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Abschied vom Globalmenschen

 
     
 
Die gegenwärtige deutsche Debatte über die Asyl- und Zuwanderungspolitik wirft ihr Licht auch auf fragwürdige Richtlinien der Europäischen Kommission und die EU-Osterweiterung, die immer näher rückt, vorausgesetzt, das irische Veto gegen den Nizza
-Vertrag wird aufgehoben.

Alarmiert durch das islamistische Terrorpotential vor der eigenen Haustür und die von lernfähigen Politikern mittlerweile anerkannte Integrationsverweigerung vieler Ausländer aus anderen Kulturkreisen, stellen sich folgende Fragen: Ist es sinnvoll, den im Amsterdamer Vertrag bis 2004 vorgesehenen völligen Abbau der Grenzkontrollen innerhalb der EU wirklich umzusetzen? Und wie kann erreicht werden, daß die ostmitteleuropäischen Bewerber ihre langen Ostgrenzen vor einem unkontrollierten Massenzuzug in die Union sichern?

Auf die erste Frage hat Gerd Müller in der September/Oktober-Ausgabe der von der Hanns-Seidel-Stiftung herausgegebenen Politischen Studien einleuchtende Antworten gegeben. Da mindestens bis 2004 für den aus den Vertretern der 15 Regierungen bestehenden Europäischen Rat noch das Einstimmigkeitsprinzip gelte, so Müller, erscheine es angesichts der Sensibilität des Themas „mehr als fraglich“, daß die für die Kontrollen der EU-Innen- und Außengrenzen angepeilten gemeinsamen Standards umgesetzt werden. Das gleiche lasse sich für die geplanten einheitlichen Regeln zum Aufenthalt von Drittstaatlern sagen.

Erschwerend komme der „viel zu weite“ migrationspolitische Ansatz der Europäischen Kommission hinzu. Diese will auf der Basis von Richtlinien die Drittstaatenregelung, also die Abschiebung von Asylberwerbern, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedsland abgelehnt wurden, abschaffen, den Familiennachzug ausweiten, die nicht-staatliche Verfolgung anerkennen und Mindeststandards für Asylverfahren einführen, die die Aufnahme deutlich erleichtern würden.

Am Ende dieses an die Programmatik der Grünen erinnernden Maßnahmenkataloges werde, so das zutreffende Fazit Müllers, eine „geradezu unkontrollierte Zuwanderung“ erfolgen. Spätestens seit dem 11. September erscheint das jedoch unzeitgemäßer als jemals zuvor. Man kann nur hoffen, daß mindestens eine Regierung bereit ist, die unvernünftigen Liberalisierungen zu stoppen.

Für die Europakommissare bleibt nur der Rat, sich zur Abwechslung mal zum Lokaltermin in innerstädtische Schulen der belgischen Hauptstadt zu begeben bzw. in solche französischer Vorstädte oder nach Berlin, Hamburg oder Frankfurt.

Dort könnten sie - die vorherige Entfernung aller Scheuklappen vorausgesetzt - erfahren, daß schon jetzt von einer erfolgreichen sprachlich-kulturellen Integration moslemischer Kinder und Jugendlicher nicht mal ansatzweise die Rede sein kann. Von einer Verinnerlichung europäischer Nationalgeschichten, etwa was die begrüßenswerte Abwehr der Türken vor Wien im Jahre

1683 betrifft, ganz zu schweigen. Des weiteren sollten die Eurokratiker über eine vor kurzem von der britischen Sunday Times veröffentlichte Umfrage nachdenken.

Demnach sprechen sich 96 Prozent der zwei Millionen Moslems in Großbritannien für ein Ende der Anti-Terror-Aktionen gegen Afghanistan aus, 40 Prozent erachten den von bin Laden ausgerufenen „Heiligen Krieg“ gegen die USA für gerechtfertigt, und elf Prozent bewerten auch die von ihm zu verantwortenden Gewalttaten als gut.

Zur Integrationsproblematik in Deutschland hat der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid im oben genannten Heft der Politischen Studien folgende treffende Bemerkungen gemacht: „Die derzeitige Politik wagt es nicht (anders als in den Niederlanden) Kurse zum Vollbürger-Dasein für Zuwanderer verbindlich zu machen. Sie verleiht ab 2001 die Staatsbürgerschaft mit Geburt im Lande und will damit Deutsche im Sinne eines abstrakten Staatsbürgergedankens produzieren.

Die kulturelle Integration ist aber zum Ausüben der Bürgerrechte unabdingbar. Dennoch stört die Forderung nach kultureller Integration offenbar diejenigen, die mit einem ‚postnationalen‘, planetarisch-universalistischen Bürgerbegriff, einem herkunftslosen ‚Partner der Demokratie‘, auszukommen glauben.“

Hinsichtlich des anderen Fragenkomplexes, also der Sicherung der Ostgrenzen der EU-Betrittskandidaten, gilt es im zweiten Halbjahr 2001 Nägel mit Köpfen zu machen. Denn zur Zeit stehen die Bereiche „Justiz und Inneres“ auf dem Verhandlungsplan, die auch die Zuwanderungspolitik einschließen. Im öffentlichen Bewußtsein tief verankert ist dabei die Problematik der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU, sprich die drohende massenhafte Westwanderung vor allem polnischer Facharbeiter bzw. arbeits- und orientierungslos gewordener Bauern.

Diese sich laut einer Studie der Dresdner Bank vom Frühjahr über ein oder zwei Dekaden hinziehende Migration von jährlich rund 200 000 Personen aus Ostmitteleuropa dürfte sogar eher noch zu gering veranschlagt sein.

Die absehbaren Folgen der größeren Durchlässigkeit der neuen EU-Ostgrenze werden dagegen selten thematisiert, ebenso mögliche „Binnenwanderungen“ kaum integrierbarer Gruppen wie der Zigeuner aus Ungarn oder der Slowakei (später auch Rumänien und Bulgarien) in den Westen des Kontinents.

Völlig vernachlässigt erscheint zudem die Perspektive, daß sich voraussichtlich eine große Zahl weiterer Wohlstandsflüchtlinge aus aller Herren Länder über die neuen EU-Mitgliedsstaaten den Weg in jene Regionen suchen wird, in denen angeblich „Milch und Honig fließen“. Manche von ihnen werden gleich in Estland, Polen, Slowenien oder Ungarn bleiben, so daß auf diese Staaten gänzlich neue Herausforderungen zukommen.

Die allgemeine Gedankenlosigkeit ist verwunderlich, zumal es reichlich Nachrichten gibt, die Politiker wie einfache Bürger aus ihrer Lethargie aufschrecken müßten. Erst kürzlich gab der tschechische Sicherheitsdienst BIS bekannt, daß 1300 afghanische Asylanten aus ihrem Auffanglager in Tschechien gen Westen verschwunden seien und die Schleuserbanden mit irakischen und afghanischen Diplomaten in Prag zusammenarbeiten.

Die von linken Politikern als Schreckgespenst an die Wand gemalte „Festung Europa“ ist, was die Undurchlässigkeit der EU-Außengrenze angeht, bittere Notwendigkeit. Hoffentlich sind nicht erst Terrorakte hiesiger islamistischer „Fünfter Kolonnen“ nötig, bis die Verantwortlichen dies erkennen.

 
     
     
 
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