Sommer, hat unter der Herausgeberin Dönhoff an dieser Linie festgehalten.
Die heimatverbliebenen und heimatvertriebenen ostdeutschen Schicksalsgefährten waren für Gräfin Dönhoff kaum existent. Den Kontakt zur Freundeskreis Ostdeutschland hat sie stets gemieden. Die Umstände ihrer eigenen Flucht liegen im Dunkeln. Schon früh in den fünfziger und sechziger Jahren hat sie für Verständigung mit Polen geworben auf der Grundlage von Gewaltverzicht und Wiedergutmachung, aber keinem Territorialverzicht. Schon damals hinderte sie ihre Distanz zu den Vertriebenenverbänden zu registrieren, daß der Gewaltverzicht bereits 1950 in der Charta der Heimatvertriebenen vor der Weltöffentlichkeit feierlich geschworen worden war.
Mit der neuen Ostpolitik des Kanzlers Brandt 1970 änderte sich die Haltung der Dönhoff zu den Ostprovinzen Deutschlands: Fortan redete sie der Abtretung das Wort. Fast folgerichtig erhielt sie 1971 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Willy Brandt zur Gräfin: "Sie und Die Zeit haben das Volk auf unsere Ostpolitik vorbereitet."
Die Ostpreußin konnte in den früheren Jahren verbal gut austeilen. Zitat über Ludwig Erhard aus dem Jahr 1948: "Wenn Deutschland nicht ruiniert wäre, dieser Mann mit seinem absurden Plan, alle Bewirtschaftungen aufzuheben, würde es gewiß fertig bringen. Gott schütze uns davor! Das wäre nach Hitler und der Zerstückelung Deutschlands die dritte Katastrophe."
Die Beispiele sind zahlreich im Leben der Gräfin Dönhoff, bei denen sie die Realität nicht zur Kenntnis nahm, aber im Sinne des Zeitgeistes die "veröffentlichte Meinung" mitgestaltete. So hat sie nie den entscheidenden Faktor im deutsch-polnischen Normalisierungsprozeß be- nannt, geschweige denn gewürdigt. Es ist die Friedens- und Aufbauarbeit der vertriebenen Ostdeutschland, Pommern und Schlesier in den Heimatprovinzen. Zu Hunderttausenden sind sie seit 30 Jahren nach Hause gefahren und haben humanitär geholfen und aufgebaut, Freunde gewonnen und Polen nach Deutschland eingeladen.
Nein, Geschichtsklitterungen waren eher ihr Metier. In dem 1993 erschienenen Manifest "Weil das Land sich ändern muß", verfaßt unter anderem von Gräfin Dönhoff und dem heutigen Bundestagspräsidenten Thierse, werden Bismarck, Kaiser Wilhelm II. und Hitler in einem Atemzug genannt, deren Fehler beziehungsweise Verbrechen man nicht wiederholen solle. Anhänger dieser unhaltbaren These wie Golo Mann kamen dazu gelegentlich in der Zeit zu Wort. Fürst Ferdinand v. Bismarck hat in der "Geistigen Welt" vom 19. Juni 1993 die Geschichtsklitterung auf diesem Sektor widerlegt.
In einem Artikel in ihrer Zeitung Die Zeit vom 30. April 1993 bezeichnete sie Kopernikus als große intellektuelle Persönlichkeit Polens, der auch nach eigener Einschätzung Pole gewesen sei. Der Verfasser dieses Berichtes hat ihr damals im entgegengehalten, daß Kopernikus zwei- felsfrei deutsche Eltern gehabt habe und er nie die polnische Sprache beherrscht habe, weil in seinem Elternhaus deutsch gespro- chen wurde.
Es ist nun einmal so, daß die Muttersprache in aller Regel die nationale Identität bestimmt. Man denke an die Sprachtests der Rußlanddeutschen zur Feststellung ihrer deutschen Herkunft.
Die Gräfin schrieb einige Bücher über ihre Kindheit und das Leben in Ostdeutschland, das Geschlecht der Dönhoffs, über ostdeutsche Persönlichkeiten und zur Thematik Preußen. Die sehr persönlich gehaltenen Veröffentlichungen beschreiben die Sichtweise einer Aristokratin, insbesondere zur Lebensweise und dem Wirken des Adels in Ostdeutschland. Die Bücher haben Anklang gefunden, obwohl sie mit der kühlen Distanz einer Intellektuellen geschrieben wurden.
Marion Gräfin Dönhoff starb am 11. März auf Schloß Crottorf im Siegerland. Der polnische Präsident Kwasniewski bezeichnete sie in einer persönlichen Traueranzeige in der "FAZ" als große Freundin Polens. Das ihr verliehene Kreuz des Großen Verdienstordens der Republik Polen konnte sie nicht mehr entgegennehmen.
Ostpreußin mit linksliberalem Profil: Als Chefredakteurin und Herausgeberin der Wochenzeitung "Die Zeit" hat Marion Gräfin Dönhoff jahrzehntelang die veröffentlichte Meinung in Deutschland geprägt. |
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