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Auf alten Briefmarken der 60er und 70er Jahre der damaligen Deutschen Bundespost Berlin sind pferdebespannte Straßenbahnwagen zu sehen. Sie legen Zeugnis ab über eine Zeit, in welcher der öffentliche Personennahverkehr noch in den Kinderschuhen steckte. Ab 1882 bewältigte eine dampfbetriebe ne Stadtbahn die Verkehrsströme von West nach Ost auf große Distanz. Schließlich sorgte dann die neue elektrisch betriebene Straßenbahn für größere Geschwindigkeiten auf den kürzeren Entfernungen. Zwischen diesen beiden Verkehrsmitteln aber klaffte eine Bedarfslücke. So entstand der Gedanke einer Stadtschnellbahn.
Nachdem verschiedene Planungen für solch eine Schnellbahn verworfen worden waren, reichte schließlich die Firma Siemens und Halske im Jahre 1891 den Entwurf einer Untergrund- und Hochbahn ein, der im Jahr 1893 durch königlich preußische Kabinettsorder genehmigt wurde. Die Deutsche Bank und die Firma Siemens gründeten gemeinsam die „Hochbahngesellschaft“ mit einem Aktienkapital von 12,5 Millionen Reichsmark. Am 10. September 1896 wurde in der Gitschiner Straße der symbolische „Erste Spatenstich“ für den Bau der Bahn ausgeführt. Ab dem Juni 1897 wurden die ersten Eisenkonstruktionen aufgestellt, und im September 1901 konnte in der Werkstatt Warschauer Brücke mit der Montage der ersten U-Bahnwagen begonnen werden. Am 15. Februar 1902 wurde im Beisein des preußischen Ministers für „Öffentliche Arbeiten“ eine Versuchsfahrt unternommen, und nur drei Tage später wurde der öffentliche Betrieb auf der Strecke von Stralauer Tor (heute nicht mehr existenter Haltepunkt im Bereich der Oberbaumbrücke) bis Potsdamer Platz aufgenommen. Noch im selben Jahr gab es die ersten Streckenerweiterungen sowohl in westlicher als auch in östlicher Richtung. So war es nun beispielsweise möglich, den Bahnhof Zoologischer Garten mit der U-Bahn zu erreichen. Schon im Folgejahr fuhren rund 30 Millionen Fahrgäste mit dem neuen Verkehrsmittel.
Wenige Jahre später, 1908, wurde die Bahn Richtung Osten bis zum Hausvogteiplatz vorangetrieben, während im Westen der Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz) erreicht wurde. An der Eröffnungsfahrt zum Reichskanzlerplatz nahm Kaiser Wilhelm II. persönlich teil. 1910 konnte, wie bereits erwähnt, die Schöneberger U-Bahn in das Netz integriert werden. Die Berliner U-Bahn bestand nunmehr aus einer Ost-Westbahn mit Abzweigen nach Süden und Nordost.
1913 wurde das Streckennetz noch einmal ganz wesentlich erweitert. Im Westen wurde die Bahn bis zum Haltepunkt Stadion (heute Olympiastadion) verlängert. Dies geschah mit Blick auf die Olympiade, die 1916 in Berlin stattfinden sollte. Im Nordosten konnte der vornehme Außenbezirk Pankow an das Netz angeschlossen werden. Es kamen aber noch zwei gänzlich neue Strecke hinzu. Zum einen wurde im Verlauf des Kurfürstendamms eine „Citylinie“ von zunächst drei Haltestellen in Betrieb genommen. Ein weiterer Ausbau dieser Strecke - obwohl dringend notwendig - ist bis heute nicht erfolgt. Zum anderen wurden die südwestlichen Bezirke Wilmersdorf und Zehlendorf mit einer neuen Linie erschlossen. Das Netz war in diesen elf Jahren von ursprünglich 16,9 auf 37,8 Kilometer angewachsen. 1913 wurden bereits 73,1 Millionen Fahrgäste befördert.
Noch vor dem Ersten Weltkrieg hatten die Firma Siemens, die Stadt Berlin und die Betreibergesellschaft festgestellt, daß zur Steigerung der Transportkapazität und damit der Leistungsfähigkeit der Bahn eine Verbreiterung des Wagenprofils von 2,3 auf 2,65 Meter sinnvoll wäre. Ein Wagen des größeren Profils war in der Lage, statt der bisherigen 75 Fahrgäste 111 bei gleicher Wagenlänge zu befördern. Für die drei neuen U-Bahnlinien (eine Ost -West, zwei Nord-Süd) wurde ausschließlich das größere Tunnelprofil vorgesehen. 1914 lieferte die Breslauer Firma Linke-Hoffmann die ersten beiden Versuchswagen, 1916 folgte die Kölner Waggonfabrik Zypen & Chartier mit ebenfalls zwei Versuchswagen. Nachdem 1912 die ersten Baugenehmigungen erteilt worden waren, konnten 1913 die Bauarbeiten im Bereich der Chausseestraße begonnen werden. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges hemmte die Baufortschritte erheblich. Dennoch konnten 1917 zwei von sieben Baulosen im Rohbau fertiggestellt werden. Danach kam der weitere Bau zum Erliegen. Erst am 30. Januar 1923 konnte auf dieser Strecke mit dem Bahnhof Seestraße im Norden der bevölkerungsreiche Arbeiterbezirk Wedding an die U-Bahn angeschlossen werden.
Aber schon ein Jahr später konnte auf der zweiten, noch in der Kaiserzeit begonnenen Nordsüdbahn der heutigen Linie 8 auf einem Teilbereich der Betrieb aufgenommen werden. Der südöstliche Bezirk Neukölln wurde so schrittweise an das Schnellbahnsystem angeschlossen. In den Folgejahren wuchs diese Strecke immer weiter, bis sie fast den S-Bahnring erreicht hatte. Ein weiterer Abzweig wurde im Jahre 1927 zur Erschließung des Bezirks Tempelhof gebaut.
Das alles zeigt, daß die Stadt und ihre Politiker sowohl in der Kaiserzeit als auch in den ersten schwierigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sehr produktiv gewesen sind und unter großen Widerständen ein leistungsfähiges Bahnnetz errichten konnten. Welch ein Vergleich zu den heutigen Verhältnissen, wo es der Senat nicht geschafft hat, zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung das 1945 beziehungsweise 1961 betriebene Streckennetz von S- und U-Bahn wieder in Betrieb zu nehmen.
Das Jahr 1929 brachte einige weitere Streckenergänzungen: Die Zehlendorfer U-Bahnlinie 1 erreichte das Naherholungsgebiet an der Krummen Lanke - der westliche Teil der Bahn Ruhleben - und die Linie 8 den Bahnhof Leinestraße. 1930 konnten mit einer völlig neuen Strecke von Alexanderplatz bis Tierpark die östlichen Bezirke an das U-Bahnnetz angeschlossen werden. Im selben Jahr wurden auch noch einige andere Strecken um einige Bahnhöfe verlängert. Damit war ein vorläufiger Schlußpunkt im Ausbau des U-Bahnnetzes erreicht worden. Das U-Bahnnetz wies damals eine Betriebslänge von immerhin 75,9 Kilometern auf. Erst im Jahre 1953 erfolgte ein weiterer Ausbau des Bahnnetzes. 1932 bestreikten die Feinde der Republik, die Nationalsozialisten und die Kommunisten, gemeinsam die BVG, um den demokratischen Staat zu Fall zu bringen. 1933 hatten Adolf Hitler und seine Partei in Deutschland die Macht ergriffen. Die neuen Machthaber trieben mit Macht den Ausbau der S-Bahn voran, während erst 1938 erste Arbeiten an neuen U-Bahnlinien in Angriff genommen wurden. 1939 wurde dann ein Plan veröffentlicht, der den Ausbau der Berliner U-Bahn zum Gegenstand hatte. Von diesen Planungen wurden in den 80er Jahren die Linie nach Hellersdorf und in den 70er Jahren der Bau der U-Bahn Yorkstraße über Fehrbelliner Platz zum Richard-Wagner-Platz verwirklicht.
Mitte April 1945 mußte kriegsbedingt der Betrieb der U-Bahn nach und nach eingestellt werden. Durch britische und US-amerikanische Bombenangriffe sowie die Kämpfe am Boden mit der Roten Armee entstanden an den Bauwerken der Berliner U-Bahn 248 Schäden. 496 Waggons waren mehr oder weniger beschädigt, 148 Wagen mußten als Totalschäden abgeschrieben werden. Die siegreichen Sowjets eigneten sich 120 U-Bahnwagen an, die nach Moskau verbracht wurden. Die Schäden waren mancherorts so schwer, daß beispielsweise die Wiederherstellung des Bahnhofs Stralauer Tor aufgegeben werden mußte. Erst 1951 konnte die Eingangshalle des Bahnhofs Wittenbergplatz wieder hergestellt werden. Trotz allem: Bereits am 14. Mai 1945 rollte auf der heutigen Linie 7 wieder der erste U-Bahnzug. Gegen Ende 1945 waren 72 Kilometer U-Bahn wieder in Betrieb. Das legt Zeugnis ab von dem unverwüstlichen Lebenswillen der Berliner, aber auch von der Wichtigkeit ihrer U-Bahn.
Mit der Aufteilung der Stadt in vier Besatzungssektoren begann auch eine unterschiedliche Entwicklung der U-Bahn in der Stadt. Im östlichen Teil der preußischen und deutschen Hauptstadt wurde in den 80er Jahren - wie bereits oben erwähnt - die Tierparklinie nach Hellersdorf verlängert, um die neuen Plattenbausiedlungen an den Nahverkehr anzuschließen. Ein weiterer Ausbau der U-Bahn fand im Osten Berlins aber nicht statt.
Im Westteil Berlins verlief die Entwicklung grundsätzlich anders. Bereits 1953 hatte der Senat unter Bürgermeister Ernst Reuter beschlossen, die U-Bahn großzügig auszubauen. Schon 1956 konnte die Linie 6 in den Norden verlängert werden, und 1958 erreichte sie mit dem Haltepunkt Tegel im Norden Berlins ihren heutigen Schlußpunkt. Da die beiden in den 20er Jahren erbauten Nord-Süd-Bahnen durch den Osten Berlins führten und jederzeit gesperrt werden konnten, arbeitete man mit Hochdruck an einer neuen Nord-Süd-Verbindung, die im Jahre 1961 - wenige Tage nach dem Mauerbau - in Betrieb genommen werden konnte. 1984 konnte mit dem Anschluß des westlichen Außenbezirks Spandau an das U-Bahnnetz ein sehr aufwendiges, teures und ehrgeiziges Ziel verwirklicht werden.
Seither fehlt im Berliner U-Bahnbau die Perspektive, obwohl es durchaus einen Bedarf gäbe. Zwar wird hier und da noch ab und zu ein neuer Bahnhof unter feierlicher Mitwirkung der politischen Prominenz in Betrieb genommen. Das vielleicht herausragende Ereignis war vor wenigen Jahren der Anschluß der Westberliner Plattenbausiedlung „Märkisches Viertel“ durch eine Verlängerung der Linie 8 im Norden um einige wenige Haltestellen. Symptomatisch für das, was seit 1989 in der deutschen Hauptstadt passiert, ist wohl, daß der CDU-geführte Diepgen-Senat fast zehn Jahre brauchte, um eine einzige Station (Warschauer Brücke), die durch die Teilung der Stadt 1961 aufgelassen worden war, wieder in Betrieb zu nehmen. Neuerdings ist die U-Bahn auch zum Kampfvehikel der politischen Linken dieses Landes geworden, seit ein paar grüne Verkehrspolitiker erkannt haben, daß man mit einer Straßenbahn - deren Bau ja nur wenig Geld kostet - den Autoverkehr nachhaltig behindern kann. Von einem in den 70er Jahren angepeilten Ausbau der U-Bahn auf 200 Kilometer Netzlänge - und das wäre noch nicht einmal die Hälfte des Londoner U-Bahnnetzes - sind wir in der Hauptstadt meilenweit entfernt. Die bescheidene Verlängerung einer Bahnlinie in Berlin Mitte um ein Paar Stationen zum Reichstag - hochtrabend Kanzlerbahn genannt - ist von der neuen Stadtregierungskoalition aus SPD und SED-PDS erst einmal beerdigt worden. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, daß in den 20er Jahren unter gewiß schwierigeren Bedingungen ein zielstrebiger Ausbau der U-Bahn und in der Kaiserzeit in atemberaubender Geschwindigkeit der Aufbau der Bahn überhaupt erfolgen konnte.
Dies allein ist der Maßstab, an dem die künftige Berliner Verkehrspolitik zu messen ist. Die Wowereits und Gysis kommen und gehen - aber die Berliner U-Bahn bleibt bestehen, und es wird auch der Tag kommen, wo die Bahn den Bedürfnissen einer Hauptstadt entsprechend ausgebaut werden wird. Ganze Stadtviertel - insbesondere im Ostteil der Stadt - warten nach wie vor auf ihren U-Bahnanschluß. Klaus Gröbig
Die Eröffnung: U-Bahnhof Potsdamer Platz (Linie U 2 Pankow-Ruhleben) |
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