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Politik und Wirtschaft waren sich einig wie selten: Zehntausende ausländischer Experten sollten ins Land geholt werden, um der – trotz Massenarbeitslosigkeit – unter akutem Personalmangel leidenden deutschen Computerbranche wieder zu einem vorderen Platz unter den Industrienationen zu verhelfen. Das Zauberwort hieß Green Card. Sie sollte, anders als im klassischen Einwanderungsland USA, Spitzenkräften der Informationstechnologie das auf fünf Jahre begrenzte Recht einräumen, in Deutschland einen mit mindestens 100 000 Mark dotierten Job anzunehmen.
Aus Wirtschaftskreisen war zu hören, man könne, sozusagen aus dem Stand, sofort 75 000 bis 100 000 Computer-Experten aus dem Ausland einstellen. Warum nicht wenigstens ein Teil dieser freien Stellen mit einheimischen Informatik-Spezialisten, von denen etliche tausend arbeitslos sind, besetzt werden können, wurde nie überzeugend erklärt – vielleicht sind diese zumeist älteren Deutschen ja im Vergleich zur Konkurrenz aus der Dritten Welt einfach zu teuer.
Gerhard Schröders Multikulti-Mannschaft auf der Regierungsbank wollte es wohl auch gar nicht so genau wissen. Hauptsache, man hatte eine vordergründig plausible Begründung, um wieder mal ein wenig an der Zuwanderungsschraube zu drehen: 20 000 zusätzliche Einwanderer sollten es zunächst einmal sein, die man mit der Green Card ins Land locken wollte.
Im "Schnellschußverfahren", so die nachvollziehbare Kritik der IG Metall, wurde die gesetzliche Grundlage zurechtgezimmert. Die Wirtschaft hatte man ohnehin auf seiner Seite, die Gewerkschaften wurden mit Neuerungen im Betriebsverfassungsgesetz geködert, und die Opposition wies man mit dem gar nicht dezenten Hinweis in die Schranken, Slogans wie "Kinder statt Inder" seien nicht etwa witzig, sondern zutiefst ausländerfeindlich, also "rechts".
Vor genau einem Jahr kam der erste Green-Card-Besitzer, ein 25jähriger Computer-Fachmann aus Indonesien (s. Foto rechts). Inzwischen aber zeigte sich, daß Politik und Wirtschaft wohl doch den Mund etwas zu voll genommen hatten: Indische und andere Informatik-Wunderknaben drängte es keineswegs in Massen, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu retten; mehrheitlich ziehen sie es offenbar vor, entweder zu Hause zu bleiben oder nach Amerika zu gehen.
Zwölf Monate nach dem gefeierten Green-Card-Start jedenfalls sind statt der erhofften 20 000 erst 8556 ausländische Computer-Experten nach Deutschland gekommen, darunter übrigens 1782 Inder. Die IT-Branche schiebt nach wie vor einen Bestand von fast 45 000 offenen Stellen vor sich her, und die Arbeitslosenstatistik ist auch noch weit jenseits jener Traumzahlen, die der Kanzler angesichts der herannahenden Wahlen so dringend herbeisehnt. Die Green Card, so die traurige Einjahres- bilanz, ist ein Flop.
Schlimmer noch: Einige der Elite-Zuwanderer müssen sich sogar darauf einstellen, das deutsche Sozialsystem, zu dessen Sanierung sie doch eigentlich hätten beitragen sollen, nun auf sehr direkte Weise kennenlernen zu können: als Leistungsempfänger. So wird damit gerechnet, daß unter den 5000 zur Entlassung anstehenden Mitarbeitern des süddeutschen Chip-Fabrikanten Infineon auch Green-Card-Zuwanderer sein werden. Die Fieberkurven der Börsen haben in den letzten Monaten deutlich gezeigt: Die Zukunftsbranche IT verspricht zwar hohe Wachstumsraten und ebenso satte Gewinne. Gerade damit aber lockt sie auch manchen Hasardeur an; das Risiko weiterer Firmenzusammenbrüche und Flauten ist weitaus größer als in anderen Wirtschaftszweigen. So müssen auch weitere ausländische Computer-Experten befürchten, lange vor Ablauf der fünfjährigen Vertragslaufzeit ihren 100 000-Mark-Job zu verlieren.
Mit der Green Card zum Arbeits- oder Sozialamt, so hatten sich die im allgemeinen hochtalentierten und auch hochmotivierten IT-Asse ihre Deutschland-Karriere wohl kaum vor- gestellt. Kein Wunder also, daß ihre in die Heimatländer übermittelten Erfahrungen das Anwerben weiterer Experten zusätzlich erschweren. In der Wirtschaft wird ohnehin vehement geklagt, die Regelung sei zu bürokratisch. Die zeitliche Begrenzung auf fünf Jahre erweise sich ebenso als Hemmschuh wie die Bestimmung, daß mit- oder nachziehende Ehepartner in Deutschland nicht arbeiten dürfen.
Daß zu den Ursachen mangelnder Resonanz auch das bei Green-Card-Inhabern in Deutschland übliche Gehalt von knapp über 100 000 Mark p. a. zählen könnte, davon reden die Vertreter der Wirtschaft lieber nicht. Da hat Harianto Wijaya schon weniger Hemmungen. Unbekümmert erzählte der junge Indonesier, der am 31. Juli 2000 aus Ministerhand Deutschlands erste Green Card entgegengenommen hatte, einem Mitarbeiter des "Hamburger Abendblattes", eine amerikanische Elektronikfirma habe ihm ein Jahresgehalt von ebenfalls 100 000 geboten – allerdings in US-Dollar statt in DM. Außerdem müsse man in Amerika weniger Steuern zahlen als in Deutschland.
Fazit: Die deutsche Green-Card-Regelung ist "nichts Halbes und nichts Ganzes". Da sie international nicht konkurrenzfähig ist, hat sie für die Wirtschaft bei der Suche nach Fachkräften nur begrenzten Wert. Und dem Ziel, die jugendlich-flotte IT-Branche auch für gut ausgebildete ältere Arbeitslose zur "Job-Maschine" zu machen, dient sie auch nicht – im Gegenteil …
Hoffnungsvoller Start: Vor einem Jahr überreichte Arbeitsminister Riester dem Indonesier Harianto Wijaya die erste Green Card. Dem 25jährigen Computerexperten sollten 20 000 ausländische Spitzenkräfte folgen, eine Zahl, die sich inzwischen als Illusion erwies.
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