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Die "Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes", nach ihrer Chefin Marianne Birthler inoffiziell Birthler-Behörde genannt, ist in der Kritik. Es geht um die Person Birthler, deren Behörde in den nächsten Jahren umstrukturiert werden soll, aber auch um das zukunftsträchtige Filetstück ihres Hauses, die Stasi-Forschung. Wissenschaftler werden zu Posten-Konkurrenten, Politiker treten ungewollt als Kahlschläger des Gedenkens an die Opfer der DDR in Erscheinung.
Die Zeit von Bundeskanzler Willy Brandt , der Ostpolitik sowie des Kanzler-Referenten und DDR-Spions Günter Guillaume war aufregend: Von 1969 bis 1972 gab es im Deutschen Bundestag eine politische Formation, deren Mitglieder nicht einmal vom gemeinsamen Ideal wußten. Daß sie sich nachträglich als Fraktion der Öffentlichkeit präsentieren, ist Verdienst der Birthler-Behörde und der Rosenholz-Akten. Mit 43 Abgeordneten, also Fraktionsstärke, habe die Stasi damals im Bundestag gesessen, doch Birthler wolle die Namen nicht herausgeben, habe aus Karrieregründen und um den heutigen Parlamentariern zu gefallen sogar einen internen Forschungsbericht "unter Verschluß gehalten" - harte Kritik von der "Welt" am 28. Juni. Außerdem liege ein "vernichtendes Memorandum zur Forschungsarbeit" der von ihr geführten Einrichtung vor. Birthler kontert: "Die zweifellos interessante Frage, wer im Westen für die Stasi gearbeitet habe", sei in den letzten Jahren nicht Gegenstand der Untersuchungen ihrer Behörde gewesen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz erlaube es der Bundesbeauftragten nicht, "in eigener Regie systematische Überprüfungen von Personen oder Gremien vorzunehmen".
Den Kronzeugen der "Welt"-Kritik ist die Macht der Behörde schon lange ein Dorn im Auge. Die Politik wiederum ringt angesichts dreist auftretender alter Stasi-Kader einerseits und Ostalgie andererseits mit der langfristigen Umstrukturierung der Behörde. Die Verteilung der bisherigen Aufgaben auf das Bundesarchiv und andere Forschungseinrichtungen steht zur Diskussion. Pläne dafür kämen von "ganz oben", dem Kanzleramt, so der Birthler-Kritiker und Berliner DDR-Forscher Manfred Wilke. Er ist selbst als möglicher Träger von Forschungsaufgaben im Gespräch, Aufgaben, die noch bei Birthler angesiedelt sind. Die Auflösung der Behörde hält er für unausweichlich, mit dem angesehenen Berliner Stasi-Experten Hubertus Knabe hat er ein Memorandum zur Arbeit der Birthler-Forschung verfaßt. Den Forschern paßt offensichtlich nicht, wie zurückhaltend die Aktenwächter mit Informationen und der Herausgabe von Material sind. Dabei müßten sie besser als jeder andere Wissen, welchem Regel-Korsett die Birthler-Behörde unterliegt.
Die Frage der Akteneinsicht in Historisches wie des höchst gegenwärtigen Umgangs ist trotz genauer Regelung für Forscher unzufriedenstellend. Das zeigte sich im Fall des ARD Sportkoordinators Hagen Boßdorf. Dessen Stasiunterlagen erhielt der Arbeitgeber NDR zwar von der Birthlerbehörde, mußte aber feststellen, daß eine "Zusammenstellung" erstellt worden war. Andere Medien konnten dagegen volle Einsicht nehmen - weil sie nicht Arbeitgeber seien, räumte die Behörde ein. Im Fall des linken Enthüllungsautors Günter Wallraff hatten einzelne Behördenmitarbeiter offenbar vorschnelle Schlüsse aus ihren Akten weitergegeben, den Autor unbegründet entlastet. Der politische Druck auf Birthler, künftig derartiges durch genaue Prüfung zu unterbinden, wuchs.
Paradoxerweise gereicht genau diese oft geforderte Sorgfalt, die Birthler derzeit im Umgang mit Stasi-Material zeigt, ihr zum Nachteil. Bevor Namen und Erkenntnisse der Rosenholz-Daten preisgegeben würden, müsse geprüft werden, ob es sich um bewußte Zuträger oder nur um wider Wissen "Abgeschöpfte" handele, so ihr Standpunkt. Die grüne Bürgerrechtlerin verweist auf das Stasi-Unterlagen-Gesetz - die Angreifer sehen die Behörde als Kadaver, den es auszuweiden gilt. Die Angriffe auf Person und Führungsstil Birthlers sind ein durchsichtiges Manöver. Schon 2004 erklärte Wilke die politische Aufgabe der Behörde, Akteneinsicht zu gewähren, für "erfüllt". Birthler reiße immer neue Aufgaben an sich, so Wilke. Personalquerelen lähmen seither das Gedenken, während Stasi-Kader laut gegen ihre Opfer anpöbeln - eine "Gespensterdebatte", wie der "Spiegel" den jetzigen Streit kommentiert.
Lähmend, weit mehr als Boßdorf und Wallraff, wirkt sich der Rechtsstreit mit Altkanzler Helmut Kohl auf die Behörde aus. Jedenfalls wenn man Birthler glauben will: "Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, daß die Stasi-Akten eigentlich ganz geschlossen gehören und gar nicht genutzt werden dürfen. Nur um die SED-Diktatur aufzuarbeiten, kann es Ausnahmen geben", so Birthler zu dem folgenreichen Richterspruch im Fall der strittigen Aktenherausgabe über Stasi-Aufzeichnungen zu Kohl. Tatsächlich gibt die Bundesbeauftragte seither nur Zusammenfassungen heraus, keine wörtlichen Protokolle - ein Deutungsprivileg, entstanden aus einer Niederlage. Und wo Privilegien sind, erscheint Mißbrauch nicht weit, zumal die Geschichte über die fraktionsstarke Stasi im Bundestag keine Ablösung Birthlers rechtfertigt. Die Namen der zweifelsfrei Identifizierbaren nannte Birthler in der "Frankfurter Allgemeinen", am selben Tag als die "Welt"-Kritik erschien. Die anderen, zweifelhaften "Spione" dürfe sie nicht nennen, so wolle es das Gesetz, verteidigt sie sich.
Tatsächlich kann man Birthler vorwerfen, sich im Widerspruch von Stasi-Unterlagen-Gesetz und Kohl-Urteil eingerichtet zu haben. Doch bleibt ihr keine Wahl. Mit Karrieresucht, wie die "Welt" nahelegt, hat das wenig zu tun. Das Arbeiten im Widerspruch der gesetzlichen Pole mit einer zudem höchst heterogenen Behördenmannschaft von alten Stasi-Mitwissern bis zu Bürgerrechtlern ist ein Spagat, Birthler allseits unbequem. Die umfangreiche Behördenorganisation steht zudem dem durchaus berechtigten Selbstbild, als Errungenschaft der DDR-Bürgerrechtler Bestandschutz zu genießen, im Weg. Was die allein 70 Mitarbeiter der Forschung in 15 Jahren erarbeitet hätten, bemängeln Knabe und Wilke per "Welt", sei "vergleichsweise wenig". Das Veröffentlichungsverzeichnis der Behörde widerlegt allerdings beide. Die Mängel liegen eher an den widersprüchlichen Interessen von Bundestag, Regierung, Forschung und Opfern. Andere, wie Kulturstaatsminister Neumann, versprechen bereits lautstark, Kompetenzen an sich reißen zu wollen.
In Zeiten klammer öffentlicher Haushalte und 17 Jahre nach dem Mauerfall denken viele über die Zukunft des Gedenkens nach. Die offiziell dazu berufene Sabrow-Kommission hat heftig diskutierte Vorschläge unterbreitet. Auch Birthler fühlt sich nicht "beschenkt" davon, findet manche der Vorschläge "interessant, manche nicht", will beispielsweise nicht mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zusammengelegt werden. Deren Chef ist Hubertus Knabe - Verteilungskampf. Neumann malt als Finanz-Dienstherr Birthlers (nicht weisungsbefugt) die Zukunft aus: "Gesamtrahmen", "vernetzen" sind seine Stichworte. "Was mit dem Forschungsteil und seinem besonderen Know how geschieht, ist zu klären", sagte er nebulös Ende Mai. Das erklärt die Kritik an Birthler wie die in der Sache: Bald wird verteilt, jeder der was abhaben will, muß sein Haus schmücken, das des anderen mit Dreck bewerfen. Die Stasi-Täter von Einst lachen derweil lauter denn je über ihre Verbrechen.
In der Kritik: Marianne Birthler ist seit 2000 Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen. In der "Initiativgruppe für Frieden und Menschenrechte" machte sie keinen Hehl aus ihrer Oppositionshaltung gegenüber dem DDR-Regime. pa
Rosenholz-Akten
Ausgangspunkt der Kritik sind die osenholz-Akten, 381 CD-Rom Datenträger. Sie sind brisant, da sie als einzige Quelle klare Namen von auf westdeutschem Gebiet tätigen DDR-Auslandsspionen enthalten. Viele Namen sind jedoch nur von unwissentlich Ausgeforschten, ungeprüfte Veröffentlichung daher heikel. In der Wendezeit gelangten diese Daten der DDR-Auslandsspionage unter legendenumwobenen Umständen in die Hände des US-Geheimdienstes CIA, wurden 2003 an die Bundesrepublik übergeben. Allein die lange Rückgabefrist gibt Raum für weite Spekulationen vom Schutz amerikanischer Agenten bis zum Widerwillen der Bundesrepublik, das Thema Stasi als westdeutsches Problem aufzuarbeiten. Sie sind eine Kopie, die Stasi-Originale vernichtet. Die Daten wurden 2003 an die Birthler-Behörde gereicht, dort auf Fehler geprüft und stehen seit März 2004 zur persönlichen Akteneinsicht im Rahmen der Regeln der Birthlerbehörde zur Verfügung. |
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