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Die fanatisierte Moral der mittelalterlichen Kreuzzüge ist mit dem religiösen Fanatismus abgeebbt. So konnten die Kriege des 18. und 19. Jahrhunderts oft mit einer heute fast unbegreiflichen Ritterlichkeit geführt werden. Das 20. Jahrhundert hat dann den Kreuzzugsfanatismus und die entsprechend fanatisierte Moral zurückgebracht. Zur Illustration drei Beispiele:
1814 setzten sich sogar nach einem fast 25jährigen, Europa von Portugal bis Moskau verwüstenden Krieg die Kriegsparteien in Wien an einen Tisch, um einen Frieden auszuhandeln. Da der Tisch rund war, ließ nicht einmal die Sitzordnung erkennen, wer Sieger und wer Besiegt er war. Und das, obwohl die französische Delegation von Talleyrand und mithin von einem Mann geführt wurde, der tief in die vergangenen Kriege verwickelt gewesen war.
Der Fortschritt im Zeitalter der fanatisierten Moral: Schon 1919 setzt man sich in Versailles an gar keinen Tisch mehr. Die Sieger halten die deutsche Delegation hinter Stacheldraht und diktieren die Friedensbedingungen. Natürlich setzen sie dabei auch die Auslieferung der gesamten Elite des Besiegten, vom Kaiser an abwärts, sozusagen aller Napoleons, Talleyrands, aller Minister und Generäle des Besiegten fest, um sie vor ein Tribunal der Sieger zu stellen.
Zweites Beispiel: Im Herbst 1813 feierte der Großherzog von Weimar den Sieg der Verbündeten über Napoleon bei Leipzig. Zur Siegesfeier erschien überraschend einer der Minister des Herzogs, der Geheimrat v. Goethe, mit nur einem Orden am Frack. Goethe hatte nur das ihm von Napoleon verliehene Kreuz der Ehrenlegion angelegt. Er bekannte sich also deutlich, vielleicht provozierend zur "Kollaboration". Doch ihm geschah natürlich nichts.
Der Fortschritt: 1945 sperren die Sieger zwei andere Dichter: den Nobelpreisträger Knut Hamsun sowie Ezra Pound, als Kollaborateure kurzerhand ins Irrenhaus. Das hinderte sie übrigens nicht, sich bald darauf mit kräftigem moralischen Tremolo zu entrüsten, als die Sowjets die gleiche Barbarei praktizierten.
Drittes Beispiel: Vermutlich war nur dreimal in der Geschichte der Sieger einer großen Schlacht so ritterlich, ein Denkmal auch für die Gefallenen des besiegten Gegners zu errichten. Das erste Denkmal errichtete Philipp von Mazedonien, der Vater Alexanders des Großen, 338 v. Chr. nach der Schlacht von Charonea für die gefallenen Thebaner. Es steht heute noch. 1915 ließ Generalfeldmarschall v. Mackensen in eine Bergwand über Belgrad (Hang des Banovo) eine große Tafel als "Zeichen der Ehrerbietung vor dem Kriegsgegner" und seinen Gefallenen, so die Inschrift, einmeißeln. Auch sie ist noch vorhanden. (5) Das dritte Denkmal: 1942 ließ General Yamashita auf dem Bukit-Tima-Berg über Singapur einen Schrein für die Asche der gefallenen Japaner und ein hohes Kreuz zu Ehren der gefallenen Briten errichten. Beides haben die Briten nach der Wiederbesetzung der Stadt 1945 "natürlich" sofort gesprengt. Dabei hat sie nicht einmal gestört, daß sie mit der Zerstörung des Schreins sogar Grabschändung begingen. Und Yamashita wurde nach einem der umstrittensten solcher Prozesse als Kriegsverbrecher mit einem Strick am Halse aufgehängt.
Alle drei Beispiele sind leicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Jede fanatisierte Moral lehrt, daß man gegen das absolut Böse kämpft ebenso wie die Kreuzritter 1099 in Jerusalem. Eben deshalb scheint zur Niederringung des Gegners jedes Mittel recht, und jede Spur ehrenhaften Verhaltens des Gegners muß getilgt werden 1945 in Singapur ebenso wie heute in der Bundesrepublik.
Dabei wird sogar die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit verschoben. Ein Beispiel unter unendlich vielen: Da berichtet ein ziviler (!) Kriegsreporter, wie er Kriegsgefangene ermordet. Auszug: "Ich schoß ihn dreimal schnell in den Bauch und dann, als er in die Knie brach, schoß ich ihn in die Birne, so daß sein Gehirn aus dem Mund kam oder ich glaube, es war die Nase" usw. (6). Hätte Ernst Jünger solches berichtet, so würde wohl jeder Artikel über ihn solche Taten zu Recht erwähnen. Aber ein anderer, Ernest Hemingway, berichtet hier seine Taten und der stand im Lager der Westlichen Wertegemeinschaft. Also bleibt seine Tat unerwähnt, und wer auf sie verweist, erhält den Aufrechnungsvorwurf. Wiederum: George Orwell läßt grüßen.
Jede fanatisierte Moral unterschlägt, was nicht in das politisch gewünschte Bild paßt. Und wenn das nicht ausreicht, wird schlicht gefälscht. Sogar deutsche Spitzenpolitiker haben jüngst behauptet, die deutschen Luftangriffe "auf Guernica" und "auf Rotterdam", in Wahrheit nicht auf die Städte, sondern auf eindeutig militärische Ziele dort, seien "verbrecherisch" gewesen. Tatsachen sind für eine fanatisierte Moral bedeutungslos.
Den Gipfel oder den Tiefpunkt dieser fanatisierten "Moral" hat zweifellos der Nationalsozialismus erreicht. Himmler und seine Schergen haben bestialisch, aber eben nicht aus Mordlust, Millionen getötet. So unglaublich es klingt, so zeigt Himmlers Posener Rede: Er glaubte, Gutes zu tun so wie die Kreuzfahrer glaubten, "nach dem gerechten Urteil Gottes" zu töten.
Damit sind wir bereits nahe an der bundesrepublikanischen Vergangenheitsbewältigung, an deren Methoden und an der Traditionswürdigkeit der Wehrmacht angelangt. Auch hier mag ein einleitendes Beispiel helfen: Im Spätsommer 1940 wollte der britische Geheimdienst zwei französische Zivilisten mit dem Fallschirm über Nordfrankreich absetzen. Sie sollten sich mit einem Maschinengewehr in einer Hecke verbergen. Frühmorgens, wenn deutsche Flugzeugführer aus einer nahen Stadt mit dem Bus zum Fliegerhorst gefahren wurden, sollten die beiden das Feuer eröffnen und nach getanem Werk in der nahen Stadt untertauchen. Doch der Oberbefehlshaber der englischen Luftwaffe, General Portal, weigerte sich, eine Transportmaschine zur Verfügung zu stellen. Seine Begründung: Es sei nicht Aufgabe der Royal Air Force, "Mörder" zu transportieren. Allerdings schon wenige Monate später flogen zahlreiche englische Maschinen zur Unterstützung der Guerillas. Für die fanatisierte Moral dieses Jahrhunderts ist auch das Völkerrecht wenig bedeutsam.
Damit zur Zusammenfassung:
Die geistige Lage der Bundesrepublik ist gekennzeichnet durch eine gnadenlose, fanatisierte Moral.
Moralisiert und "bewältigt" wird freilich nie die eigene Vergangenheit, sondern die der Väter und Großväter.
Diese Moral wird doppelt fragwürdig dadurch, daß alles "westliche" tabuisiert, aber viel Deutsches negativiert wird. Diese Attitüde wird illustriert, als letztes Beispiel, durch die Ankündigung des Verteidigungsministers, er werde die Benennung von Kasernen nach Generalfeldmarschall Rommel überprüfen lassen, also sogar eines Mannes, der 1944 zum Freitod gezwungen wurde. Statt dessen will er Kasernen nach Churchill benennen lassen. (7)
In diesem Klima ist die Beurteilung der Wehrmacht vorhersehbar. Diese Beurteilung muß sicherlich davon ausgehen, daß Kampf unter der Fahne einer Demokratie essentiell besser ist als Kampf unter einer Diktatur, daß Hitler ein Verbrecher war und daß die Wehrmacht eines seiner wichtigsten Werkzeuge gewesen ist. Zudem ist seit 1945 allgemein bekannt, daß Hitler der Wehrmacht Schlimmstes befohlen und daß auch die Wehrmachtsführung Schlimmstes angeordnet hatte. Ich verzichte auf Beispiele. Einmal aus Zeitgründen, zum anderen, weil diese Untaten uns oft vorgehalten werden und mithin, soweit nicht erfunden, bekannt sind.
Immerhin: Was unter deutschen Fahnen verübt wurde, kann dem Kampf gegen das nationalsozialistisch geführte Deutschland sein moralisches Recht geben und kann den Krieg zu einem bellum justum, zu einem gerechten Krieg gemacht haben.
Doch auch diese Medaille hat ihre Kehrseite und diese Seite wird heute verschwiegen. Doch auf die Kehrseite jedes gerechten Krieges hat schon die sonst so gern zitierte Rechtsphilosophie der Aufklärung verwiesen: Auch wer in einem ungerechten Krieg kämpft, kann sich ehrenhaft verhalten es gibt viele fast unglaubliche, allerdings meist verschwiegene Beispiele ritterlichen Verhaltens gerade der Wehrmacht, zudem auch der Japaner. Andererseits: Auch wer einen gerechten Krieg kämpft, kann dabei Untaten begehen hier könnte man an den Partisanenkrieg sowie an den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung denken.
Noch wichtiger: Emericus de Vattel hat schon vor 250 Jahren auf etwas Wesentliches verwiesen: Auch wer einen gerechten Krieg kämpft, kann für den Fall seines Sieges unmenschliche Maßnahmen planen hier könnte man an die Vertreibung von zahllosen Millionen, an die furchtbaren Umstände der Vertreibung, an die Verstümmelung des Reiches, an die Zerstückelung des Restes und an vieles, vieles andere denken. So nimmt Emericus de Vattel zufolge der gerechte Krieg furchtbare Züge an und der ungerechte Krieg wird gerecht. (8)
Genau dieses aber war die Lage der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Nicht umsonst hat sogar Pastor Niemöller 1939 aus dem KZ heraus sich freiwillig zur Front gemeldet (erfolglos). Einem Sudetendeutschen, einem Ostdeutschland, Pommern oder Schlesier und damit einem Deutschen insgesamt brauchte niemand mehr zu erklären, wogegen und wofür er kämpfe. Manche Soldaten wußten wie der KZ-Häftling Niemöller, daß auch die eigene Seite Schlimmstes tat. Doch gleichzeitig kämpften sie zur Verminderung schlimmster Taten an ihrem eigenen Volk und oft genug eigenen Familien, Frauen und Kindern.
Allerdings muß man zugeben: Auch die fanatischen Vergangenheitsbewältiger argumentieren nur, die Wehrmacht insgesamt sei nicht traditionswürdig, aber die Tapferkeit Einzelner dürfe man vielleicht noch anerkennen.
Doch dieses Argument verschleiert Wichtiges. Schon im Buch jedes Menschen, um so mehr aber im Buch jeder großen Organisation gibt es auch dunkle Seiten. Die Geschichtsbücher der großen Religionen verzeichnen große Ketzerkreuzzüge. Im Buch der europäischen Völker gibt es Kolonialkriege und den Sklavenhandel. Im Buch der englischen Luftwaffe ist der Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung verzeichnet. Im Buch der amerikanischen Luftwaffe findet man Atombombenabwürfe ausgerechnet mitten in zwei Großstädte eines, wie die politische Führung genau wußte, längst kapitulationsbereiten Gegners hinein. Wer das nicht als Untat sehen möchte, findet immer noch den auf Hiroschima und Nagasaki folgenden 1000-Bomben-Angriff auf Tokio. Die Oberbefehlshaber, die Generale Arnold und Spaatz, begründeten diesen Angriff, alle militärische Rechtfertigung ausschließend, mit den Worten: "We want a grand finale", und Washington genehmigte den Angriff, was Spaatz mit den Worten quittierte "Gott sei Dank". Die Bomberbesatzungen hörten in der Luft, wie Präsident Truman Japans Bereitschaft zur Kapitulation verkündete (9).
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