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Zu Beginn dieses Jahres wurde in Memel 80 Jahre Angliederung des Memellandes an Litauen gefeiert. Herausgehoben wird immer wieder, daß es sich damals um einen Aufstand gehandelt habe. Diese Behauptung bedarf der Richtigstellung.
Von 1919 bis Anfang 1923 wurde das Memelland von Frankreich im Auftrage der alliierten und assoziierten Hauptmächte unter Umgehung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung verwaltet. Im April 1919 hatten 98 Prozent der Einwohner des Kreises Heydekrug und 78 Prozent des Kreises Memel gegen eine Angliederung an Litauen protestiert. Am 11. November 1921 hatte Litauen in seiner Verfassungsgebenden Versammlung den Anschluß des Memellandes zu seinem Ziel erhoben und dabei dem Gebiet autonome Rechte zugesichert.
Als den Litauern klar wurde, daß sie über die Botschafterkonferenz ihr Ziel, das Memelland auf legalem Wege zu erhalten, nicht erreichen würden, beschlossen sie sofort nach der Rückkehr der memelländischen Delegation aus Paris, das Gebiet mit Waffengewalt zu erobern. An den Vorbereitungen waren Außenminister Galvanauskas, Finanzminister Petrulis und ab dem 3. Januar 1923 auch der litauische Regierungsvertreter in Memel, Zilius, sowie Erdmann Simoneit beziehungsweise Erdmonas Simonaitis beteiligt. Da es im Memelland außer einigen hundert Wirrköpfen niemanden gab, der einen Anschluß an Litauen unterstützt hätte, mußte die Bewegung allein durch Litauer aus der Republik Litauen getragen werden. Zu diesem Zweck wurden reguläres Militär und der Schützenverband "Schaulu Sajunga" mobilisiert. Die Kownoer Staatsdruckerei stellte Aufrufe der "Aufständischen" in litauischer, deutscher und französischer Sprache her.
Die litauischen Truppentransporte rollten schon ab dem 5. Januar 1923 an die Grenze nach Litauisch-Krottingen und Tauroggen. Am 6. Januar lief bereits in Kowno das Gerücht um, der Einmarsch habe begonnen. Spätestens am 8. Januar waren die litauischen Vorbereitungen in Berlin bekannt. Am 9. Januar wurde von den Nationallitauern Simonaitis, Reisgys und Toleikis im Memelland ein Aufruf verbreitet, der die litauischsprechende Bevölkerung gegen die Freistaatidee aufstacheln sollte.
In den Morgenstunden des 10. Januar 1923, am Tage vor dem französischen Einmarsch ins Ruhrgebiet, überschritten das 5. Infanterieregiment und die Kriegsschule Kaunas sowie die Schützenverbände zum Teil in Räuberzivil, zum Teil in regulären Uniformen bei Litauisch-Krottingen und Tauroggen die deutsch-litauische Grenze. Diese Aktion wurde der Welt als bewaffneter Aufstand der Memelländer mit dem Ziel eines Anschlusses an Litauen bekannt gemacht.
Das ungefähr 200 Mann starke französische Infanterie-Bataillon konnte sich nicht gegen die litauische Übermacht von rund 5.000 bis 6.000 Mann behaupten und zog sich auf die Stadt zurück, die es mit Hilfe der Landespolizei verteidigen wollte.
Während Simonaitis in Heydekrug bereits eine neue Landesregierung unter seinem Präsidium ausgerufen hatte, wurde in der Nacht zum 14. Januar in der Umgebung von Memel noch gekämpft. Erst am 15. Januar drangen die Litauer in die Außenbezirke der Stadt ein, die nach lebhafter Schießerei in der Nacht zum 16. Januar völlig besetzt wurde. Nach kurzem Beschuß hißte die französische Kommandantur die weiße Flagge der Kapitulation. In dem Operettenkrieg gab es auf französischer Seite einen Toten und zwei Verwundete, bei den Litauern nach der einen Quellen zwei, nach der anderen sechs Tote.
Am 16. Januar 1923 erließ der französische Oberkommissar als Vertreter der alliierten Mächte, Petisne, folgenden Aufruf: "Bewohner des Memelgebiets! Im Namen der Alliierten Mächte erhebe ich noch einmal den feierlichsten Protest gegen den blutigen Handschlag, der gegen das Memelgebiet verübt worden ist. Ich erkläre ausdrücklich, daß die Alliierten Mächte auch weiter beabsichtigen, ihre Autorität über das Gebiet auszu-üben." Am 1. Februar 1923 erzwang die Botschafterkonferenz die Absetzung des nach dem Einfall eingesetzten litauischen Direktoriums Simonaitis. Am 18. Februar 1923 verließen die Franzosen Memel.
Die Botschafterkonferenz sanktionierte nach Protest das Verbleiben des Memelgebiets bei Litauen allerdings mit der Maßgabe, dem Gebiet eine Autonomie, das heißt Selbstverwaltung, zu gewähren. Das Memelgebiet sollte Litauen als Ersatz für den nun von den Alliierten sanktionierten polnischen Raub des Wilnagebietes dienen.
Litauen erhielt nur eine stark eingeschränkte Souveränität über das Memelgebiet. Es mußte unter anderem der Schaffung einer Autonomieregierung (Landesdirektorium) und einer Volksvertretung (Landtag), die nur von den Bürgern des Memelgebiets gewählt werden konnte, zustimmen. Litauen erhielt die Souveränität über das Post-, Bahn-, Zoll- und Währungswesen, die Außenpolitik sowie die Grenzpolizei.
Bereits kurz nach der Übergabe des Memelgebiets an Litauen, setzten die Litauisierungsmaßnahmen ein mit Behinderungen der autonomen Selbstverwaltung, wiederholter Ausschaltung der verbrieften Rechte und der persönlichen Freiheit der Memelländer sowie mit wirtschaftlichem Druck. Ziel dieser Maßnahme war, letztendlich die Autonomie zu beseitigen und die Bevölkerung zu litauisieren.
Nach einem Militärputsch in Litauen 1926 wurde der Kriegszustand auch über das Memelgebiet verhängt, der hinfort bis 1938 andauerte. Während des zwölfjährigen Bestehens des Kriegszustandes wurden zahlreiche Repressalien gegen die für ihr Deutschtum eintretende Bevölkerung verübt. Hunderte von Memelländern wurden vom Kriegskommandanten und von litauischen Sondergerichten zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Das Vereins-leben und die politische Betätigung wurden stark eingeschränkt. Mehrfach wurden Auseinandersetzungen zwischen dem autonomen Memelgebiet und der litauischen Regierung vor dem Völkerbund verhandelt.
Wie deutsch die eingesessene Bevölkerung des Memelgebietes war, ist aus den Ergebnissen der Wahlen zum Memelländischen Landtag ersichtlich. So betrug das Zahlenverhältnis zwischen den jeweils gewählten deutschen und litauischen Abgeordneten im Jahre 1925 27 zu zwei, 1927 25 zu vier, 1930 24 zu fünf, 1932 24 zu fünf, 1935 24 zu fünf und 1938 wieder 25 zu vier.
Zu einer Neuorientierung der litauischen Politik, mit dem Ziel einer Annäherung an Deutschland, trug wesentlich ein von Polen provozierter Zwischenfall an der polnisch-litauischen Demarkationslinie am 13. März 1938 bei, durch den Litauen ultimativ gezwungen wurde, die diplomatischen Beziehungen zu Polen aufzunehmen und damit das Wilnagebiet als polnischen Besitz anzuerkennen. Ein litauisches Hilfeersuchen an Moskau, London und Paris fand keine Unterstützung.
Bereits am 18. März 1938 bat der litauische Gesandte in Berlin, Saulys, bei einer Unterredung mit Ribbentrop um eine deutsche Beschwerdeliste hinsichtlich des Memelgebiets. Die Beschwerdeliste, die am 25. März 1938 von Staatssekretär v. Weizsäcker übergeben wurde, enthielt elf Beschwerdepunkte, die sich gegen die Aufrechterhaltung des Kriegszustandes im Memelgebiet seit 1926, gegen die Lahmlegung der gesetzgeberischen Tätigkeit der autonomen Behörden sowie gegen andere gegen die Autonomie des Memelgebietes und das Deutschtum praktizierten Maßnahmen richteten. Im Zuge der neuen Deutschlandpolitik Litauens konnte man im Laufe der nächsten Monate feststellen, daß es bereit war, Zugeständnisse zu machen, die über die Memelkonvention hinausgingen.
Auf deutscher Seite gewann man den Eindruck, der sich vor allem nach dem großen deutschen Erfolg bei den memelländischen Landtagswahlen am 11. Dezember 1938 und dem äußerst schlechten Abschneiden der Litauer verfestigte, daß Litauen die Rückgabe des Memelgebiets als unausweichlich betrachtete. Die Richtigkeit dieser Einschätzung ergaben die Verhandlungen über die Rück-
gabe des Memelgebiets an Deutschland.
Bezüglich der Lösung der Memelfrage kam es am 20. März 1939 zu einer Unterredung zwischen Ribbentrop und Außenminister Urbsys in Berlin. Aus den vorhandenen Akten des Auswärtigen Amtes geht hervor, daß Urbsys von Ribbentrop eingangs darauf hingewiesen worden sei, "daß das Memelgebiet zu Deutschland zurück wolle" und Deutschland "nicht ruhig zusehen könne", falls es im Memelgebiet zu Aufständen und Schießereien käme. Ribbentrop bezeichnete die Memelfrage als "Stachel" in dem deutsch-litauischen Verhältnis.
Um eine freundschaftliche Beziehung zwischen beiden Ländern zu gewährleisten, strebte Ribbentrop eine friedliche und für Litauen akzeptable Lösung an. So stellte er die Bereitschaft Deutschlands, in wirtschaftlichen Fragen auf litauische Interessen einzugehen, namentlich hinsichtlich der Schaffung eines Freihafens, in Aussicht. Darauf wollte Urbsys wissen, in welcher Frist sich die litauische Regierung zu entscheiden habe. Diese Frage ließ Ribbentrop unbeantwortet, da er offenbar kein Ultimatum stellen wollte. Im Hinblick auf den bevorstehenden Zusammentritt des Memelländischen Landtages regte er jedoch an, möglichst schnell Bevollmächtigte nach Deutschland zu schicken.
Am 21. März 1939 berichtete Urbsys dem erweiterten Ministerrat, der die deutschen Vorschläge grundsätzlich annahm. In den Abend- und Nachtstunden fand eine Geheimsitzung des Seim statt. Vorher hatte die litauische Regierung bei den Signa-tarmächten angefragt, ob sie Einwände gegen eine Souveränitätsübertragung an Deutschland hätten.
England sowie Frankreich gaben Litauen freie Hand. Frankreich erklärte zusätzlich, es habe den Bestand des Memelgebiets nicht ga-
rantiert und werde im Falle eines deutschen Einmarsches nichts unternehmen. Auch Polen und die Sowjetunion wurden durch Kowno unterrichtet und hatten keine Einwände gegen die Übertragung des Memellandes an Deutschland, betonten aber, daß Deutschland nicht über die Grenzen des Memellandes hinausgreifen dürfe.
Am 22. März 1939 um 14 Uhr flog die litauische Delegation nach Berlin, wo die Verhandlungen über den Abschluß eines deutsch-litauischen Staatsvertrages unter Vorsitz von Staatssekretär v. Weizsäcker begannen. Am 23. März 1939 um 1 Uhr früh unterzeichnete Urbsys den Staatsvertrag, der mit dem Datum vom 22. März 1939 sofort in Kraft trat. Der litauische Seim (Parlament) stimmte am 30. März 1939 einstimmig und ohne Stimmenthaltung dem Vertrag zu, der zugleich Richtlinien für die Errichtung einer litauischen Freihandelszone in Memel enthielt.
Die Rückgabe des Memelgebietes selbst erfolgte ohne jede Gewaltanwendung. Das litauische Militär begann mit der Räumung des Memelgebietes bereits in den frühen Morgenstunden des 22. März 1939, also noch vor dem Abflug der Verhandlungsdelegation nach Berlin. Auch der litauische Gouverneur, Gailus, teilte in den Vormittagsstunden des 22. März 1939 dem Präsidenten des Direktoriums des Memelgebietes, Bertuleit, die Einstellung seiner Amtsgeschäfte mit.
Die deutschen Soldaten rückten am 23. März 1939, also nach der Unterzeichnung des deutsch-litauischen Staatsvertrages, zum Paradieren ein. Nur eine kleine Einheit verblieb in Memel, während die übrigen Soldaten in ihre Standorte zurückkehrten. Die Grenze nach Litauen wurde nicht durch Militär gesichert, sondern der zivilen Zollverwaltung übertragen.
Somit ist einwandfrei bewiesen, daß beim Abschluß des deutsch-litauischen Staatsvertrages vom 22. März 1939 vom Deutschen Reich kein völkerrechtswidriger Zwang gegenüber Litauen ausgeübt wurde. Zudem bestand für das Deutsche Reich weder die Notwendigkeit, Litauen ein Ultimatum zu stellen noch ihm mit Gewalt zu drohen, da Litauen aus eigener Initiative die Lösung der Memelfrage vorangetrieben hatte, um zum Deutschen Reich gute Beziehungen herstellen zu können. Andererseits kann die Tatsache nicht geleugnet werden, daß die Rückgliederung, das heißt die Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich dem drängenden Verlangen der Memelländer entsprach.
Insgesamt wurde der Staatsvertrag bis zum Sommer 1939 50 auswärtigen Regierungen vorgelegt, von denen keine Einspruch erhob. Mit der am 10. Januar 1941 erfolgten Paraphierung des deutsch-russischen Grenzvertrages vom 29. September 1939 erkannte auch die Sowjetunion die Rückgliederung des Memelgebietes an das Deutsche Reich ohne Vorbehalte an.
Als Folge des Zweiten Weltkrieges besetzte die Rote Armee mit der Eroberung der Stadt Memel am 28. Januar 1945 das Memelland vollständig. Am 7. April 1948 wurde das Memelgebiet in die zur Sowjetunion gehörende Sowjetrepublik Litauen eingegliedert. Gorbatschow erklärte bei einer Unterredung zwischen ihm und dem Chef der von Moskau abgespaltenen litauischen Kommunistischen Partei, Brasauskas, Anfang März 1990 noch, daß Litauen kein Dokument besitze, das belege, daß die Stadt Memel zu Litauen gehöre.
Im Jahr 1991 dann erlangt Litauen seine staatliche Souveränität und tritt gemeinsam mit den beiden anderen baltischen Staaten Lettland und Estland aus der Sowjetunion aus. Das Memelland ist nunmehr Bestandteil der Republik Litauen.
Fazit: Das Memelland war niemals von 1923 bis 2003 ununterbrochen an Litauen angegliedert. Die Feierlichkeiten vom 15. Januar 2003 beruhen also bewußt auf einem Irrtum. Wenn das geplante Denkmal, der sogenannte Triumphbogen, eingeweiht wird, der an den Anschluß des Memellandes an Litauen erinnern soll, dann würde es die historische Korrektheit gebieten, ihn mit der Datumsangabe "ab 1948" zu versehen. Im Hinblick auf den Beitritt zur Europäischen Union ist es auf allen Seiten von-nöten, daß man sich mit den wahren Begebenheiten der Vergangenheit auseinandersetzt und die Geschichte nicht verfälscht. Die litauischen Bürger sind, was die Angliederung anbelangt, aufgerufen, bei der Einweihung mit der richtigen Jahreszahl "1948" ein Zeichen für die Zukunft zu setzen, denn Zukunft hat nur eine Perspektive, wenn man sich zur geschichtlichen Wahrheit bekennt. |
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